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# taz.de -- Debatte Syrien: Die scheußlichen Lügen Assads
> Wie das syrische Regime die Loyalität der Bevölkerung erzwingt. Ob seine
> Lügen ernst genommen werden, interessiert nicht.
Bild: Staatschef Baschar al-Assad streitet ab, für den Giftgaseinsatz veranwor…
Drei Tage nach dem Giftgasanschlag sendet das syrische Staatsfernsehen den
ganzen Tag über einen Nachrichtenbeitrag, der zeigt, wie Einheiten der
regulären Armee einen Unterschlupf der Terroristen im Damaszener Viertel
Dschobar stürmen. Angeblich werden dort Materialien sichergestellt, die
belegen, dass Terroristen für die Chemiewaffenangriffe im Westen und im
Osten des Bezirks al-Ghuta am 21. August verantwortlich sind.
Gut leserlich steht auf den Plastikkanistern geschrieben „Made in Saudi
Arabia“. Die Kamera zoomt diesen Schriftzug wiederholt heran.
Dass auf diesen Kanistern der Absender unübersehbar mittenmang prangt, ist
gelinde gesagt auffällig. Gemeinhin wird – wenn überhaupt – auf dem Boden
ein Stempel eingraviert, der das Herkunftsland benennt. Neben den Kanistern
finden sich in dem kahlen, kellerartigen Raum noch ein paar Handgranaten,
viele weiße Plastiktüten unbekannten Inhalts und auch einige Spritzen –
alles Dinge, die Terroristen laut Staatsfernsehen eben so verwenden.
Nicht dass diese Terroristen die Regierungstruppen mit Giftgas beschossen
hätten, sie zielten nicht einmal auf die Regionen, in denen das Regime die
Kontrolle ausübt. Im Gegenteil: Die Chemikalien wurden in von den
Aufständischen gehaltenen Regionen eingesetzt, Regionen also, in denen die
Opposition über Rückhalt in der Bevölkerung verfügt. Wir lernen: Die
Terroristen haben sich selbst beschossen.
Aus Sicht des Regimes hat es Sinn, den Stempel des Herstellerlandes in
dieser Größe auf den Kanistern zu platzieren. Ebenso mussten die Pillen,
die die Aufständischen angeblich an die Demonstranten verteilt haben, das
Logo von Al-Dschasira aufweisen, denn dieser TV-Sender ist strikt gegen das
Assad-Regime eingestellt. Assad hat zu Beginn der Proteste forsch
behauptet, dass alle Demonstranten auf Drogen wären.
## Sie sollen alles glauben
Aber sind diese Propagandabilder wirklich einfach nur blöde und billig?
Wichtiger, als sich über die Grobheit der syrischen Staatslügen lustig zu
machen, ist es doch, folgende Fragen zu stellen: Wie ist die Propaganda
aufgebaut? Und: Hat ihre Botschaft wirklich keinen Erfolg?
Der Bericht zielte ja gar nicht darauf, allgemein glaubwürdig zu sein.
Geschichten von Rebellen, die sich selbst mit Giftgas beschießen, oder über
von Al-Dschasira gesponserte Drogen oder davon, dass Demonstranten sich
selbst umbringen, sind absurd, und das Regime weiß das.
Es geht ihm vielmehr darum, die beiden entgegengesetzten Lager im Land
anzusprechen – und mit ihnen auch das Ausland, wo die Meinung darüber, ob
Assad abtreten soll oder nicht, ja ebenfalls gespalten ist.
In Syrien stehen auf der einen Seite überzeugte Assad-Anhäger sowie Leute,
die sich dem Regime unterworfen haben, aus Angst oder aus Egoismus. Sie
haben sich entschieden, alles zu glauben, was das Regime verbreitet, egal
wie abwegig die Geschichten sind. Auf der anderen Seite stehen jene, die
Assad den Gehorsam verweigern wollen.
## Die Loyalität ist entscheidend
Das Regime hat bislang keine Mühen gescheut, den Verstand der Syrer zu
beleidigen. Es überwacht dabei stets, inwieweit die Bürger ihre geistige
Auffassungsgabe der Diktatur unterwerfen. Ob die Anhänger des Regimes
privat Zweifel hegen oder nicht, ist nebensächlich. Entscheidend ist, dass
sie öffentlich alles glauben. Entscheidend ist ihre Loyalität.
Die Chicagoer Politikwissenschaftlerin Lisa Wedeen sprach bereits 1999 in
ihrem Buch „Ambiguties of Domination“ (Ambivalenzen der Herrschaft) zu
Recht davon, dass diese Propaganda eine Strategie ist, die letzten Endes
auf Freiwilligkeit basiert. Das erklärt, so ihre These, dass es das
Assad-Regime gar nicht interessiert, ob die zu Untertanen degradierte
Bevölkerung die Propaganda, die es in Massen produziert, wirklich ernst
nimmt. Denn freilich wussten fast alle, dass Assad weder der „erste
Sportler“ noch der „erste Apotheker“ im Lande ist, wie es in zahllosen
Reden und Hymnen behauptet wurde.
Wichtig für das Regime ist allein, dass die Syrer sich so verhalten, als ob
sie die offiziellen Lügen glaubten. Nun hat im revolutionären Syrien ein
Großteil der Syrer begonnen, mit dem widerwärtigen Einverständnis zu
brechen. Die Rebellen bestärken sie darin, die offensichtlich gefälschten
Geschichten endlich öffentlich zurückzuweisen. Ihnen gegenüber stehen all
jene, die die Propaganda des Regimes akzeptieren, weil sie aus
verschiedenen Gründen nicht wollen, dass es stürzt.
## Die Frontlinie spaltet auch das Ausland
Diese Frontlinie spaltet nicht nur Syrien, sondern auch das Ausland.
Entsprechend konnte die Propaganda des Regimes auch ausländische
Informationsmärkte erschließen – und deren Publikum geizt nicht mit
Aufmerksamkeit. Das Regime bedient gern die Vorurteile und Stereotype der
nichtsyrischen Nachrichtenkonsumenten jenseits der Landesgrenzen.
Die Bilder von Kanistern, „Made in Saudi Arabia“ mögen zwar im gegenüber
dem Assad-Regime kritisch eingestellten Lager wenig verfangen, aber im
weniger informierten und rebellenkritischen Ausland können sie durchaus
funktionieren. Sie passen ja zu den vielen international kursierenden
Geschichten: von der Verschwörung böser Wahhabiten [dogmatische Richtung
innerhalb des Islam, verankert in Saudi-Arabien; A. d. Red.] ebenso wie die
von den Dschihadisten, die auf Rebellenseite kämpfen und die Minderheiten
in Syrien aus tiefstem Herzen hassen würden.
Oder sie stellen die Rebellen als Teil eines amerikanisch-israelischen
Plans dar, mithilfe großzügiger saudischer Finanzierung die „Achse des
Widerstands“ (gegen Israel und westlichen Imperialismus) zu erschüttern.
Die Propaganda des Regimes muss sich also gar nicht groß bemühen. Sie
bietet einfach all das, was seine Anhänger – so wie jene im Ausland, die
den Rebellen gegenüber skeptisch sind – hören wollen. Die Syrienexpertin
Bente Scheller spricht von einer Propagandavermarktung für ein Publikum,
das diese konfektionierte Informationsware nachfragt.
## Kritiker müssen schweigen
Und was macht die Propaganda des Regimes mit dem Teil der Syrer, der sich
seinem Diktat entzogen hat? Eigentlich nichts. Ihre einzige Aufgabe im
Inland ist es, die Autorität des Tyrannen zu stärken, indem dieser zeigen
konnte: Wir bringen noch jeden Kritiker zum Schweigen.
Ziel der Propaganda war es also niemals, die Opposition zurückzugewinnen.
Die Gefängnisse und Folterkeller waren der Garant dafür, sie zu brechen und
sicherzustellen, dass sie nach einer Verhaftung mehr als je zuvor die ihnen
zugewiesene Rolle akzeptieren und die staatlichen Geschichten öffentlich
glauben.
Heute, nachdem die Mehrheit der SyrerInnen den Gehorsam verweigert und die
alten Methoden der Unterwerfung nicht mehr fruchten, bezeichnet die
Propaganda die Abtrünnigen als „Infiltratoren und Saboteure“. Diese würden
auf sich selbst schießen – immerhin hätten sie dafür hohe Geldsummen
erhalten. Sie würden bei Demonstrationen Wasser verspritzen, das sie in
Ekstase versetze, und aus demselben Grund Pillen schlucken. Sie seien
Terroristen oder Anhänger des [Rechtsgelehrten salafistischer Prägung; A.
d. Ü.] Adnan Muhammad al-Arur. Und nun hätten sie Chemiewaffen gegen die
eigenen Leute eingesetzt.
## Sie werden die Bilder nicht retuschieren
Die Botschaft an die Rebellen ist klar: Wir werden euch zerschmettern, wann
immer wir können. Die Bilder, die davon zeugen, werden wir nicht
retuschieren. Gleichzeitig teilen sie den Nachrichtenkonsumenten im Ausland
mit: Dass ihr das Regime der Propaganda bezichtigt, wird es nicht davon
abhalten, seine Gegner in Syrien zu vernichten. Also: Was wollt ihr tun?
Das Regime weiß, dass die wirklichen Entscheidungsträger im Ausland nichts
gegen es unternehmen werden. Die verbale Sympathie und Solidarität mit den
leidenden Syrern und Syrerinnen und ihren legitimen Forderungen wird es
daher weiter wie gewohnt ignorieren. Solche Dinge sind wirklich das Letzte,
was ihm Sorgen macht.
Aus dem Arabischen von Larissa Bender
28 Aug 2013
## AUTOREN
Mohammad Al-Attar
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