Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Widerstand gegen Große Koalition: Genossen im Dilemma
> Am Freitag will die SPD auf ihrem Konvent entscheiden, ob sie unter
> Merkel mitregieren will. An der Basis wächst der Widerstand.
Bild: Zwickmühle: Fürchtet die SPD Merkel mehr als Neuwahlen?
BERLIN/BOCHUM taz | Der Ärger, der an der SPD-Basis beim Gedanken an eine
Große Koalition im Bund aufkommt, ist riesig. „Wir bekommen Mails und
Anrufe, in denen Genossinnen und Genossen mit Parteiaustritt drohen“, sagt
Franz-Josef Drabig, Vorstandsvorsitzender des Unterbezirks Dortmund mit
9.000 Mitgliedern. „Andere wollen sich dann aus der Parteiarbeit
zurückziehen. Die kündigen innerlich.“
Angekommen ist der Ärger auch in der Landeshauptstadt Düsseldorf: „Aus dem
ganzen Land kommen Austrittsdrohungen“, sagt ein Sprecher der
Landtagsfraktion – „und das sind nicht wenige.“
Für Genossen wie Drabig ist deshalb klar: Eine Große Koalition mit der
Union geht gar nicht. Egal ob Mindestlohn, Spitzensteuersatz oder das Aus
für das Betreuungsgeld: „Nichts aus unserem Wahlprogramm wäre vollständig
umsetzbar.“
Heftiger Protest gegen ein Bündnis mit der Union kommt aus vielen Teilen
des Landes. „Für Nordrhein-Westfalen kommt die Große Koalition nicht
infrage“, sagt der Hammer SPD-Chef Dennis Kocker – und redet über die
Bürgerkrankenversicherung, die mit Merkel „niemals“ umsetzbar wäre, auch
über die vor der Pleite stehenden Kommunalhaushalte, denen der Bund immer
neue Aufgaben und Ausgaben aufgebürdet habe.
„Schon heute kommen Leute auf mich zu und sagen: Wenn ihr eure Inhalte
nicht umsetzen wollt, kann ich ja gleich die Linken wählen“, berichtet
Drabig. Die Partei wolle „auf keinen Fall den kleinen Teil an
Glaubwürdigkeit, den wir uns in den letzten vier Jahren erarbeitet haben,
wieder aufs Spiel setzen“, warnt deshalb auch der Recklinghäuser
SPD-Kreisvorsitzende Frank Schwabe, der mit guten 45,2 Prozent am Sonntag
zum dritten Mal in den Bundestag gewählt worden ist.
## „Opposition im Bund ist keine Schande“
Wie Drabig und Kocker fordert Schwabe einen Mitgliederentscheid. Erst soll
versucht werden, möglichst große Teile des SPD-Wahlprogramms in
Verhandlungen mit der übermächtigen Union durchzusetzen – und dann soll
jede Genossin, jeder Genosse abstimmen, ob das Ergebnis für ein Bündnis
reicht.
Hannelore Kraft, Landes-SPD-Chefin und Ministerpräsidentin, kennt die
Stimmung an der Basis. Opposition im Bund sei „keine Schande“, verkündete
sie bereits am Montag. Sie weiß, dass ein Mitgliederentscheid die gesamte
Parteiführung blamieren könnte: Wenn die SPD-Spitze die Sondierung mit der
Union für erfolgreich hält, die Basis aber trotzdem Nein sagt, wäre das ein
beispielloses innerparteiliches Misstrauensvotum.
In einem von Kraft maßgeblich mitgestaltetem Beschluss des
NRW-Parteivorstands ist deshalb von einem Mitgliederentscheid keine Rede.
Blumig wird stattdessen nur eine „breite Beteiligung der Gremien und
Mitglieder an möglichen Entscheidungsprozessen“ versprochen.
Gegen Hannelore Kraft und die anderen Chefs der rot-grün regierten
Landesverbände kann die Parteispitze nichts durchsetzen. Und deren
Widerstand wächst. Neben Nordrhein-Westfalen gehen auch Bremen,
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf die Barrikaden. Bayerns SPD-Chef
Florian Pronold fordert, anders als Kraft, „zwingend eine
Mitgliederbefragung“.
## Kein Steigbügelhalter der Union
Genossen haben eigens eine Homepage eingerichtet, um Unterschriften „Gegen
Schwarz-Rot“ zu sammeln. Unter dem SPD-Wahlkampfmotto „Das WIR entscheidet�…
plädieren sie dafür, nicht erneut „der Steigbügelhalter“ für die Union …
werden und das Wahlprogramm zu verraten.
Der auch von den Jusos und der SPD-Linken geforderte Mitgliederentscheid
würde den parteiinternen Druck zweifellos erhöhen, der Union möglichst
weitgehende Zugeständnisse abzuringen. Aber solch ein Entscheid ist auch
ein riesiger Aufwand: mindestens ein Fünftel der 472.000 Mitglieder müsste
sich beteiligen. Eine aufgeladene Situation also.
Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel steht vor einer höchst komplizierten
Aufgabe. Er muss seine Basis befrieden und trotzdem ganz dezent mögliche
Machtoptionen erkunden. Und zwar so, dass weder die Genossen Verrat wittern
noch die Union auf den Gedanken kommt, die Sozialdemokraten seien
geschwächt und ließen sich über den Tisch ziehen.
Die Optionen der SPD sind dabei schmerzhaft begrenzt. Der als eigenes Ziel
formulierte Politikwechsel mit den Grünen ist gefloppt. Schwarz-Gelb, gegen
das man kräftig hätte Opposition machen können, ist nach dieser Wahl
mangels FDP vom Tisch. Die absolute Mehrheit hat die Union mit nur fünf
Mandaten verpasst.
## Neuwahlen könnten Wähler nerven
Und Rot-Rot-Grün hat die SPD im Wahlkampf immer wieder ausgeschlossen. Noch
am Dienstag erklärte Generalsekretärin Andrea Nahles am Rande der
Fraktionssitzung im Reichstag, man werde mit der Linkspartei in den
kommenden vier Jahren kein Bündnis eingehen.
Auch auf Neuwahlen darf die SPD nicht setzen. Die in den letzten Wochen
medial maximal genervten Wähler würden den Sozialdemokraten die Schuld für
einen erneuten Wahlgang in die Schuhe schieben und entsprechend abstimmen.
Zudem wäre zu befürchten, dass FDP und AfD es ins Parlament schaffen. Dann
könnten einige der 192 SPDler ihre Abgeordnetenbüros gleich wieder räumen.
Bleibt nur die Große Koalition. Aber wie soll die SPD-Führung die
hinkriegen, ohne von ihren Mitgliedern blamabel zurückgepfiffen zu werden?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Sie schafft es, den Mitgliederentscheid zu
verhindern. Oder sie treibt bei Merkel den politischen Preis dermaßen hoch,
dass auch die Mitglieder den ausgehandelten Koalitionsvertrag, wenn auch
grummelnd, abnicken können.
Ein erster Schritt ist der Parteikonvent am Freitagabend in Berlin. 200
GenossInnen und der Parteivorstand kommen im Willy-Brandt-Haus zusammen.
Viele erinnern sich noch zu gut an die Wahlklatsche 2009, nach vier Jahren
Großer Koalition. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Rente mit 67, die
Föderalismusreform hatten CDU und SPD zwar gemeinsam beschlossen. Gebüßt
hat jedoch nur die SPD: Absturz von 34 auf 23 Prozent. Ein Trauma.
## Parteichef Gabriel beschwört Einigkeit
Damit die SPD-Mitglieder nicht das Gefühl haben, in Berlin finde eine
Abnickveranstaltung statt, hat Parteichef Sigmar Gabriel ihnen am Mittwoch
einen Brief geschrieben. Er beschwört darin die Einigkeit der Partei im
zurückliegenden Wahlkampf und betont, es gebe „für die SPD weder einen
Automatismus zur Bildung einer Koalition mit CDU/CSU, noch werden wir uns
in irgendeiner Form dazu drängen lassen“. Von einem Mitgliederentscheid
über einen Koalitionsvertrag schreibt er nichts.
Beim Konvent wird es also auf Fingerspitzengefühl ankommen. Und auf
Verfahrensfragen. Würde ein entsprechender Vorschlag des Vorstands
angenommen, könnte die SPD-Spitze mit der Union erste Sondierungsgespräche
führen.
Der Konvent würde formal nur unterbrochen – und die rund 200 Delegierten
später zu einer Entscheidung über Koalitionsverhandlungen erneut
zusammengerufen. Fragt sich, wann. Denn Mitte November findet in Leipzig
der Bundesparteitag statt. Bis dahin müsste sich Angela Merkel also
mindestens gedulden.
Die Genossen an der Basis wollen dennoch gegen Schwarz-Rot kämpfen. „Berlin
kann Nordrhein-Westfalen bei der Frage einer Großen Koalition nicht einfach
übergehen“, sagt der Hammer SPD-Chef Kocker, der bei den Kommunalwahlen im
kommenden Jahr Oberbürgermeister werden will.
Die Warnung vor Neuwahlen stört ihn nicht: „Ich bin nicht dafür da, die FDP
zu verhindern – ich will Inhalte der SPD umzusetzen.“ Auch der mächtige
Dortmunder Drabig wird deutlich: „Wir reißen uns hier in Wahlkampf nicht
den Arsch auf, damit irgendwelche Leute später mit dicken Dienstwagen
herumfahren dürfen.“
26 Sep 2013
## AUTOREN
Anja Maier
Andreas Wyputta
## TAGS
Schwarz-rote Koalition
Sigmar Gabriel
Hannelore Kraft
Parteikonvent
Neuwahl
Rente
Mutti
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
SPD
Steuererhöhung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Lieberknecht will Angleichung: Rentenstreit und Rentenneid
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) fordert die
Angleichung der Ost-Renten. Doch das könnte auch für Unmut sorgen.
Wahlergebnis als Selbstentmachtung: Demokratie ist kein zu weites Feld
Hinter der Fassade einer boomenden Wirtschaft erodiert die politische
Kultur dieses Landes. Deswegen müssen die Bürger mehr Konflikte wagen.
Essay zur Großen Koalition: Der Schlaf der Demokratie?
Eine Große Koalition kann erfahrungsgemäß ganz agil sein – wenn die
Opposition ihre Chancen ergreift. Die Not- sollte aber keine Dauerlösung
werden.
Nach der Bundestagswahl: Berliner SPD will Basis fragen
Auch die Berliner Sozialdemokraten fordern einen Mitgliederentscheid vor
der Bildung einer Großen Koalition. Beim Parteikonvent fällt eine
Vorentscheidung.
Koalitionssuche nach Bundestagswahl: Union lässt Lockmittel stecken
Die SPD ist für eine große Koalition nicht leicht zu haben.
Steuererhöhungen könnten sie weichklopfen. Genau die will aber der
CDU-Wirtschaftsflügel auf keinen Fall zulassen.
Koalitionssuche nach Bundestagswahl: Das Pokern geht weiter
SPD und Grüne fehlt noch der Mut, in eine Regierung mit Kanzlerin Merkel zu
gehen. Jetzt empfehlen die rot-grünen Wunschpartner sich gegenseitig als
Koalitionsoption.
Option Rot-Rot-Grün: Fern, wolkig, aber irgendwie da
Die Linkspartei ist der Lucky Loser der Wahl. Nur wie Gysi & Co aus der
politischen Isolationshaft herauskommen wollen, wissen sie nicht so genau.
Tendenz zur Großen Koalition: Merkel muss noch mal wählen
Die CDU braucht einen neuen Partner. Sie tendiert zur SPD. Doch die ziert
sich. „Rote Linien“ will die Kanzlerin vorsorglich nicht ziehen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.