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# taz.de -- Koalitionsrunde, die Zweite: Die neue Harmonielehre
> In zentralen Fragen gibt es zwar noch keine Einigung. Doch
> Sozialdemokraten und Union geben sich viel Mühe, nett zueinander zu sein.
Bild: Beim Mindestlohn sind bisher beide Parteien noch im Schützengraben. An v…
BERLIN taz | Alexander Dobrindt, CSU-Generalsekretär und der Mann fürs
Grobe, ist zu Scherzen aufgelegt. Vor der Koalitionsrunde müsse er „mental
jetzt sehr stark sein“. Denn die findet in der SPD-Parteizentrale in Berlin
statt, dem Willy-Brandt-Haus. Feindesgebiet von gestern. Sogar die
Unterhändler von CDU und CSU treffen sich zu ihrer internen Vorbesprechung
der zweiten großen Koalitionsrunde in der SPD-Parteizentrale der SPD.
CDU-Chefin Angela Merkel tritt ganz selbstverständlich mit dem
sozialdemokratischen Hausherrn Sigmar Gabriel vor die Eingangstür, um dort
CSU-Chef Horst Seehofer zu empfangen. „Herzlich willkommen“, flötet
Gabriel. „Freut mich.“
Es sind zwar noch viele zentrale Themen offen – Mindestlohn, Rente,
Doppelpass. Aber wenn es nur nach Stimmungssignalen ginge, wäre die Große
Koalition schon so gut wie fertig. Man will sich einigen.
Die Stimmung zwischen Union und SPD ist gut. Die SPD hat ein vitales
Interesse, Mitte November, wenn sie sich in Leipzig zum Parteitag trifft,
vorzeigbare Zwischenergebnisse zu haben. Das ist kein Zwang, wäre aber
günstig mit Blick auf das Votum der GenossInnen über den Koalitionsvertrag.
Nach knapp einer Woche Verhandlungen zeichnet sich ab: Beide Seiten wollen
den Erfolg. Die Verhandlungen sind anders als 2009, als die FDP die Union
unter Zeitdruck einen Vertrag aufdrängte, der schnell Makulatur war. Dieser
Koalitionsvertrag soll verbindlicher und haltbarer werden. Etwas anderes
können sich die Sozialdemokraten nicht erlauben.
## Hauptkampfgebiet Mindestlohn
Bei einem Kernthema haben sich Union und SPD schon mal angenähert: bei der
Rente. Die Union will die sogenannte Mütterrente. Künftig sollen Mütter,
deren Kinder vor 1992 geboren sind, etwa 28 Euro mehr Rente im Monat
bekommen – Kostenpunkt gut sechs Milliarden Euro im Jahr. Die SPD möchte,
dass wer 45 Jahre versichert war, mit 63 Jahren ohne Abzug Rente bekommen
kann. Das würde rund vier Milliarden Euro im Jahr kosten. Ob es eine
generelle Mindestrente von 850 Euro geben wird, wie die SPD will, ist
offen.
Beim Hauptkampfgebiet Mindestlohn sind bisher beide Parteien noch im
Schützengraben. SPD-Politiker bekunden fast täglich, keinesfalls von 8,50
Euro abzurücken. In der Union protestiert der Wirtschaftsflügel zwar. Doch
die entscheidenden UnionspolitikerInnen sind nur leise skeptisch. Bloß
nichts sagen, was man später bereuen könnte.
Auch beim Thema Energie scheinen noch einige Konflikte anzustehen. Vor
einer ersten Sitzung der SPD-Arbeitsgruppe wurden zwar Papiere gestreut,
die eine Annäherung der SPD an Unions-Forderungen nahelegten. Diese seien
mittlerweile jedoch an entscheidenden Stellen verändert worden, hieß es
später aus SPD-Kreisen.
Einige Gemeinsamkeiten gibt es in der Innenpolitik – etwa bei der
Vorratsdatenspeicherung. Doch im kleinen Kreis, auf Arbeitsebene, wird
dieser Tage auch hektisch gefeilscht. In der Innenpolitik verhandelt für
die SPD der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann mit
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).
## Lange Wunschliste
Die Sozialdemokraten tragen eine lange Wunschliste in die zweite Sitzung
der Arbeitsgruppe Inneres und Justiz. „Sicherheit und Freiheit“ lautet das
Oberthema der nächsten Runden diese Woche. Es soll um die Zukunft der
Terrorismusbekämpfung gehen, die politischen Konsequenzen aus dem
NSU-Skandal. Für die SPD-Seite forderte Oppermann, es sollten alle
Empfehlungen aus dem Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses
„lückenlos“ umgesetzt werden. Auch der im Wahlkampf von der SPD vorgelegte
„Masterplan gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ sei Teil der
Verhandlungen.
Die Frage ist nur, wie realistisch dies angesichts der neuen
Machtverhältnisse ist. Wird sich die Union großzügig von der umstrittenen
Extremismusklausel verabschieden, die Mitarbeiter von Projekten gegen
rechts dazu verdonnert, sich zum Grundgesetz zu bekennen – als seien diese
das Problem und nicht die Nazis? Wird sie allen Ernstes die Schaffung
unabhängiger Beschwerdestellen für die Opfer von Polizeigewalt
unterstützen? Oder gar das bisher nur vom Bundesrat vorangetriebene
NPD-Verbotsverfahren unterstützen, wie es sich die SPD wünscht?
Für detailverliebtes Gerangel bleibt wenig Zeit. Denn schon in zwei Wochen
soll das gesamte Themenfeld erledigt sein. Innenminister Friedrich
versicherte, es sehe in seiner Arbeitsgruppe nach „zügigen“ Einigungen aus.
Am Mittwoch drehte sich alles um Europa. Einig ist man sich über eine
Finanztransaktionsteuer. Das ist zwar nichts Neues und nur interessant,
wenn man als Regierung konkret in der EU Druck macht. CDU-Mann Herbert Reul
glaubt, dass die Finanztransaktionsteuer mit der Großen Koalition auf
EU-Ebene „einen neuen Schub bekommen wird“. Details nannte er aber nicht.
Immerhin heißt es im gemeinsamen Papier, „die Daseinsvorsorge auf
regionaler und kommunaler Ebene gehört zum Kernbestand staatlicher
Aufgaben“. Eine Privatisierung etwa der Wasserversorgung wäre damit
ausgeschlossen.
Doch in Eurofragen ist noch keine Einigung in Sicht. Die Diskussion in der
Großen Koalitionsrunde sei eher allgemein geblieben und habe nur einen
„Minimalkonsens“ ergeben, berichten Teilnehmer. Die Union mauert gegen
einen Schuldentilgungsfonds. Immerhin will man sich bis Mitte November bei
der Bankenunion einigen. Streit gab es offenbar auch über Programme gegen
die Jugendarbeitslosigkeit. „Zusätzliches Geld allein bringt gar nichts“,
sagte der CDU-Europaabgeordnete Reul nach der Sitzung.
## Brands segnende Hand
Zusammen mit Reul traten SPD-Europapolitiker Martin Schulz und CSU-Mann
Markus Söder neben der Willy-Brandt-Statue im Foyer der SPD-Parteizentrale
vor die Kameras. Nach kurzen freundlichen Sätzen, in denen das
„grundsätzliche Einverständnis“ (Schulz) und das „hohe Maß an
Gemeinsamkeiten“ (Reul) beschworen wurden, betonte Söder vor allem die
Differenzen – etwa zum Thema „geordnete Insolvenz von Staaten“ oder
Bankenunion.
Als Schulz daraufhin die Hoffnung äußerte, dass „die segnende Hand von
Willy Brandt“ auf den CSU-Mann abstrahle, erwiderte Söder, mit
verschränkten Armen und auf Dauer gestelltem Stirnrunzeln, eher grimmig als
amüsiert: „Da machen Sie sich nicht zu viel Hoffnung.“ Auch die neue
Harmonie hat Grenzen.
30 Oct 2013
## AUTOREN
Astrid Geisler
Stefan Reinecke
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Mindestlohn
SPD
Rente
CDU/CSU
Koalitionsverhandlungen
Manuela Schwesig
Sigmar Gabriel
Schwerpunkt Angela Merkel
Vorratsdatenspeicherung
SPD
Mietenpolitik
CDU
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