# taz.de -- Tarek al-Wazir zu Hessen-Sondierungen: „Lieber klug regieren“ | |
> Opposition ist kein Mist, sagt der Chef der hessischen Grünen. Regieren | |
> aber sei besser. Daher verhandelt er mit CDU, SPD und Linkspartei. | |
Bild: Tarek al-Wazir, Landeschef der Grünen in Hessen | |
taz: Herr Al-Wazir, den Steuerwahlkampf von Jürgen Trittin haben Sie als | |
„ehrlich“ bezeichnet. Welche Lehre ziehen Sie nun daraus? Dass ehrlich | |
nicht immer am längsten währt? | |
Tarek Al-Wazir: Naja, eigentlich hätten wir es wissen können, historisch | |
betrachtet. Und das ist der Punkt, wo ich mich auch über mich selber | |
ärgere. Die Wahrheit, die Oskar Lafontaine 1990 ausgesprochen hat, dass die | |
Einheit nicht zum Nulltarif zu haben ist, war zwar wahr, hat ihm aber | |
nichts geholfen. Wenn ich mir unseren Wahlkampf 1998 anschaue, dass Benzin | |
viel zu billig ist und in Zukunft sehr viel teurer wird … | |
… die berüchtigte 5-Mark-pro-Liter-Forderung der Grünen. | |
... war zwar richtig analysiert, hat uns aber nicht geholfen. Auch der | |
Wahlkampf von Angela Merkel, die 2005 gesagt hat: Die Mehrwertsteuer soll | |
um zwei Prozent erhöht werden, war aus der Opposition heraus Zeichen für | |
den Willen zur Verantwortung. | |
Hat ihr aber nicht geholfen. | |
So ist es, und es half auch nicht, dass es dann sogar drei Prozent Erhöhung | |
wurden. Klar, die Leute wollen nicht belogen werden. Aber offensichtlich | |
wollen sie auch nicht die ganze Wahrheit auf einmal hören. Und daraus | |
sollte man eine Lehre ziehen, ja. | |
Also eine Machtverschiebung hin zum Realo-Flügel in der Partei. Darf man | |
eigentlich noch „Realo“ sagen oder sind diese Begriffe verpönt? | |
Beim letzten Reformer-Treffen haben wir beschlossen, dass wir wieder Realos | |
heißen wollen, insofern ist das wieder ein offizieller Begriff. (lacht) | |
Warum bekommen die Realos in dieser Partei nichts auf die Reihe? Trittin | |
führt sie in die linke Nische, Boris Palmer wird abserviert, Kerstin | |
Andreae findet keine Mehrheit. | |
Die Realos hatten auf Bundesebene immer dann die Mehrheit, wenn die Grünen | |
regiert haben. Wenn wir nicht regiert haben, waren die Realos auf | |
Bundesparteitagen in der Minderheit. Es ist leider so, wie es immer war. | |
Die Grünen schalten also, wenn sie in der Opposition sind, in den | |
Linkspartei-Modus? | |
Ein bisschen ja. Wobei man sagen muss, das ist besser geworden. | |
Inwiefern? | |
Als ich anfing, da war eine Jutta Dittfurth noch dabei. Und wir hatten | |
nicht zwei Vorsitzende, sondern drei Sprecher. Insofern soll man uns heute | |
auch nicht schlechter machen, als wir sind. Und vielleicht erlebe ich es ja | |
noch, dass wir auch mal in Oppositionszeiten auf Bundesparteitagen in der | |
Mehrheit sind. | |
Praktisch ist in Hessen ein Politikwechsel mit Rot-Rot-Grün... | |
Mit Rot-Grün-Rot! | |
... noch immer möglich. Mit wem verhandelt es sich schwieriger, SPD oder | |
Linkspartei? | |
Beide sind nicht ganz einfach. Aber vor allem die Linkspartei hat es sich | |
in den letzten sechs Jahren leicht gemacht. Sie hat immer alles Mögliche | |
versprochen und sich wenig Gedanken über die Frage gemacht und machen | |
müssen: Geht das eigentlich? | |
Immerhin haben die Linken gegen die Schuldenbremse in Hessen geklagt. | |
Ja, aber wenn sie gewonnen hätten, wäre trotzdem nicht mehr Geld da gewesen | |
und die Schuldenbremse würde trotzdem im Grundgesetz stehen. Die Linke | |
wurde übrigens auch im Bund nie gefragt, ob das, was sie will, auch | |
funktioniert. Es ist gut, dass jetzt darüber geredet wird. Es muss klar | |
sein, dass regieren nicht heißt: Die einen sind für die schönen Forderungen | |
da und die anderen für die schwierigen Entscheidungen. Regieren heißt: | |
Politikwechsel, schöne Sache – aber auch schwierige Entscheidungen. Und das | |
wird sicher eine der spannenden Fragen werden, inwieweit die Linke in der | |
Lage und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. | |
Wenn Sie mit SPD und der Linken in der Sondierungsrunde sitzen, kommen Sie | |
sich da manchmal wie ein Makler zwischen den beiden Parteien vor? | |
Wir haben natürlich Vertraulichkeit vereinbart, und da werde ich mich dran | |
halten. Was klar ist: Wir haben mit der Linkspartei keine gemeinsame | |
Geschichte, die SPD schon. Und das merkt man auch manchmal. Natürlich muss | |
man auch über die Vergangenheit reden. Aber die Rolle des Paartherapeuten | |
lehnen wir ab. Ich orientiere mich eher an dieser Linie: Kriegen wir etwas | |
hin für die nächsten fünf Jahre, oder nicht? | |
Kommt auf den Koalitionsvertrag an. | |
Ja natürlich, aber unterschätzen Sie nicht: So ein Vertrag, den man jetzt | |
beschließt, der hilft nicht bei den Problemen, die in den nächsten fünf | |
Jahren auftauchen, von denen wir jetzt noch gar nichts wissen. | |
Was hilft denn dann? | |
Ein Mindestmaß an Vertrauen, dass solche schwierigen Situationen, die nicht | |
vertraglich geregelt sind, gelöst werden können. Ohne dieses Vertrauen | |
können Sie nicht regieren. | |
Nun haben die Grünen zwar keine gemeinsame Geschichte, aber doch Parallelen | |
mit der Linkspartei – gerade in der Art, wie einmal fundamentale Opposition | |
gemacht wurde. | |
Das ist völlig richtig. Deswegen habe ich immer darauf geachtet, seit die | |
Linken im Hessischen Landtag sind, dass wir ihnen gegenüber nicht arrogant | |
auftreten. Wir müssen uns immer fragen: Was haben wir 1982 hier eigentlich | |
vertreten? Zur Wahrheit gehört aber auch: Die hessischen Grünen sind 1982 | |
in den Landtag gekommen. Sie waren 1983 bereit zur Tolerierung. Und sie | |
waren 1985 bereit zur Koalition. Die Linkspartei ist jetzt seit sechs | |
Jahren hier und vertritt noch immer die „reine Lehre“. Das ist jetzt der | |
spannende Punkt für die Linkspartei: Ob sie genau das kann, was die Grünen | |
in Hessen auch gekonnt haben. | |
Und das wäre? | |
Von der Protest- zur Gestaltungspartei werden. | |
Ihre gemeinsame Geschichte mit der CDU war sehr hart. Im Gegensatz zu | |
Roland Koch macht Volker Bouffier eher den Eindruck eines konzilianten | |
Onkels, mit dem man reden kann. Ist das so? | |
Dass alle mit allen reden können, ist für Hessen ein zivilisatorischer | |
Fortschritt. Das gab es zu Lebzeiten der handelnden Personen noch nicht. Es | |
gab in Hessen seit Jahrzehnten keine Große Koalition, es gab nie | |
Rot-Grün-Rot, es gab noch nie eine Ampel und noch nie Schwarz-Grün. | |
Eine Konfrontation der Lager, wie es sie in kaum einem anderen Bundesland | |
je gab? | |
Ja, weil auch der Stil hier sehr konfrontativ ist. Ich mache mir auch keine | |
Illusionen. Sobald man sich für die eine oder andere Variante entscheidet, | |
ist es mit der Nettigkeit vorbei. Aber ich hoffe doch, dass wir daraus | |
langfristig etwas ziehen, dass dieses rituelle Aufeinander-Einschlagen mal | |
aufhört. | |
Thomas Schäfer-Gümbel von der SPD und CDU-Mann Volker Bouffier sitzen sich | |
derzeit auch in Berlin gegenüber. Keine Sorge, dass die beiden sich dort | |
besser kennenlernen, als Ihnen lieb sein kann? | |
Wenn die miteinander koalieren wollen, werden sie es tun. Ich glaube aber, | |
dass die Gespräche in alle Richtungen ernsthaft sind. Das sind nicht nur | |
Höflichkeitsbesuche. Abstrakt sind alle Lösungen denkbar. Schwierig wird’s, | |
wenn es real wird. Es gibt Leute, die sagen mir: In einem schwarz-grünen | |
Koalitionsvertrag kann alles drinstehen – das könnt ihr trotzdem nicht | |
machen. Das ist dann ein Bauchgefühl … | |
Naja, Bauchgefühl. Es geht doch um den ideologischen Kern der Partei. | |
Klar, aber ist die SPD immer besser? Als sich vor drei Wochen alle Grünen | |
aufgeregt haben, dass Angela Merkel auf Europa-Ebene die CO2-Grenzwerte für | |
Autos hintertrieben hat, war diese Aufregung berechtigt. Als dann intern | |
teilweise gesagt wurde: Mit der könnt ihr doch kein Schwarz-Grün machen, da | |
habe ich gesagt: Ja, was denkt ihr denn, was der Schröder gemacht hätte? Da | |
muss ich sagen, da muss man sich zwingen. | |
Wozu zwingen? | |
Das mal nüchtern zu betrachten. Wenn wir mit der SPD die schrecklichsten | |
Kompromisse machen mussten, waren es die schrecklichsten Kompromisse. Wenn | |
wir mit der CDU die gleichen Kompromisse machen würden, dann würden viele | |
die gleiche Entscheidung nicht als Kompromiss, sondern als Verrat | |
bezeichnen. Aber es wäre kein Verrat. | |
Doch! Oder doch nicht? | |
Wenn ich lese, dass Hannelore Kraft und Armin Laschet die | |
Energieverhandlungen von SPD und CDU führen, dann wird mir angst und bange. | |
Das ist kein Problem von Rot oder Schwarz, sondern von Kohlepolitik oder | |
nicht. | |
Es wäre doch auch für Sie besser, Politik mitzumachen statt nur zu | |
kommentieren. | |
Stimmt, aber es muss eben inhaltlich funktionieren. Wenn die Linkspartei in | |
Hessen trotz 40 Milliarden Schulden, zwei Milliarden Defizit und inzwischen | |
erreichter 105 prozentiger Lehrerversorgung erklärt, dass es 30.000 | |
zusätzliche öffentlich geförderte Arbeitsplätze und 7.000 zusätzliche | |
Lehrer braucht, dann muss man sagen: So geht’s nicht. Und wenn die CDU | |
sagt, Hessen besteht nur aus dem Flughafen und geht unter, wenn der nicht | |
immer weiter wachsen kann, dann geht das mit uns auch nicht. | |
Vergeuden Sie nicht schon seit 14 Jahren Ihre Zeit in der Opposition? | |
Vergeudet ist es nicht. Unsere Arbeit hat natürlich indirekt eine Wirkung, | |
etwa wenn die CDU bei der Kinderbetreuung grüne Konzepte abschreibt. Dann | |
sehen Sie: Opposition ist nicht Mist. Aber auf Dauer würde man lieber, | |
statt kluge Konzepte aufzuschreiben, kluge Politik in der Regierung machen. | |
Die Linkspartei sagt: Es war doch auch unrealistisch, als die Grünen den | |
Atomausstieg gefordert haben! Stimmt. Aber um ihn durchzusetzen, dazu | |
mussten wir regieren, das Gesetz zum Atomausstieg machen und mit dem Gesetz | |
zur erneuerbaren Energie Gesetz auch die Alternative auf den Weg bringen. | |
Eben. | |
Das ist richtig. Auf der anderen Seite: Wenn es in der Sache nicht tragbar | |
ist, dann geht’s nicht. | |
Wäre Berlin für Sie eine Option? | |
Ich bin jetzt hier, und ich gebe mein Möglichstes, um uns Grüne in die | |
Landesregierung zu führen, aber eben nicht um jeden Preis. Und so ganz | |
nebenbei: Der Bundestag und der grüne Bundesvorstand sind gewählt. Wenn mir | |
jetzt gesagt wird: Du musst nach Berlin, kann ich nur sagen: Ja, als was | |
denn? | |
6 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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