Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pädophilie-Aufarbeitung bei Grünen: In die eigenen Reihen blicken
> Haben die Grünen Missbrauch an Kindern zu verantworten? Die Partei hat
> eine AG gegründet, die sich nun mit dieser Frage befasst.
Bild: Wie war das nun damals? Parteitag der Grünen, 1986.
BERLIN taz | Für den hessischen Landtagsabgeordneten Marcus Bocklet ist die
Sache klar. „Schonungslos“ müsse aufgeklärt werden, sagt er am Telefon, u…
zwar „frei von Institutionenschutz“. Das bedeutet: Die Grünen, findet der
Grüne Bocklet, dürfen auf sich selbst keine Rücksicht mehr nehmen, wenn es
um die Pädophilie-Debatten in den 80er Jahren geht.
Bocklet, 49, Schwerpunkt Kinder- und Familienpolitik, ist bekannt dafür,
die Dinge beim Namen zu nennen. Er kennt sich bestens aus mit
Kindesmissbrauch in all seinen Facetten, er hat die Aufklärung der Vorgänge
an der Odenwald-Schule unerbittlich vorangetrieben. Ab Donnerstag hat
Marcus Bocklet ein neues Arbeitsfeld. Dann sitzt er zum ersten Mal in der
Arbeitsgruppe der Grünen, die eine heikle Frage beantworten soll. Wie
konnte das passieren?
Bocklet ist einer von 16 Grünen-PolitikerInnen, die die
Pädophilie-Verstrickungen ihrer Partei in den 80er Jahren systematisch
erforschen sollen. Die AG, die am Montag vom Vorstand offiziell angeschoben
und auf dem letzten Parteitag beschlossen wurde, wird von Grünen-Chefin
Simone Peter geleitet.
Sie soll, so der Auftrag, Zeitzeugen befragen, Betroffene und Opfer zur
Kontaktaufnahme ermutigen und die wissenschaftliche Aufklärung ergänzen.
Mit dieser hatten die Grünen im Frühjahr das Institut des Göttinger
Politologen Franz Walter beauftragt. Er will seinen Abschlussbericht Ende
2014 vorlegen, der Bericht der AG wird 2015 folgen.
##
Die Grünen wählen also einen zweifachen Ansatz: Walter und seine
Mitarbeiter erforschen als unabhängige Wissenschaftler den Zeitgeist, die
Milieus und die innerparteilichen Diskurse zur sexuellen Liberalisierung,
in deren Windschatten Pädophile ihre Neigungen legalisieren wollten. Und
die AG schaut sich die Debatten von innen an.
Diese Strategie wird von anerkannten Experten ausdrücklich gelobt. „Es ist
gut, dass die Grünen jetzt mit einer Arbeitsgruppe auch intern
aufarbeiten“, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der
Bundesregierung. Nach der Beauftragung von Walters Institut sei die AG ein
zweiter, wichtiger Schritt. „Der Blick in die eigenen Reihen ist neben der
wissenschaftlichen Aufarbeitung von außen unbedingt nötig. Verantwortung
kann und darf nicht delegiert werden.“
Eine wichtige Frage wird sein: Gibt es Opfer, die unter den Positionen der
Partei zur Straffreiheit für Pädophilie gelitten haben? Und, wenn ja,
melden sie sich bei den Grünen? Rörig hält das für möglich. „Unsere
Erfahrung zeigt: Sobald eine Kontaktmöglichkeit besteht, melden sich auch
Menschen. Weil sie das Gefühl haben, dass sie sich jetzt anvertrauen können
und ihnen geglaubt wird.“ Wer eine Kindheit in den 70ern oder 80ern erlebt
habe, werde durch die aktuelle Debatte vielleicht Dinge im Rückblick neu
bewerten.
Die AG hat einen langen Vorlauf. Im Frühjahr, als Zeitungen erstmals über
die Pädophilie-Debatten aus den grünen Anfänge berichteten, entschied sich
die Parteispitze erst nach einigem Zögern für den Auftrag an Walter.
Führende Köpfe plädierten damals intern dafür, die teils alten und medial
aufgebauschten Vorwürfe in einem Bundestagswahljahr nicht unnötig
aufzuwerten. Auch zum Umgang mit möglichen Opfern hielt sich die Partei
lange bedeckt – und verwies auf die Walter-Studie.
##
Erst als der Forscher intern klarmachte, dass sein Institut keine Beratung
für Betroffene leisten könne, dachten die Grünen um. Die AG ist also auch
das Ergebnis eines Lernprozesses. Sie soll „einen angemessenen Umgang“ mit
Betroffenen erarbeiten und Kontakte zu professionellen Hilfsangeboten
herstellen.
Andrea Fischer, die ehemalige Gesundheitsministerin, sitzt ebenfalls in dem
Gremium. „Wir müssen uns dem stellen, dass unsere falsche Toleranz
vielleicht Kindern geschadet hat“, sagt sie.
Fischer erarbeitete 2010 den Bericht über Missbrauchsfälle an dem
Canisius-Kolleg des katholischen Jesuitenordens. Sie schließt ebenfalls
nicht aus, dass es Opfer gibt, die grüner Politik zuzurechnen sind. Die
Grünen hätten als Partei zwar keine Menschen in ihrer Obhut gehabt wie die
Kirche – etwa in Internaten. „Am Ende reicht aber erfahrungsgemäß die
Fantasie nicht aus, um zu erfassen, was Menschen angetan wurde.“
11 Dec 2013
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Pädophilie
Grüne
Aufarbeitung
Franz Walter
Grüne
Missbrauch
Schweiß
Pädophilie
Missbrauch
Schwerpunkt Volker Beck
Kinder der sexuellen Revolution
Kinder der sexuellen Revolution
Pädophilie-Debatte
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Pädophilie-Historie Grüne: Der Wille zur Aufklärung
Die Debatte über Pädosexualität hat die Grünen vor der Bundestagswahl viel
gekostet. Mit der Walter-Studie setzen sie ein wichtiges Zeichen.
Studie zu Pädophilie-Unterstützung: Grüne entschuldigen sich bei Opfern
Die Haltung der Grünen gegenüber Pädophilen-Gruppen in den 80ern war Inhalt
einer Studie. Diese zeigt: Die Position sei auch auf ideologische Blindheit
zurückzuführen.
Missbrauchsbeauftragter über Strafrecht: Gesetzentwurf zu lasch
Der Missbrauchsbeauftragte Rörig will mehr Unterstützung für Betroffene in
Strafprozessen. Etwa eine kostenlose Rechtsberatung.
Gesetzesänderung in der Schweiz: Tätigkeitsverbot für Pädophile
Vorbestrafte Pädophile dürfen künftig keine Tätigkeiten mit Minderjährigen
mehr ausüben. Die Schweizer Regierung will damit eine noch härtere
Volksinitiative verhindern.
Pädophiler Aktivismus: Neue Heimat im Internet
Die politische Pädophilenszene der 80er Jahre hat sich aufgelöst. Ein paar
Verbliebene kämpfen unverdrossen weiter für gesellschaftliche Akzeptanz.
Leiter des Canisius-Kolleg über Missbrauch: „Nicht mehr allein mit Kindern“
Was ist aus der Debatte über sexuelle Gewalt an Kindern geworden? Vor vier
Jahren wurde Missbrauch am Canisius-Kolleg bekannt. Jetzt gibt es dort
Frühwarnsysteme.
Pädophilie-Aufarbeitung bei den Grünen: Eine Heimat für alle
Erste Ergebnisse der Göttinger Parteiforscher: Die anfängliche Offenheit
der Grünen für Pädophile rührte aus verqueren Ideen der 68er-Bewegung.
Kinder der sexuellen Revolution: Das Ende aller Normen
Der Weg vom Kuppeleiparagrafen der grauen fünfziger Jahre zur emotionalen
Sexualbeziehung war lang. Und er hat sich gelohnt.
Die Grünen und die sexuelle Revolution: Kindliche Sexualität „falsch gedeut…
Die 50er Jahre waren extrem sexualfeindlich, sogar Onanie wurde bestraft.
Das wollten die Grünen aufbrechen – und verharmlosten den Sex mit Kindern.
Pädophilie: „Der Widerstand war nicht laut genug"
Die Berliner Grünen wollen sich ihrer Vergangenheit intensiver stellen als
bisher. Vieles sei verdrängt worden, sagt der Abgeordnete Thomas Birk.
Kolumne Blicke: Grüne Märchen
An der grünen Basis grummeln manche immer noch, die taz sei schuld am
enttäuschenden Wahlergebnis. An der Parteispitze ist man schon weiter
Debatte künftige Ausrichtung der Grünen: Im Angesicht des Todes
Die Grünen können als marktliberale Ökopartei nur verlieren. Ihnen droht
das Schicksal der FDP: das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.