# taz.de -- Debatte künftige Ausrichtung der Grünen: Im Angesicht des Todes | |
> Die Grünen können als marktliberale Ökopartei nur verlieren. Ihnen droht | |
> das Schicksal der FDP: das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde. | |
Bild: Aus dem Gleichgewicht geraten: die alte Grünen-Spitze nach dem Wahldebak… | |
Acht Prozent können einen ganz schön aus dem ökologischen Gleichgewicht | |
bringen: Die Debatte um Schwarz-Grün ist Zeugnis einer grünen | |
Identitätskrise in den Reihen der Partei wie auch in der medialen | |
Auseinandersetzung mit der Frage: wohin? | |
[1][Jan Feddersen hat die Grünen in der taz] dazu aufgefordert, das | |
Umverteilen, die „staatliche Almoserei“ nun der Linkspartei zu überlassen, | |
mit deren „restproletarischer“ Klientel der eigene grüne Freundeskreis eh | |
wenig anzufangen wisse. Grüne sollten sich auf „nichts als öko“ | |
konzentrieren, nicht links, nicht rechts, sondern „vorne“ sein, nicht mehr | |
„schroff“ in Anti-AKW-Manier um Systemfragen kämpfen. Sondern die FDP als | |
Bürgerrechtspartei und Koalitionspartner der CDU beerben. Darauf zu | |
verzichten sei „antipolitisch“. Ich fürchte, dass diese Thesen selbst | |
antipolitische Wirkung entfalten könnten. | |
Die Umfragewerte der Grünen gingen nach der Ankündigung der Steuerpläne | |
über Wochen kaum zurück. Die grüne Kernklientel zahlt für ökosoziale Zwecke | |
gern etwas mehr, wie beim Einkauf im Bioladen. Kontrovers war der | |
Veggie-Day, der am bürgerlichen Selbstbestimmungsethos rüttelte. In den | |
Keller rutschten die Zahlen erst mit der Pädophiliedebatte, die | |
konservative Grüne verschreckt haben dürfte. Dass gerade die grüne Partei | |
am meisten für Kinder- und Frauenrechte getan hat, ging im defensiven | |
Wahlkampf schließlich unter. | |
Aber nehmen wir mal an, die Steuerfrage hätte Anteil am grünen Wahldebakel | |
gehabt: Sollte man deshalb die Umwelt- von der Umverteilungsfrage trennen? | |
Nein. Weil das unmöglich ist. Ökologie an sich ist Umverteilung von | |
privaten, öffentlichen und industriellen Ressourcennutzungsrechten | |
zugunsten nachhaltiger Lebens- und Produktionsweisen. Ökologisch umverteilt | |
wird per Tempolimit, Strompreis, Ökosubvention, Produktionsverbot und | |
Rekommunalisierung, durch unliberale, „linke“ Eingriffe in den freien | |
Markt, die einen wirtschaftspolitisch starken Staat voraussetzen. | |
## Neogrüne Formeln wirken naiv | |
Vor diesem Hintergrund wirken neogrüne Formeln wie „Mit der Wirtschaft | |
arbeiten“ naiv. Es gibt so gut wie kein Großunternehmen, das aus innerer | |
Einsicht heraus ökologisch umgestaltet wurde. In der Logik einer | |
unterregulierten Marktwirtschaft wäre das nämlich ein Nachteil. Natürlich | |
kann grüne Politik einen freundlichen, postklassenkämpferischen Stil | |
anstreben. Aber wenn diplomatische Vermittlungsversuche scheitern, muss sie | |
sich für das ökologische Wohl aller entscheiden und gegen kurzfristige | |
wirtschaftliche Partikularinteressen. | |
Grüne Politik setzt am einsichtsfähigen Menschen an, muss sich aber mit | |
Teilen des Bürgertums anlegen, die keine Steuererhöhungen wollen. Die | |
freundliche Ökozivilgesellschaft bliebe nämlich sonst, ohne Umverteilung, | |
unter sich. Notwendige Preissteigerungen für ökologisch produzierte | |
Nahrung, Energie oder Kleidung treffen ja vor allem unterprivilegierte | |
Milieus. | |
Wenn die Grünen aus ihrer bildungsbürgerlichen Wohlfühlecke herauskommen | |
wollen, dann nur mit einer kombinierten Öko- und Gerechtigkeitsperspektive. | |
Qualitatives Wachstum bedeutet weniger materieller Reichtum – und erhöht | |
damit zusätzlich den Gerechtigkeitsdruck. | |
Die Notwendigkeit der Regulierung wächst mit dem Klimawandel. Wenn wir uns | |
heute gegen Regulierung entscheiden, wird unser Leben morgen viel | |
drastischer reguliert werden: Vielleicht gibt es schon in 30 Jahren streng | |
kontingentierte CO2-Gutscheine für Fleischkonsum, warme Duschen und | |
Verkehrsmittel – wie Essensmarken im Krieg. Auch Klimaflüchtlinge, | |
Ernteausfälle und zu behandelnde Krankheiten müssten dann steuerlich | |
finanziert werden. | |
So. Und aus diesen ökosozialen Verteilungsproblemen sollen sich | |
ausgerechnet die Grünen heraushalten? Um mit der CDU die absehbaren Folgen | |
der Konsumgesellschaft anzupacken, mit einer Partei, deren Wahlerfolg nicht | |
zuletzt darauf beruht, zu erklären, wie gut es uns geht? Um mit der CDU | |
eine Umstellung auf Ökolandwirtschaft und ÖPNV zu erreichen? Schwer | |
vorstellbar. Deshalb wird für Schwarz-Grün vor allem gesellschaftspolitisch | |
argumentiert, hier hat sich die Union ja liberalisiert (Elterngeld, | |
Wehrpflicht, Homo-Ehe). Die Zukunft der Ökologie aber liegt in der | |
Wirtschafts- und Sozialpolitik. | |
## Mutation zur Öko-FDP | |
Nun behaupte ich nicht, SPD und Linke seien per se ökologischer als die | |
CDU. Im Zweifel räumen sie Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum Priorität | |
vor ökologischen Konzepten ein – zum Beispiel in der Kohlefrage. Aber ohne | |
die sozialdemokratischen Parteien ist eine regulative Wirtschafts- und | |
Sozialpolitik kaum durchzusetzen. | |
Koalitionen handeln Kompromisse aus, um markante Differenzen (etwa in der | |
Europa- und Friedenspolitik) im Rahmen eines Grundkonsenses zu bewältigen. | |
Rot-Rot-Grün hat politisch dabei mindestens so viel gemeinsam wie Rot-Grün | |
oder Schwarz-Gelb. Schwarz-Grün dagegen zeigt weniger politische als | |
kulturelle Schnittmengen. Die grüne Kooperationssehnsucht hat etwas von | |
einer Versöhnung der 68er mit ihren bürgerlichen Eltern, bedingt durch eine | |
Nähe des Lebensstils, die zu proletarischen Milieus nicht besteht. Eine | |
kulturelle Versöhnung, die nachvollziehbar ist. | |
Eine politische Option bietet sie derzeit aber nicht. Vielmehr hieße die | |
Mutation zur Öko-FDP, der FDP in den 5-Prozent-Tod zu folgen. Denn wenn die | |
Grünen eine Ökologie ohne Umverteilung fordern, geben sie die Ökologie als | |
Alleinstellungsmerkmal faktisch auf. Und die Bürgerrechte gleich mit, die | |
durch ökologische Krisen ebenso gefährdet sind. | |
Aus der grünen Identitätskrise könnten jedoch zukunftsdidaktische Konzepte | |
à la Robert Jungk helfen: Wie können wir die Folgen unseres heutigen | |
Handelns so verdeutlichen, dass es nicht fatalistisch wirkt und ernst | |
genommen werden kann? Wie wecken wir Fantasie für postmaterialistische | |
Lebensstile, die Veggie-Days, Reichen- und Ökosteuern nicht als | |
persönlichen Verlust, sondern als gesamtgesellschaftlichen Gewinn | |
erscheinen lassen? Das sind die Fragen einer grünen Zukunftswerkstatt. | |
2 Nov 2013 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Petrik | |
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