# taz.de -- Debatte Grüne: Umarmen statt spalten | |
> Die Grünen können nur als bürgerliche Ökopartei gewinnen. Die | |
> Gerechtigkeitsfrage müssen sie den Linken überlassen. | |
Bild: Erfolgsstrategie: viel mehr bürgerliches Gelb ins Grün? | |
Es ist tatsächlich vor allem erstaunlich, zu welch Schmäh man im Berliner | |
Zentrum der Grünen gegen die baden-württembergischen FreundInnen um die | |
Regierung Winfried Kretschmanns in der Lage war. Man könnte sagen: | |
Wahlkampfzuspitzung hatten sie nicht drauf, sonst wären es ja mehr als die | |
eben acht Prozent geworden. Was sie aber können, ist Besserwisserei – aus | |
ihrer Nische der Marginalisierten heraus. | |
Mehr noch: Umso mehr beherrschen die Parteilinken die üble Nachrede wider | |
ein Erfolgsmodell, das sie selbst nicht sind. Das giftige Gemeckere gegen | |
den Zorn der Realos um Kretschmann erinnerte aus der Distanz an einen | |
undergroundfähigen, aber zum echten Hit nicht begabten Liedermacher in den | |
szenigen Grüften Kreuzbergs und Neuköllns, der sich vor melancholisch | |
gesinnter Empörung nicht einkriegen kann, weil ein konkurriender Act in | |
Deutschsüdwest mit nichts als prima Pop Erfolg hat. Pop – wie populär, | |
wohlgemerkt. | |
Die Frage, ob die Grünen sich von Linkem, also von materiellen | |
Gerechtigkeitsfragen, verabschieden sollten oder nicht, ist dabei längst | |
beantwortet: Bei Strafe der Einflusslosigkeit dürfen sie nicht das sein, | |
was romantische Gemüter als „links“ verstehen. Die Grünen, da hatten Rudo… | |
Bahro und Petra Kelly in der Gründungsphase ihrer Partei vollkommen recht, | |
sind weder links noch rechts – sondern vorne. | |
## Verantwortung statt Almosen | |
Grüne kümmern sich zuvörderst nicht um das, was die Linkspartei anzumelden | |
hat oder die SPD, sondern um Öko. Im weitesten Sinne. Praktisch im Kampf | |
gegen AKWs (nach Fukushima in Deutschland entschieden) und Kohle (noch | |
längst nicht, der Gewerkschaften wegen), theoretisch auch im Sinne von | |
Ökowohlfühligkeit. | |
Grüne stehen sowohl programmatisch als auch seitens der Wähler, die ihnen | |
zusprechen oder dies könnten, für Konzepte von Selbstverantwortung, die mit | |
staatlicher Almoserei wenig zu schaffen hat. | |
Grüne müssen, um so erfolgreich wie in Baden-Württemberg zu sein, sich über | |
die linken und ultralinken Szenen hinwegsetzen. Ihr Auftrag ist nichts als: | |
öko! Und zwar als eine Strategie, die auf Gefühle setzt, auf Moderation, | |
nicht auf Konfrontation. | |
Linke und Sozialdemokraten müssen ein Interesse an solchen Grünen haben, | |
denn das Geschäft der Gerechtigkeit beherrschen sie, Abkömmlinge der | |
Arbeiterbewegung, selbst am besten. Eine Million Stimmen verlor bei der | |
Bundestagswahl der (vorwiegend imaginierte) rot-rot-grüne Block: Eine Zahl, | |
die nicht gerade Stück für Stück gelingende Eroberung der bürgerlichen | |
Gesellschaft markiert. | |
## Die neuen Liberalen | |
Die Grünen könnten in die Spuren der Liberalen treten – auch die traten | |
einst mit einer großen Erzählung an: Die nannte sich Freiheit. In | |
Deutschland muss eine betrübliche, überwiegend antisoziale Geschichte der | |
Liberalen bilanziert werden, aber der Anspruch war ja nicht schlecht: | |
Freiheit als Programm des Ökonomischen, gegen die Feudalen, gegen den Adel. | |
Die Grünen repräsentieren sehr verwandte Schichten und Milieus wie einst | |
die Liberalen: Gebildete, gut bezahlte Kader des öffentlichen Dienstes und | |
der freien Berufe, familien- und werteorientiert, weltzugängig und mit | |
Ansprüchen, die Welt mit ihren Ideen zu versorgen. Schaut man sich die | |
neuen grünen Bundestagsabgeordneten an, guckt man sich überhaupt eine | |
durchschnittliche Versammlung der Parteiökos an, weiß man, mit wem man es | |
zu tun hat: Meist freundliche Menschen, weitgehend von Zweifeln an sich | |
selbst unangekränkelt. Solche, die immer eine Idee besser wissen, was einem | |
guttut, und habituell dieses notorische Durchblickertum wahrlich nicht | |
verstecken wollen. | |
Die Pose der Gerechtigkeitskämpfenden wirkt vor diesem Hintergrund ein | |
wenig albern – vor allem, weil sie alle, diese Grünen, stets wirken, als | |
kriegten sie garantiert ihre Schäfchen bald ins Trockene. Und das möchte | |
ihnen auch nicht geneidet werden, nein, sie verrichten mit der Erzählung | |
vom Guten Leben eine Verkündigung, die die Welt ernsthaft nötig hat. Die | |
Gerechtigkeit, um die es den Grünen gehen müsste, ist die, die sich um | |
Verschwendung der natürlichen Ressourcen dreht, die sich kümmert um | |
bekömmliche Nahrung und handwerklich anspruchsvolle Produktion – um nur | |
einige Punkte zu nennen. | |
## Zuständig für Gedöns | |
Sie haben auf dem Schirm all das, was der frühere Kanzler Schröder mal als | |
„Gedöns“ abtat: Fragen der Geschlechterdemokratie, solche der modernen | |
Familie, der Sexualität, der Schulbildung und der Multikulturalität | |
natürlich besonders. Sie müssen eine bürgerrechtliche Partei sein. Die | |
Grünen, sollen sie für die Linken (und Sozialdemokraten) in einem erhofften | |
Bündnis gegen die Schwarz-Gelben zu etwas nützlich sein, um es mit dem | |
italienischen Marxisten Antonio Gramsci zu formulieren, dürfen nicht sein | |
wie diese. Die schroffen Tonlagen, die in Brokdorf oder Wackersdorf mal | |
beim Kampf gegen AKWs angemessen waren, sind es nun nicht mehr. | |
„Systemfragen“ sind out – es sei denn, es ginge um die Ökologisierung al… | |
Lebensbereiche. | |
Grünen-Wähler finden natürlich die Welt ungerecht, Hartz IV doof und Armut | |
von Millionen beklagenswert – aber sie wollen zunächst einmal Sympathien | |
für diese misslichen Lagen zeigen, zahlen aber am liebsten nicht so gern. | |
Kurzum: Wer identitär sein eigenes Linkssein persönlich für so wichtig | |
hält, dass es die Popularisierung der Grünen ins Bürgerliche hinein nicht | |
ertragen möchte, sollte die Originale wählen. Der Lage nach wären das – die | |
Linken. Die heißen wenigstens auch so, wie sich viele gern empfinden. | |
PS: Die auf ein rot-rot-grünes Bündnis Hoffenden bei den Grünen könnten | |
sich ja mal der Mühe unterziehen, im eigenen Spektrum zu fragen, mit wem | |
man auf keinen Fall alliieren möchte. Wenig überraschend: Nicht nicht mit | |
den restproletarischen Linken, schon gar nicht mit solchen, die | |
Unterschicht sind und etwa seltsame TV-Sender wie Sat.1, Pro7 oder RTL | |
gucken und nicht Arte oder 3sat. Es wäre ein desillusionierender Befund, | |
der erwiese, dass Schwarz-Grün eine trostlos vergeigte Chance war. Auf den | |
Deal mit der Union zu verzichten, war im Kern antipolitisch. | |
28 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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