# taz.de -- Grünen-Parteitag nach Wahldebakel: Trittins Vermächtnis | |
> Zum Abschied als Fraktionschef ein leises Servus? Nicht von Jürgen | |
> Trittin. In seiner Rede greift er Kretschmann an und erklärt Schwarz-Grün | |
> für substanzlos. | |
Bild: Fast ein Candystorm: Blumen von der Partei für Jürgen Trittin | |
BERLIN taz | Kaum zu glauben, der ist ja gerührt. Jürgen Trittin steht auf | |
der Bühne mit der stilisierten Sonnenblume, sie haben ihm einen Strauß mit | |
noch mehr Sonnenblumen in die Hand gedrückt. Kurz zuvor hat ihn Claudia | |
Roth umarmt, die wie er noch zur Gründergeneration gehört. Cem Özdemir, der | |
Parteichef, der bleiben wird, hat ihm etwas verkrampft auf die Schulter | |
geklopft. | |
Und jetzt steht Jürgen Trittin, 59, ehemals Spitzenkandidat seiner Partei, | |
oberster Hemdknopf offen, der Anzug sitzt perfekt, ganz alleine da. Die | |
Delegierten applaudieren im Stehen, und er schaut verlegen auf den Strauß | |
in seiner Hand. Dann findet er endlich die Geste, die zu diesem Moment | |
passt. | |
Er winkt ungelenk mit der rechten Hand ab. Lasst mal gut sein. Reicht | |
jetzt. Abgang. | |
Trittin hat gerade seine vorerst letzte große Rede gehalten. Freitagabend, | |
gut 800 Delegierte sitzen vor langen, weißen Tischreihen im Berliner | |
Velodrom. Normalerweise finden in dem riesigen Rund unter der Erde | |
Radrennen statt, doch jetzt diskutieren hier die Grünen bis zum Sonntag | |
eine große Frage: Wie weiter? In den Reden geht es um das | |
8,4-Prozent-Debakel, um Fehlersuche; auch ein trotziges „Jetzt erst recht“ | |
klingt bei dem einen oder der anderen durch. | |
Doch für Trittin geht es um etwas anderes: Er verabschiedet sich auf diesem | |
Parteitag aus der ersten Reihe. Und er nutzt nochmal die große Bühne, um | |
der Partei, der er sein Leben gewidmet hat, zu erklären, wie er die Dinge | |
sieht. Es ist: Trittins Vermächtnis. | |
## „Programm war nicht so links wie 2009“ | |
Er beginnt mit einer Spitze gegen seinen größten Widersacher. „Unsere | |
Partei ist nicht aus der Spur.“ Eine Anspielung auf ein Interview Winfried | |
Kretschmanns, der das „nicht“ in dem Satz wegließ. Kretschmann gegen | |
Trittin, der starke Oberrealo aus Baden-Württemberg gegen den nicht mehr so | |
starken Bundes-Linken, dieser Machtkampf beschäftigt die Partei seit der | |
Wahl. | |
Und natürlich, Trittin verteidigt das Programm, das in einem jahrelangen, | |
internen Diskurs entstand, das aber heute viele Grüne als zu links | |
empfinden. Allen voran Kretschmann. | |
„Unser Programm war sehr genau. Es war bei weitem nicht so links wie 2009. | |
Es war supersolide“, sagt Trittin. „Es hatte auf jede Frage eine Antwort.“ | |
Genau das, so Trittin, habe es angreifbar gemacht, weil die Gegenseite | |
keinerlei Angriffsfläche geboten habe. | |
Das ist eine Zusammenfassung, für die viel spricht. Während die Grünen wie | |
Finanzbeamte mit dem Rechenschieber durch die Republik tourten, um die | |
bürgerliche Mitte davon zu überzeugen, dass sie von den eigenen | |
Steuerplänen nicht betroffen sei, setzt Merkel auf einen Wohlfühlkurs: | |
Nichts wird sich ändern. | |
## „Mit denen geht die Energiewende nicht“ | |
Dann kommt ein wichtiger Te--il von Trittins Rede. Er schlägt nicht nur | |
einen Pflock gegen Schwarz-Grün ein, sondern einen ganzen Palisadenzaun aus | |
dicken, knorrigen Eichenstämmen. Offen erklärt er die Sondierungsgespräche | |
mit der Union, die beide Seiten wegen einer neuen Sachlichkeit in den | |
Himmel gelobt hatten, für substanzlos. | |
Die Union habe zu sechs von neun Projekten des Mitgliederentscheids nein | |
gesagt. Damit spielt Trittin auf das Votum der Basis zu den wichtigsten | |
grünen Wahlkampfinhalten an. Dann zählt er sie alle auf. Keine | |
Schuldenbremse für Banken, keine Bürgerversicherung, kein | |
Rüstungsexportgesetz, und so weiter. Außerdem, so Trittin, seien CDU wie | |
CSU nicht bereit gewesen, sich dem „Systemkonflikt zwischen Kohlestrom und | |
Erneuerbaren“ zu stellen. Mit denen geht die Energiewende nicht. | |
Man könne bei Sondierungen nicht erwarten, alles durchzusetzen, brüllt | |
Trittin. „Aber man kann von uns auch nicht erwarten, dass wir darauf | |
verzichten, grüne Politik zu machen.“ Er macht sehr klar, was er von | |
heimlichen Träumereien mancher hält, im Falle eines Platzens der Großen | |
Koalition vielleicht doch im Jahr 2013 mit Merkel zu regieren: nichts. | |
Es folgt eine Abrechnung mit Teilen seiner Partei. Aus Landesverbänden wie | |
Baden-Württemberg und Bayern kommen Rufe, die Ökologie stärker zum | |
Schwerpunkt der Partei auszubauen. Trittin liest daraus den Verzicht auf | |
eine explizite Gerechtigkeitsbotschaft. Davon, schließt er, erhofften sich | |
manche weniger Konflikte. | |
Doch auch die ökologische Modernisierung des Landes „erzeugt massive | |
Konflikte“, ruft er. Alle großen ökologischen Reformen, etwa der | |
Emissionshandel, seien gegen die großen Interessenverbände der Wirtschaft | |
durchgesetzt. „Ökologische Modernisierung – das ist kein Ponyhof!“ Das i… | |
eine Attacke auf Kretschmann, der für Versöhnung mit der Wirtschaft wirbt. | |
Außerdem müsse eine ökologische Modernisierung gerecht sein, sagt Trittin | |
weiter. „Denn sie kennt Gewinner und Verlierer. Wärmedämmung geht nur, wenn | |
Mieter nicht überlastet werden.“ Es ist ein wuchtige Rede, eine, in der | |
Trittin nochmal ausführlich begründet, warum Ökologie und Gerechtigkeit | |
nicht voneinander zu trennen sind. | |
## Lieblingsband Fehlfarben | |
Direkt nach ihm ist Katrin Göring-Eckardt dran. Die neue Fraktionschefin, | |
die an seiner Seite den Wahlkampf anführte, hält die Dankesrede. So erfährt | |
der Parteitag noch ein paar private Details über den unnahbaren Trittin. An | |
Donnerstagen kocht er manchmal für seine Mitarbeiter, gerne mit Fleisch, | |
trotz Veggie-Day. Seine Lieblingsband, so Göring-Eckardt, sei Fehlfarben. | |
Das sind die Punkrocker, die mal die zeitlosen Sätze „Keine Atempause, | |
Geschichte wird gemacht, es geht voran!“ gedichtet haben. Dieser Spruch | |
wird Trittin zu seinem Abschied sicher gefallen haben. | |
19 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Grüne | |
Jürgen Trittin | |
Winfried Kretschmann | |
Sondierungsgespräche | |
Wahl 2013 - Meinung | |
Grüne | |
Grüne | |
Grüne | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Dieter Janecek | |
Jürgen Trittin | |
Landespolitik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte Grüne: Umarmen statt spalten | |
Die Grünen können nur als bürgerliche Ökopartei gewinnen. Die | |
Gerechtigkeitsfrage müssen sie den Linken überlassen. | |
Parteitag der Grünen: Programm Selbstvergewisserung | |
Der Parteitag der Grünen war in weiten Teilen ein Selbstfindungsseminar. Zu | |
schmerzhaften Erkenntnissen dringt die Ökopartei nicht vor. | |
Kommentar Grüne: Ende einer Hassliebe | |
Nach dem Aus für Rot-Grün will die Partei eigenständig sein – mal wieder. | |
Doch dazu muss sie lernen, Widersprüche auszuhalten. | |
Cem Özdemir als Grünen-Chef bestätigt: Keine bessere Alternative | |
Plötzlich ider Dienstälteste: Özdemir muss mit dem neuen Bundesvorstand | |
Großes leisten. Gelingt es ihm, seine verunsicherte Partei aus der Nische | |
zu führen? | |
Grünen-Chef Özdemir: „Wir sind im besten Alter“ | |
Auf dem Parteitag der Grünen spricht Cem Özdemir über die herbe | |
Wahlniederlage und seine Mitverantwortung. Alles anders machen, solle man | |
aber nicht. | |
Streitgespräch um Grünen-Zukunft: „Wahrgenommen als Spaßbremsen“ | |
Bei den Grünen tobt ein Richtungsstreit zwischen Realos und Linken. Ein | |
Streitgespräch zwischen Vertretern beider Flügel: den Landeschefs in Bayern | |
und Berlin. | |
Nach der schwarz-grünen Sondierung: Wenn die Merkel nochmal klingelt | |
Falls die schwarz-roten Koalitionsgespräche scheitern: Was passiert dann? | |
Die Grünen-Spitze will die Tür für die Union offen halten. Doch der Sound | |
in der Partei ist dissonant. | |
Kommentar zu Schwarz-Grün: Das Warm-up für 2016 | |
Schwarz-Grün nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl? Für CDU-General Wegner | |
und die grüne Fraktionschefin Pop ist das eine tolle Aussicht. |