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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Grüner Militärputsch
> Die Grünen haben viele Gebote und wenig Wähler. So wird es nichts mit der
> sozial-ökologischen Modernisierung. Brauchen sie weniger Moral?
Bild: Moralisch verdächtig: die Ex-Fraktionsvorsitzkandidatin der Grünen, Ker…
Du sollst mehr Steuern zahlen für deinen Nächsten. Du sollst kein Fleisch
essen. Du sollst nicht wirtschaftsfreundlich sein. Du sollst nicht mit der
CDU koalieren. Du sollst keine minderwertigen Wähler begehren. Ja, unsere
Grünen haben viele Gebote. Und wenig Wähler. Das trifft sich schlecht, denn
ironischerweise gibt es ein epochales grünes Projekt: die
sozial-ökologische Modernisierung. Sowieso und erst recht angesichts
voranschreitenden Klimawandels.
Aber wie schmiedet man eine mehrheitsfähige Alternative zum
großkoalitionären Stillstand? Der Grusel-Wahlkampf zeigte: mit
Übermaß-Moral definitiv nicht.
Georg Vobruba ist Soziologieprofessor in Leipzig und Autor des Klassikers
„Gemeinschaft ohne Moral“, in dem er die Probleme von Moral für die
Politikfähigkeit analysiert. Also Anruf in Leipzig.
Brauchen die Grünen weniger Moral, Herr Professor Vobruba?
Es folgt ein längeres Gespräch, an dessen Anfang meine Erkenntnis aus dem
Wahlkampf steht: dass die Merkel-CDU große Teile dieser heterogenen
Gesellschaft zusammenhält, weil sie pragmatische Interessenpolitik macht.
Speziell der Flügel der linken Grünen insistiert auf die
moralisch-inhaltlich überlegenen Politikkonzepte der 8,4-Prozent-Partei und
bedeutet den Union-Wählern allen Ernstes, dass eine Koalition nur infrage
kommt, wenn die 41,5 Prozent ihren selbstsüchtigen Interessen abschwören.
Gibt es keine inhaltlichen Überschneidungen mit der CDU, passt es sowieso
nicht. Gibt es sie, werten sich diese Grünen selbst moralisch als
opportunistische Ranwanzer ab. Absurd wird es, wenn „wirtschaftsfreundlich“
als moralisch negativ abgewertet wird, wie es der
Fraktionsvorsitzkandidatin Kerstin Andreae widerfuhr.
„Solche ideologischen fixen Ideen gehen mir auf den Geist“, sagt Vobruba.
„Dann kann man nur warten, bis die Grünen 51 Prozent der Stimmen haben oder
mit der Bundeswehr putschen.“ Derzeit ist ein grüner Bundeswehrputsch zwar
wahrscheinlicher als ein zweistelliges Ergebnis und aus grünmoralischer
Sicht womöglich sogar geboten, aber halt mit den Pazifisten der Partei
nicht zu machen.
Politik könne man nicht moralgesteuert machen, sagt Vobruba. Simple as
that: Man kann die Hälfte seines Steuerkonzepts in der Regierung umsetzen,
aber keinen halben Pazifismus. „Moral ist nicht kompromissfähig, Politik
muss kompromissfähig sein.“
Speziell in einer Zeit, in der noch häufiger als zu Joschka Fischers
Vizekanzlerschaft plötzlich etwas völlig Unerwartetes und global
Kompliziertes um die Ecke kommt, das nicht mit dem Denken und Fühlen von
68ern, 78ern und Hippies zu lösen ist und auch nicht mit dem Wertekatalog
der Brandt-SPD und der Adenauer-CDU.
Der Unterschied ist: Während die SPD wegen der – in der Gesellschaft ja
längst nicht nur negativ gesehenen – Arbeitsmarktreformen seit einem
Jahrzehnt ihrer Moral hinterherheult, hat die Union die friedliche Nutzung
der Atomenergie – oder wie das bei denen hieß – in 24 Stunden abgehakt. Ja,
war das jetzt moralisch oder unmoralisch? Es war der Sieg der Politik über
die Ideologie. Die Frage ist nicht, was grundsätzlich moralisch ist,
sondern wie man politikfähig ist und bleibt.
Vobrubas Vorschläge:
1. Man muss unterscheiden zwischen Moral als individueller Haltung und
einem politischen Programm.
2. Es ist wichtig, nicht verhandelbare Moralgrundsätze zu haben.
Antifaschismus etwa. Es sollten aber möglichst wenige sein.
3. Klären, ob moralische Grundsätze auch aufgeklärte Interessenverfolgung
sein können. Etwa für einen Teil der Kosten der Eurokrise aufzukommen. „Es
ist in unserem Interesse, die südliche Peripherie der EU nicht untergehen
zu lassen.“
Und 4.: Widerspruch zwischen Moral und Politikfähigkeit akzeptieren. „Wenn
man den weglügt, ist man bei autoritären Politikverständnissen, und das ist
bestimmt unmoralisch.“
Was die „Spaßbremsen“ angeht, als welche die Grünen selbst nach eigener
Erkenntnis im Wahlkampf rüberkamen, so sieht Vobruba historische
Kontinuität: „In einem gewissen Sinn waren die Grünen fast immer
Spaßbremsen. Das ist richtig, wenn sie zeigen, dass der Spaß, etwa
Atomkraft, böse Folgen hat.“
## Individuelle Moralvorstellungen
Problematisch sei es, eine kleinstbürgerliche Einstellung vorzuleben, die
Spaß generell verpöne. Man dürfe, auch mit Geboten, Rahmenbedingungen
herstellen, in denen Lebensentwürfe nach individuellen Moral- und
Wertevorstellungen lebbar seien. Man dürfe aber nicht Lebens- und
Moralkonzepte durchsetzen wollen. Ergo: „Die Grünen“, sagt Georg Vobruba,
„brauchen eine auf wenige Punkte konzentrierte Moral und dazwischen eine
fantasievolle Politik des Zusammenführens von Interessen“.
Ich traue es mich kaum zu sagen, aber das ist das gelebte
Politikverständnis eines Ökolibertären, der parteiübergreifend als
wertegeleitet und integer gilt und dem unterschiedlichste Milieus
vertrauen, nur die Übermaß-Moral-Grünen bisher nicht: Baden-Württembergs
grünem Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
27 Oct 2013
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Grüne
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