# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Gibt es linken Fußball? | |
> Gut: Günter Netzer, der SC Freiburg, St. Pauli. Böse: Der FC Bayern und | |
> die Nationalmannschaft. Aber es ist alles ganz anders. | |
Bild: Günter Netzer, 1973. Lange Haare, großer Fußballer – aber links? | |
Der wahre und gute Fußball kommt aus der Tiefe des Volkes. Er beinhaltet | |
die Werte der Arbeiterklasse. Er ist selbstredend links. Während der rechte | |
Fußball alles ausbeuterisch der Rendite, also dem Ergebnis unterwirft, | |
zielt der linke Fußball darauf, Menschen über kollektive ästhetische | |
Erlebnisse zu bereichern. | |
So haben wir es damals im Religionsunterricht gelernt. Der Evangelist war | |
Cesar Luis Menotti, Trainer des argentinischen Weltmeisterteams von 1978. | |
In dieser Woche ist er 75 geworden. | |
Und mir hat sich die Frage gestellt: Gibt es linken Fußball wirklich? | |
Wenn wir von der zeittypischen Verklärung der Arbeiterklasse absehen und | |
davon, dass Freiheit und Sozialismus Gegensätze zu sein pflegen, wurde der | |
linke, freie und gute Fußball in Deutschland seit Menotti vor allem | |
projiziert in: die Niederlande, Borussia Mönchengladbach, den SC Freiburg, | |
den FC St. Pauli. Rechter Fußball war die Nationalmannschaft und der FC | |
Bayern München. | |
Man kann aber auch sagen, dass Herbert „Hacki“ Wimmer in den Siebzigern bei | |
Gladbach der Ausgebeutete war, der den Ball holen musste. Und Günter Netzer | |
war der autoritäre Chef, der den Ball, den Ruhm und die Millionen bekam. | |
## Hässlicher Stumpffußball | |
St. Pauli hat bei allem Respekt nie die „schöpferischen Potenziale des | |
Fußballs“ in Menottis Sinne ausgeschöpft. Und gegen den hässlichen | |
Stumpffußball der vom Zwang einer ästhetischen Begründung traumatisierten | |
Niederländer im Weltmeisterschaftsfinale 2010 war selbst Toni Schumacher | |
ein Waisenknabe. | |
Zwei Entwicklungen prägen den Fußball: die voranschreitende | |
Kapitalisierung, angetrieben von Verbänden, Spitzenklubs, Wirtschaft, | |
Medien; und die voranschreitende Emanzipation, die sich dem Kapitalismus | |
verdankt (sie ist nicht nur moralisch, sondern ökonomisch gut). | |
Diese Emanzipation ging in den neunziger Jahren von Volker Finke und dem SC | |
Freiburg aus. Und findet sich mittlerweile vielerorts, wenn nicht in Klub-, | |
so doch in den Teamstrukturen. Auch der omnipotenteste Trainer verdankt | |
seine Legitimation heute seiner Kompetenz – und nicht übertragener Macht. | |
## Kreativer Umgang | |
Der moderne Fußball unterscheidet nicht mehr zwischen Held (Stürmer) und | |
Arbeiter (Verteidiger). Zum kreativen Umgang mit dem Ballbesitz kommt | |
gleichberechtigt der kreative Umgang mit dem Ballbesitz des Gegners. | |
Und so kommt es, dass Philipp Lahm der linke Held von heute sein müsste, | |
Protagonist des gelebten Gleichheitsprinzips auf dem Feld, eines | |
flachhierarchischen, ästhetisch hochwertigen Fußballs, der ausgerechnet bei | |
Bayern München gespielt wird, dieser schlimmen Ergebnismaschine des 20. | |
Jahrhunderts. Spätestens jetzt ist klar: „Links“ ist auch im Fußball kein | |
Begriff mehr, mit dem man hantieren könnte. Man sollte von | |
emanzipatorischem Fußball sprechen. | |
Der erstaunlichste Vertreter des emanzipatorischen Fußballs ist – DFB hin | |
oder her – die deutsche Nationalmannschaft, die in Wankdorf den schönen, | |
linken Fußball der Ungarn besiegte und daraufhin fünfzig Jahre im | |
Grätsch-Tugend-Eier!-Mythos gefangen war. | |
Joachim Löw ist ja nun wohl kein Linker und auch kein Intellektueller. Aber | |
sein Fußball ist im Sinne von Menotti. Genau das macht seine Gegner, Leute | |
wie Kahn und Sammer, kirre. Es geht nicht um einen blöden Pokal, es geht | |
darum, uns zu inspirieren, zu begeistern und als Menschen größer zu machen. | |
Das ist emanzipatorischer Fußball at its best. Scheiß auf den WM-Titel. | |
10 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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