| # taz.de -- Freiburg, die Grünen und das Stadion: Aufbegehren in Mooswald | |
| > Die grün regierte Stadt bemüht sich um eine Politik des Dialogs mit den | |
| > Bürgern. Nun gibt es Streit um den Stadionneubau des SC Freiburg. | |
| Bild: Nicht jeder Fan des SC Freiburg ist auch ein Fan des Stadionneubaus. Und … | |
| FREIBURG taz | Für Gisela Maas (70) ist die Erholung flöten gegangen. Sie | |
| sitzt auf einer Bank am Monte Scherbelino, einer renaturierten Mülldeponie | |
| in Freiburg. Zu ihren Füßen liegt der Flugplatz. Von hier aus kann der | |
| Blick wie ein Segelflieger abheben und schweben: hinüber zum Münster, eine | |
| Runde über die Stadt, hinauf auf die Schwarzwaldhügel und zurück. Aber | |
| Gisela Maas’ Blick hebt nicht mehr ab. Sie sitzt auf der Bank und ärgert | |
| sich, weil ihr hier bald eine Wand vor die Nase gebaut werden soll. | |
| Der SC Freiburg und die Stadt planen ein Fußballstadion, nur gut 500 Meter | |
| von Gisela Maas’ Haus im Stadtteil Mooswald entfernt. Mit seinen Sackgassen | |
| und Einfamilienhäusern wirkt das Viertel wie ein Dorf in der Stadt. Für die | |
| Bewohner beginnt die Natur gleich hinterm Bahndamm. Bis jetzt. | |
| In den Vorgärten hängen Banner mit der Aufschrift „Nein zum SC-Stadion im | |
| Wolfswinkel“. Im Wolfswinkel, so heißt die ruhige Wohnstraße, die ins Grüne | |
| führt. Bald könnten jedes zweite Wochenende bis zu 30.000 SC-Fans zum | |
| Heimspiel hier anreisen. So viele Plätze soll das neue Stadion haben. | |
| Gisela Maas kann dem nichts Positives abgewinnen und kämpft mit einer | |
| Bürgerinitiative gegen das Stadion. Sie fürchtet eine Blechlawine von Autos | |
| bei Spielen. Für eine neue Zufahrtsstraße müsste der Monte Scherbelino | |
| angeschnitten, müssten Teile des alten Mülls abgetragen werden. Wer weiß, | |
| was da zutage kommt? Der Segelflugplatz würde ersatzlos aufgelöst, und der | |
| rare Magerrasen, der erst nach Jahrzehnten ohne Bewirtschaftung entsteht, | |
| würde zerstört. Das Stadion könnte außerdem dazu beitragen, dass die | |
| Frischluftzufuhr für die Stadt je nach Windrichtung blockiert wird. Dabei | |
| rühmt sich die Stadt in einer Broschüre mit dem Namen „Green City Freiburg�… | |
| ihrer guten Durchlüftung vom Flugplatz her. Dass das jetzt egal sein soll, | |
| will Maas nicht akzeptieren. | |
| ## Werbeträger der Stadt | |
| „Hysterisch“ findet man die Diskussion beim SC Freiburg. Sein | |
| Pressesprecher freut sich über eine Formulierung aus der Süddeutschen | |
| Zeitung, wonach sich die Gegner so verhielten, als würde ein atomares | |
| Endlager im Wolfswinkel gebaut. In der öffentlichen Diskussion hält sich | |
| der SC bewusst zurück. | |
| Der Fußballclub braucht ein neues Stadion, weil das alte in einem | |
| Wohngebiet liegt und nicht mehr ausgebaut werden kann. Es heißt in Freiburg | |
| auch „die Puppenstube“. Das Spielfeld ist ein paar Meter zu klein, und es | |
| gibt nicht genügend Arbeitsplätze für Journalisten und Fernsehteams. Das | |
| eigentliche Problem ist ein anderes: Der SC Freiburg hat keine VIP-Lounges. | |
| Solche Plätze lassen sich teuer verkaufen, oft an Firmen. Einen | |
| einstelligen Millionenbetrag könne der Verein damit pro Jahr verdienen, | |
| sagt SC-Sprecher Rudi Raschke. | |
| Fehlende Lounges sind vor allem eines: ein Luxusproblem. Das sieht auch der | |
| Kommunikationsexperte der Stadt, Walter Preker, so. „Aber daran hängt auch | |
| die Wirtschaftlichkeit des Vereins, das müssen wir ernst nehmen. Der SC ist | |
| der bekannteste Werbeträger, den wir haben.“ Die Stadt hilft dem Verein bei | |
| der Suche nach einem Stadion-Standort und zahlt die Hälfte der dabei | |
| anfallenden Kosten. | |
| ## Kosten unklar | |
| Am Dienstagabend will der Freiburger Gemeinderat die nächsten Schritte | |
| beschließen. Die Räte entscheiden, ob Gutachter den Standort näher unter | |
| die Lupe nehmen sollen. Die Stadt müsste 325.000 Euro für die Untersuchung | |
| zahlen, der SC würde weitere 275.000 Euro drauflegen. Die Gegner erwarten | |
| eine breite Zustimmung im Rat. Wie viel das Stadion überhaupt kosten würde | |
| und wer es bezahlt, ist laut SC und Stadt ungeklärt. | |
| Stadionbau, ja oder nein? Und wenn ja, wo? Das Thema beherrscht die Stadt. | |
| Und hat das Potenzial, sie zu spalten. Die Front verläuft nicht zwischen | |
| Fußball-Fans und Fußball-Hassern. Der Stadionstreit ist ein Symptom für | |
| einen tiefer gehenden Konflikt zwischen der grün regierten Stadt und ihren | |
| Bürgern. Die Grünen werben mit ihrer Politik des Gehörtwerdens. Sie bemühen | |
| sich, diesen Politikstil zu leben, und scheitern doch daran. Freiburg hat | |
| mit einem Dialogverfahren versucht, die Betroffenen einzubinden. | |
| und tausend Leute kamen zum ersten Bürgergespräch in der Messe, in sechs | |
| Dialogforen ging die Diskussion weiter. Noch nie zuvor habe sich die Stadt | |
| Freiburg so intensiv um Bürgerbeteiligung bemüht, sagt Walter Preker. Er | |
| wirkt irritiert, wenn er die Kritik der Gegner hört, die Bürgergespräche | |
| seien eine Farce gewesen. Beim ersten im Juni 2013 sei gejohlt und gebuht | |
| worden. „Das war der Klassiker an Wutbürgern, wie ich es noch nie erlebt | |
| habe.“ | |
| ## Keine Totschlagargumente | |
| Es sind die Zwischentöne, die zeigen, wie zuspitzt der Konflikt bereits | |
| ist. Preker versteht nicht, dass die Stadiongegner einen ehemaligen | |
| Müllberg als Erholungsgebiet definieren. Und die Bewohner verstehen nicht, | |
| warum der Lärmpegel für ihr Wohngebiet vergleichsweise hoch sein darf. Wie | |
| der sich errechne, sei kompliziert, sagt Preker: „Das muss man lernen.“ | |
| „Die Bürgerinitiative wird verunglimpft“, sagt Gisela Maas. Ihr sei | |
| kolportiert worden, dass in einer Ausschusssitzung gesagt worden sei: „Das | |
| können wir nicht machen, sonst steigt uns die Frau Maas auf die Bäume.“ | |
| Sie sagt: „Früher habe ich das Engagement der Grünen für die Natur | |
| geschätzt, davon ist in Freiburg jetzt aber nichts mehr zu sehen. Ich habe | |
| mich über Salomon als grünen Bürgermeister gefreut. Aber Macht verändert | |
| die Leute.“ Sie kandidiert bei der Kommunalwahl im Mai deshalb für die SPD. | |
| Gutachter haben Auswirkungen eines Stadions auf Verkehr, Klima, | |
| Naturschutz, Lärm geprüft. „Dieser Weg ist ungewöhnlich und sollte Klarheit | |
| bringen, ob das Projekt überhaupt möglich ist“, meint Freiburgs OB, Dieter | |
| Salomon. „Die Stadt hat die Kritik von Beginn an ernst genommen.“ | |
| Bisher sind keine Totschlagargumente gegen den Bau aufgetaucht, das könnte | |
| bei einer intensiveren Prüfung allerdings passieren. Auf dem Gebiet und im | |
| angrenzenden Naturschutzgebiet, den Mooswäldern, leben laut erstem | |
| Schnellgutachten geschützte Vögel. „Artenschutzrechtliche Verbote“ stellt… | |
| „kein unüberwindliches Planungshindernis“ dar, heißt es dazu in den | |
| Gemeinderatsunterlagen. | |
| ## Nur eine Minderheit? | |
| „Die Gutachter sagen, die Straße mit Anstich der Mülldeponie ist möglich�… | |
| erklärt Walter Preker. „Und die Gutachter sind vergleichsweise grün | |
| angehaucht.“ Ein Meteorologe der Uni, Helmut Mayer, habe das Klimagutachten | |
| bestätigt: Die Frischluftzufuhr der Stadt werde nicht gefährdet. „Mehr | |
| können wir nicht machen“, sagt Preker. Am Verfahren der Stadt sei nichts | |
| auszusetzen. „Nur das Ergebnis gefällt nicht.“ Er glaubt, dass die | |
| Stadiongegner eine Minderheit darstellen. In anderen Stadtteilen sei den | |
| Leuten das Thema egal. | |
| Die Schwäche der Grünen in der Stadiondiskussion will Gerlinde Schrempp | |
| (67) ausnutzen. Die pensionierte Lehrerin ist Spitzenkandidatin der neuen | |
| Liste „Freiburg Lebenswert“. Seit langem ärgert sie sich über die | |
| Baupolitik der Stadt. Jetzt wird Schrempp bis Mai zur Hochform auflaufen, | |
| das sieht man ihr an, wenn ihre Augen durch das rote Brillengestell | |
| funkeln. | |
| „Freiburg Lebenswert“ (FL) will es bei der Wahl im Mai in den Gemeinderat | |
| schaffen. Hinter Schrempp stehen 47 stadtbekannte Leute, Lehrer, Ärzte, ein | |
| pensionierter Sparkassendirektor. „Wir werden das Thema Stadion massiv in | |
| den Wahlkampf tragen“, sagt Schrempp. Sie hatte selbst mal eine Dauerkarte | |
| für den SC. „Die sollen das Stadion bauen, aber ohne Hilfe der Stadt“, sagt | |
| sie. Mit dem Geld müsse Sinnvolleres getan werden: das stillgelegte Westbad | |
| sanieren und wiedereröffnen. Oder zusätzliche Unterrichtscontainer für | |
| überfrequentierte Schulen anschaffen. | |
| ## Kommunalwahlen im Mai | |
| Die Liste wird es in den Gemeinderat schaffen – das glaubt nicht nur | |
| Schrempp, das sagen auch kommunalpolitische Beobachter. Schrempp will den | |
| Mehrheitsfraktionen Mandate abspenstig machen. Den Grünen, Roten, | |
| Schwarzen, deren Politik sich kaum unterscheide. | |
| In der Stadt kursierte zuletzt die Information, dass die FL Unterschriften | |
| sammle, um einen Bürgerentscheid zum Stadion zu erzwingen. Schon auf diese | |
| erste Initiative der FL haben die Gemeinderatsfraktionen prompt reagiert: | |
| In der heutigen Sitzung entscheiden sie über den Antrag aller Fraktionen, | |
| selber einen Bürgerentscheid über das Stadion initiiert. Die FL freut sich | |
| derweil über ihren ersten Erfolg. | |
| Walter Preker denkt zurzeit öfter an Proteste in den 80er Jahren gegen das | |
| Konzerthaus zurück. Er erinnert sich an ein brennendes Auto, das in die | |
| Baugrube gestürzt worden sei. 1988 ist es dann zu einem Bürgerentscheid | |
| gekommen. Damit sei es der Stadt gelungen, die Gegner einzufangen. Sie | |
| akzeptierten das Ergebnis – pro Konzerthaus. | |
| Der Bürgerentscheid über das Stadion, hofft er, könnte die gleiche Wirkung | |
| haben. Aber der könne erst in einem Jahr stattfinden. Wenn die Finanzierung | |
| steht. Das Geld für Vorprüfungen ist dann weg. Nicht für Schulen oder das | |
| Westbad. Preker sagt: „Demokratie kostet Geld.“ | |
| Anmerkung der Redaktion, 26.2. 2014: In einer ersten Version des Artikels | |
| hieß es, die Stadtverwaltung habe auf die Initiative reagiert, es sind aber | |
| die Gemeindefraktionen. | |
| 25 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Müssigmann | |
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