| # taz.de -- Politische Geschichte des Fußballs: Linkes Rumgekicke | |
| > Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt legen ein Buch zur verdrängten | |
| > und subversiven Bedeutung des Fußballs vor: trotz Schwächen lesenswert. | |
| Bild: El Flaco und El Diez: Trainer César Luis Menotti im Gespräch mit Diego … | |
| Frühestens auf Seite 18 mit dem Lesen beginnen! Diesen guten Rat gilt es | |
| denjenigen mitzugeben, die dieses Buch aufklappen und lesen wollen. Da | |
| steht nämlich etwas drin, das weder dem Titel („Links kickt besser“) noch | |
| dem Untertitel („Der Mythos vom unpolitischen Fußball“) zu entnehmen ist. | |
| Sondern, trotz aller noch zu entwickelnden Kritik, etwas viel Besseres. | |
| Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt legen die Skizze einer politischen | |
| Geschichte des Fußballs vor; sie zeigen, dass schon der Vorläufer des | |
| geregelten Elf-gegen-elf-Gekickes, der folk football, von [1][Rebellion] | |
| gegen die Obrigkeit geprägt war. Sie zeigen die Kämpfe um Anerkennung der | |
| frühen, von Arbeitern getragenen Klubs aus dem englischen Norden, und dem | |
| wilden Fußball, dem Straßengebolze, sprechen die Autoren eine große | |
| politische Kraft zu: „Linke Tugenden fangen häufig beim Kicken an.“ | |
| Fußball als großes Geschäft wird behandelt, und die Rolle von Fans wird | |
| beleuchtet, die sich mit Kreativität und Militanz der Tendenz zum | |
| Investorenfußball entgegenstellen. Ein Kapitel handelt vom Fußball der | |
| Frauen, die im folk football noch dabei waren, dann ausgegrenzt wurden, | |
| sich bald in eigenen Klubs fanden, die daraufhin verboten und erst spät | |
| erlaubt wurden. Es geht um die gesellschaftliche Potenz des Frauenfußballs, | |
| die sich etwa im Iran oder in Saudi-Arabien zeigt, wo Frauen um ihr Recht | |
| auf Fußball noch kämpfen müssen. | |
| Und linke Fans und Spieler gehören in Storks und Wollenhaupts Geschichte | |
| des Fußballs: die kleinen, die beispielsweise in den 1970ern den | |
| Fortschrittlichen Schweizer Fussball-Verband (FSFV) gegründet habe, und die | |
| großen, die rund um [2][Sócrates] mit den Corinthians São Paulo den ersten | |
| selbstverwalteten Profiverein der Welt geschaffen hatten – und prompt | |
| zweimal die brasilianische Staatsmeisterschaft gewannen. | |
| Das und noch viel mehr steht in dieser lesenswerten linken Geschichte des | |
| Fußballs. Und doch lässt einen die Lektüre leider recht oft etwas ratlos | |
| zurück. Es scheint, als misstrauten die Autoren ihrem Material, weshalb sie | |
| immer wieder ironisierende Bemerkungen fallen lassen: beispielsweise, dass | |
| Karl Marx den FA-Cup-Gewinn der Blackburn Olympic, einen „triumphalen Sieg | |
| der Arbeiterklasse“, leider nicht erlebt habe. Das liest sich wie ein | |
| „Bitte alles nicht so ernst nehmen“. | |
| ## Menotti, die NFL und Fußballmetaphern | |
| Ohnehin ist das Buch leider immer gerade dann schwach, wenn es analytisch | |
| sein möchte: Da wird mal [3][Catenaccio] als eine Form des Klassenkampfs | |
| interpretiert, während an anderen Stellen der offensive Kick, den César | |
| Luis Menotti, vermutlich der Erfinder des Begriffs „[4][linker Fußball]“, | |
| spielen ließ, als Quintessenz sozialistischen Sportverständnisses gefeiert. | |
| Hier werden die Interpretationen passend gemacht. | |
| Als schwach und harmlos erscheinen auch die vermeintlich radikalen | |
| Schlussfolgerungen, die aus der Betrachtung des Fußballs gezogen werden: | |
| Wesentlich mehr als die 50+1-Regel anzuwenden, einen Salary Cap wie in der | |
| NFL einzuführen und dem DFB eine quotierte Doppelspitze zu verordnen, fällt | |
| den Autoren nach ihrem Gang durch die Fußballgeschichte leider nicht ein. | |
| Trotz aller Kritik: ein gutes Buch, wie es im deutschsprachigen Raum selten | |
| zu lesen ist. Und doch: Mehr als gut wäre besser gewesen. Und warum sollte | |
| man die Einführung nicht lesen? Weil da mit Fußballmetaphern, die witzig | |
| sein sollen, nur so um sich geworfen wird. | |
| 29 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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