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# taz.de -- Diego Maradona: El Diego, der gottgleiche Lausbub
> Aufsteiger, begnadeter Fußballer, Rebell, Projektionsfläche,
> Skandalnudel, tragischer Held: Warum der Trainer Argentiniens der größte
> Mythos des Fußballs ist.
Bild: So sprach Diego der Große: Du sollst keinen anderen Maradona neben mir h…
Diego Maradona ist Argentinien, Argentinien ist Maradona. Unangefochten ist
sein Status als Legende, Nationalheld, Halbgott. Und auch außerhalb
Argentiniens gibt es keinen Fußballer, der mehr polarisiert hat,
gleichermaßen geliebt und angebetet, verachtet und belächelt wurde.
Was ist es, das ihn zu einem Mythos hat werden lassen? Was gibt er den
Argentiniern, dass sie ihn so sehr verehren - trotz all der Entgleisungen,
die er sich in den vergangenen drei Jahrzehnten geleistet hat?
Seine Geschichte beginnt wie die vieler Helden: ganz unten, in Villa
Fiorito, einem Armenviertel von Buenos Aires. Doch ein sprichwörtlicher
Tellerwäscher ist jeder zweite Fußballstar, bei Maradona aber bildet die
Aufsteigergeschichte nicht mehr als die erste Schicht des Mythos, nur das
erste Kapitel einer nachgerade klassischen Heldenerzählung voll
übermenschlicher Taten und menschlicher Abgründe.
Gott und Lausbub
Das erste Mal spielt Maradona, gerade 17 Jahre jung, 1978 diese Rolle, als
ihn der große Nationaltrainer César Luis Menotti im letzten Moment aus dem
Kader des Nationalteams streicht und ihm so die Möglichkeit nimmt,
Weltmeister im eigenen Land zu werden. Maradona weint. Und er wird wütend -
eine Wut, die ihm, wie er später sagen wird, zum Motor wird.
Es ist diese Wut, die ihn 1986 durch die Weltmeisterschaft trägt. Seine
beiden weltberühmten Tore im Viertelfinale der WM 1986 gegen England - sein
irregulärer Handtreffer und sein Dribbling über den halben Platz, bei dem
er gleich sieben Gegner stehen ließ - sind, jedes auf seine Weise,
Störungen der Normalität. Das Unvorhersehbare, das ein Fußballspiel so
ergreifend macht, findet hier seine Vollendung. Und diese Tore sind
Sinnbilder der Rolle, die Maradona nach diesen 90 Minuten nie wieder
ablegen wird: der einsame Held, der gottbegnadete Künstler, die
Skandalnudel. Maradona, der Größenwahnsinnige, der seine Hand zu "Hand
Gottes" erklärt, und Maradona, der Lausbub, der alle an der Nase herumführt
und sich darüber so freut, wie nur ein kleiner Junge sich freuen kann. Der
Fußballer liefert die zweite Schicht des Mythos.
Hinzu kommen die historischen Umstände: 1986 ist Argentinien in einem
desolaten Zustand, die Diktatur ist drei Jahre vorbei, die Hyperinflation
liegt zwischenzeitlich bei 1.290 Prozent, hinzu kommt die Niederlage gegen
England im Falklandkrieg drei Jahre zuvor. Er hat gegen die Regeln gespielt
und England ausgespielt. "Auf seine Art hat Diego uns alle gerächt",
schreibt die Zeitung Noticias nach dem WM-Spiel. Und Jorge Latana von der
Zeitung Pagina 12 fragt lamentierend, ob Argentinien überhaupt dazu in der
Lage sei, eine moderne Gesellschaft zu sein, die die Regeln der
westeuropäisch-nordamerikanischen Welt befolgt, oder ob es für immer der
kleine Junge bleiben werde, der meint, er kann machen, was er will.
Nach dem Sieg über England wird Maradona nicht nur als begnadeter
Fußballspieler gefeiert, sondern als Rebell: in den Augen der politischen
Rechten als Rebell gegen die Engländer, in den Augen der Linken als Rebell
gegen das gesamte westlich-kapitalistische System, das Argentinien so nah
an den ökonomischen Abgrund gebracht hatte.
Über das Handspiel sehen die Argentinier generös hinweg. Auch sonst ist
1986 das Jahr des Vergebens und Vergessens: Mit dem "Schlusspunktgesetz"
und dem "Gesetz des pflichtmäßigen Gehorsams" wird die juristische
Verfolgung der mittleren und unteren Ebenen des Apparats der
Militärdiktatur verhindert - trotz der Ermordung von 30.000 Menschen in
dieser Ära.
Der Schriftsteller und Sportjournalist Osvaldo Soriano beschreibt Maradona
wohlwollend als "dummen jungen Mann, den die Welt und ihre Regeln einen
Dreck scheren". Dieses romantische Bild, das vollkommen außer Acht lässt,
dass Maradona an seinem Heldentum sehr gut verdiente, hat es geschafft,
sich festzusetzen.
Menem und Castro
Ab 1989 wendet sich das Blatt in Argentinien. Mit Carlos Saúl Menem kommt
der Peronismus wieder an die Macht, aber mit neuem Profil. Denn Menem steht
für die neoliberale Konsolidierung des Landes. Ihm gelingt es, der
Inflation ein Ende zu setzen und ein Wirtschaftswachstum zu befördern.
Zugleich betreibt er eine Politik der Privatisierung staatlicher
Unternehmen und Kürzungen im sozialen Bereich. Es ist eine Politik, die die
Nation spaltet, vielleicht sogar mehr, als es die Diktatur getan hat. Menem
begnadigt ehemalige Militärs, wird später wegen dubioser Waffengeschäfte
angeklagt, schließlich werden ihm Vetternwirtschaft und Korruption
nachgewiesen.
Maradona war vor Menem da, aber dessen Antritt als Präsident - der Retter
vor der Inflation - und Maradonas goldene Ära fallen zusammen. Und zwar in
einem Moment, in dem sich die Gesellschaft nach Rettung sehnt.
Argentinien ist Maradona. Aber Maradona ist längst mehr als Argentinien.
Seit er 1987 und erneut 1990 den SSC Neapel zur Meisterschaft und 1989 zum
Gewinn des Uefa-Pokals führt, wird er in Neapel und im Süden Italiens
ebenso vergöttert wie in seinem Heimatland. Er "spielt virtuos auf der
Klaviatur des Gegensatzes zwischen italienischem Norden/italienischem
Süden", schreibt der Historiker Pablo Alabarces. Die Szenen aus Neapel, in
denen Maradona gefeiert wird, gleichen denen aus Buenos Aires. Und dass man
ihn in Mailand hasst, ist ein Grund mehr, ihn im Süden zu lieben.
Als er bei der WM 1990 den Gastgeber Italien im Halbfinale aus dem Turnier
schießt - er verwandelt den entscheidenden Elfmeter im Elfmeterschießen -,
feiert ihn das Publikum in Neapel trotzdem.
Bereits 1987 reist Maradona zum ersten Mal nach Kuba, um seine Solidarität
mit Fidel Castro zu zeigen. Er zeigt sich kickend mit Menem und fordert mit
ihm die Todesstrafe für Drogendealer. Maradona hält den Abstand zur
Politik, der sich für einen Fußballer gebührt und geht nah genug auf sie
zu, um eine größere Rolle als die des Sensationsfußballers einzunehmen.
Seine Autobiografie "El Diego - Mein Leben", erschienen im Jahr 2000,
widmet er, außer seiner Familie und allen Fußballspielern der Welt, auch
Fidel Castro. Und Carlos Menem.
Nach seiner Zeit als Fußballer zeigt er sich öfter mit Castro und lässt
sich irgendwann das Konterfei des anderen berühmten argentinischen Popstars
und Rebellen, Ernesto Che Guevara, auf die Brust tätowieren.
Das ist die dritte Schicht des Mythos Maradona, der gesellschaftliche
Kontext, der ihn und sein Spiel zur Projektionsfläche aller möglichen
politischen Konflikte und Ideen werden lässt.
Doch Maschinen werden keine Helden. Maradona ist keine Maschine, er ist
fehlbar und angreifbar und das gab ihm die Portion Tragik, die ein wahrer
Held braucht. Zweimal wird er im Laufe seiner Karriere vor laufenden
Kameras wegen Drogenmissbrauchs abgeführt. Später verfolgt die ganze Welt
das Aufblähen des Körpers des einstigen Fußballgottes fassungslos, ebenso
die wundersame Wiederkehr nach einer Magenverkleinerung.
Im März 1991 werden Spuren von Kokain in seinem Urin gefunden, er wird für
15 Monate gesperrt und kehrt nach Buenos Aires zurück, wo er festgenommen
wird. Die Sperrung in Italien interpretiert seine Jünger als Rache für die
WM 1990, die Festnahme in Argentinien als Ablenkungsmanöver der Regierung
Menems von ihren krummen Geschäften.
Kokain und Ephedrin
1994 kehrt er in die Nationalmannschaft zurück, was als Comeback des
"Retters des Vaterlandes" euphorisch gefeiert wird. Dass er nach dem
letzten Vorrundenspiel bei der WM 1994 in den USA positiv auf Ephedrin
getestet und folglich aus dem Turnier ausgeschlossen wird, interpretieren
argentinische Medien erneut als Verschwörung und tragen Trauer. Die
krudesten Theorien kursieren - von der Fifa, der CIA und dem Vatikan waren
alle daran beteiligt, den Helden der Nation und damit die Nation selber
endgültig zu stürzen. Das Ausscheiden Argentiniens im Achtelfinale tut ein
Übriges, um diese Sicht zu erhärten.
Diese Art, aus dem internationalen Fußball auszuscheiden, ist einer der
tragischsten Momente seines Lebens. Vor allem außerhalb Argentiniens sieht
man in ihm den Spieler, der es nicht geschafft hat, einen würdigen Abschied
zu finden. Maradona geht zurück zu seinem Club Boca Juniros, wo er noch
vier Jahre ruhmlos und schlecht spielt, ehe er aufhört.
Aber, so schreibt Alabarces: "Wenn es um Maradona geht, ist nie das letzte
Wort gesprochen - niemals." Er sollte recht behalten. 2008 wird Maradona
überraschend Nationaltrainer. Und natürlich ist auch diese Zeit gespickt
mit Erfolg, Tragik und Skandal. Und wie auch immer diese WM verlaufen wird
- sie wird, so oder so, seine WM werden. Er ist wieder da. Und er hat seine
Wut dabei. Und das in einer durchkomponierten Fifa-Fußballwelt, die, was er
verkörpert, nur als Werbeparolen kennt: Leidenschaft, Wut und Tragik.
11 Jun 2010
## AUTOREN
Frauke Böger
## TAGS
Fußball
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