| # taz.de -- Kolumne Blicke: Grüne Märchen | |
| > An der grünen Basis grummeln manche immer noch, die taz sei schuld am | |
| > enttäuschenden Wahlergebnis. An der Parteispitze ist man schon weiter | |
| Bild: War die taz der böse Wolf? Eher nicht | |
| Am Freitagnachmittag liegt das Wochenende vor einem wie ein gestrandeter | |
| Blauwal. Schön, oder? Aber schön ist kein Beruf, wie wir hier in Berlin | |
| sagen. Als ich am Freitag gegen 16 Uhr eins meiner Kinder vom Hort abholte, | |
| fiel von uns beiden die ganze Woche ab, wir plauderten, wir schlenderten, | |
| wir würden am Kiosk ein Eis kaufen oder zwei, ein Bier und eine Cola | |
| trinken. | |
| Auf dem Weg zu den kleinen Freuden grüßte mich plötzlich ein deutscher | |
| Spitzenpolitiker, der auch gerade sein Kind abgeholt hatte; der gerade noch | |
| ganz ähnlich wie ich dem 48-Stunden-dem-Laufstall-Entkommen | |
| entgegengetänzelt war. | |
| Nun gibt es für einen deutschen Spitzenpolitiker keinen Grund, mich zu | |
| grüßen. Ich sehe meinem Foto nicht mehr ähnlich, ich bin keine Figur des | |
| öffentlichen Lebens. War es also einfach ein Gruß von Vater zu Vater | |
| gewesen, ein Zunicken unter Wochenendlern? Schön wär’s. | |
| Aber ich fürchte doch eher, dass es für einen deutschen Spitzenpolitiker | |
| kein Wochenende gibt. Und wenn ihm sein politischer Kopf sagt, er müsse | |
| jetzt jemanden grüßen, weil das sonst vielleicht negativ ausgelegt würde; | |
| oder weil er sogar denken muss, vielleicht ist das jemand, der das auch | |
| noch verbreitet à la: „Unglaublich arrogant ist der, dieser deutsche | |
| Spitzenpolitiker!“ Dann ist das unmenschlich. Es schmerzt. | |
| Womit ich beim Samstag bin, bei der morgendlichen Zeitungslektüre im Bett, | |
| bei der grünen Basis beziehungsweise ihrem Unterleib: Immer noch nämlich | |
| findet sich auf der Leserbriefseite unserer kleinen Zeitung die These, die | |
| taz sei während des Wahlkampfs mit der „aufgewärmten Pädophiliedebatte“ … | |
| Grünen „in die Parade gefahren“. | |
| Da einer den Müll ja runterbringen muss, sei hier für die Ewigkeit | |
| respektive bis zum Klimakollaps festgehalten, dass nicht die taz Daniel | |
| Cohn-Bendit am 20. April dieses Jahres den Theodor-Heuss-Preis verliehen | |
| hat. | |
| Lassen wir die Moral stecken und überlassen wir es der Internetrecherche | |
| der Interessierten, wie etwa Sophie-Scholl-Preisträger und | |
| Odenwaldschulopfer [1][Andreas Huckele] Daniel Cohn-Bendits einschlägige | |
| Äußerungen bewertet. | |
| Dass diese Preisverleihung ein Affront, schlimmer, ein schwerer politischer | |
| Fehler war, wussten die Grünen irgendwann selbst, spätestens am 16. 9. 13, | |
| als das „Team Grün“ auf Anfrage Auskunft gab: „Die Äußerungen zur | |
| Sexualität von Kindern, die Daniel Cohn-Bendit vor fast 40 Jahren in einem | |
| Buch veröffentlicht hat, teilen wir nicht. Sie waren damals falsch und sind | |
| es auch heute noch. […] Daniel Cohn-Bendit wird bei der Europawahl im | |
| kommenden Jahr nicht erneut für ein Abgeordnetenmandat kandidieren und sich | |
| danach aus der aktiven Politik zurückziehen.“ | |
| Kurz und grün gesagt: Opa kommt eh ins Heim, reden wir nicht mehr über ihn. | |
| Im Kuratorium, das Daniel Cohn-Bendit den Preis zuerkannte, saß übrigens | |
| der deutsche Spitzenpolitiker, der mich auf dem Weg ins Wochenende grüßen | |
| zu müssen glaubte. Vielleicht dringt seine Übervorsicht ja bei den Grünen | |
| irgendwann bis nach ganz unten durch. Als Kultur der Achtsamkeit. Oder so. | |
| 10 Nov 2013 | |
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| [1] http://www.sueddeutsche.de/panorama/sexualisierte-gewalt-kinder-gehen-uns-a… | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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