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# taz.de -- Dachbegrünung fördert Biodiversität: Grüne Biotope hoch oben in…
> Wie eine amerikanische Biologin auf Berliner und Neubrandenburger Dächern
> nach der grünen Stadt der Zukunft sucht.
Bild: Grünes Dach in Berlin-Prenzlauer Berg.
NEUBRANDENBURG taz | [1][Kelly Ksiazek] stapft über den trockenen Rasen auf
einem Neubrandenburger Hochschuldach. Unter ihren Füßen Gräser, Kräuter und
Blumen, die auch im Hochsommer der Trockenheit in der prallen Sonne, hoch
über den Dächern der mecklenburgischen Stadt, widerstehen können.
[2][Die junge Wissenschaftlerin aus Chicago] hat hier auf dem Dach eines
Einkaufszentrums der Stadt und noch auf acht weiteren Gebäuden in Berlin
Fallen aufgestellt: im Grunewald und am Alex. Kellys Fallen sind mit bunter
Flüssigkeit gefüllte Marmeladengläser. Selbst erfunden und gebaut.
„In Deutschland gibt es gute, brauchbare Gründächer“, erklärt die
Pflanzenbiologin und Naturschützerin. „Bis jetzt weiß ich noch nicht, ob es
zwischen den beiden Städten einen Unterschied gibt. Aber es scheint so,
dass die größeren Unterschiede in Pflanzen- und Tierwelt eher von der
Beschaffenheit des Dachs als vom Standort abhängen.
Obwohl Berlin eine größere Stadt ist, gab es dort einige Gründächer mit
einer großen Vielfalt an Pflanzen und Tieren“, resümiert die Forscherin
ihre Arbeit in Deutschland.
Daheim in Chicago hat die Doktorandin 2011 ein Buch mit dem Titel: „Sex in
the City“ publiziert. Untertitel: „Eine Beurteilung der Bestäubung auf
begrünten Dächern in Chicago“. Wonach sucht die Wissenschaftlerin über
deutschen Dächern und daheim in der US-Metropole?
Die Biologin konnte im Sommer 2013 im Rahmen eines akademischen
Austauschprogramms mit ihren Fallen auf deutschen Dächern in Erfahrung
bringen, was hoch oben über deutschen Städten überhaupt kreucht und
fleucht. Neben Käfern und Insekten interessieren die junge
Wissenschaftlerin besonders die zu den Hautflüglern gehörenden solitär
lebenden Wildbienen. Um mehr über diese Nützlinge und ihre Verwandten zu
erfahren, hatte sie sich in Neubrandenburg mit Johann-Christoph Kornmilch
in luftiger Höhe verabredet.
## Mensch und Biene
Der Biologe vom Zoologischen Institut der Universität Greifswald gilt als
der Bienenexperte in Mecklenburg-Vorpommern schlechthin. „Früher gab es
eine Allianz zwischen Mensch und Biene“, ist er überzeugt. Die Bienen und
andere nützliche Insekten hätten lange sogar vom menschlichen Handeln
profitiert. „Durch die Urbarmachung und Öffnung der Landschaften haben
viele Arten erst durch die Urbanisierung in Mitteleuropa einen Lebensraum
gefunden“, weiß der Bienenspezialist zu berichten. Vorher gab es vor allem
an Flussufern, Hängen und zwischen Felsgeröll Nist- und Brutplätze für die
Einzelbienen und Wespen.
Doch in seiner „Umgestaltungswut“ sorgt der Mensch inzwischen längst dafü…
dass Primärlebensräume vieler Insekten verschwunden sind oder immer knapper
werden. Die unterschiedlichen Bienen leisten für den Menschen aber weit
mehr als die Honigproduktion der kultivierten und domestizierten
Bienenvölker der Imker, gibt Kornmilch zu bedenken.
Zu den Ökosystemdienstleistungen – einem sehr sperrigen
Wissenschaftsbegriff – gehöre zu allererst die Bestäubung. „Etwa ein
Drittel aller unserer Lebensmittel gäbe es ohne Insekten nicht“, hebt er
die Leistung auch der Wildbienen, Hummeln und Wespen hervor.
Deutsche und französische Wissenschaftler haben errechnet: Durch das Fehlen
von bestäubenden Insekten würde der Menschheit ein wirtschaftlicher Verlust
von 190 bis 310 Milliarden Euro pro Jahr entstehen. Auch weil ein solcher
wirtschaftlicher Wert noch kaum anerkannt wird, setzen sich Biologen und
Ökologen wie Kornmilch und Ksiazek für die Artenvielfalt in Stadt und Land
ein.
## Nicht nur Honigbienen
Ksiazeks Gründachforschung beschäftigte sich nicht expliziert mit
Honigbienen, eher mit ihren wilden Schwestern. Auch wenn Bienenvölker wegen
ihres Honigs inzwischen immer öfter auch von urbanen Imkern gehalten und
auf Gründächer hoch über Ballungszentren ausgeschickt werden: „Sie sind nur
eine Bienenart, die in den Städten vorkommt“, kann die Forscherin bereits
jetzt sagen.
Sie habe mehr als 50 verschiedene Bienenarten auf den Gründächern ihrer
Studie nachweisen können und schlussfolgert: Wenn viele verschiedene Arten
von Blütenpflanzen, die Nektar und Pollen produzieren, Dächer begrünen,
würde das auch vielen der anderen Bienenspezies helfen – nicht allein den
Honigsammlern.
Kelly Ksiazek aus Chicago entwirft mit ihren Forschungen eine Visionen von
„grünen Zukunftsstädten“. Denn die begrünten Dächer sind nicht nur für…
Menschen eine gute Sache. „Solche Dächer können fast perfekt eine
Prärielandschaft ersetzten, die anderenorts der Mensch den Insekten
entfremdet oder zerstört hat“, hofft die Ökologin.
Einen Sommer lang konnte sie akribisch Daten über Pflanzen, Böden, Umgebung
und Insekten auf den Gründächern von Neubrandenburg und Berlin
zusammentragen. Jetzt arbeitet Kelly Ksiazek daran, einen Großteil der
Insekten zu identifizieren, um mehr darüber zu verstehen, welche Arten von
Tieren Gründächer nutzen und von ihnen profitieren.
Bisher hat sie zum Beispiel herausgefunden, dass viele Pflanzen- und
Insektenspezies von ganz alleine auf die Dächer gelangen. Auf einigen waren
über die Hälfte der Pflanzen ursprünglich nicht vom Menschen gepflanzt
worden, konnte sie feststellen.
„Bis jetzt weiß ich aber noch nicht, welche Faktoren für die Pflanzen oder
Tiere, die sich hoch oben ansiedeln, eine Rolle spielen.“ Allerdings sehe
es danach aus, dass die Art und Tiefe der Böden auf den Dächern, sowie die
Menge der Sonneneinstrahlung die Pflanzenwelt beeinflussen. Die wiederum
hat entscheidenden Einfluss auf die vorkommenden Tiere hoch über den
Städten. „Ich freue mich jetzt darauf, daheim einen genaueren Blick auf die
Daten zu werfen, an meiner Universität in Chicago.“ Inzwischen hat die
Wissenschaftlerin ihre Koffer in Deutschland gepackt.
## Biologische Vielfalt
Gründächer könnten von vielen Pflanzen und Tieren genutzt werden, die sonst
keinen Lebensraum oder keine Ressourcen – etwa Insektennahrung – in den
Städten finden. Kellys Forschungen helfen Ökologen, Stadtplanern und
Architekten zu verstehen, welche Arten und Formen von Gründächern dazu
beitragen, die Artenvielfalt zu steigern und somit die gesamte urbane
Biodiversität in unmittelbarer Nachbarschaft des Menschen zu erhöhen.
Es gibt viele Pflanzenarten, die eine trockene oder felsige Umgebung gut
vertragen und die damit für Gründächer geeignet wären. Und natürlich auch
Tiere, die es vorziehen, in heißer, trockener Umgebungen oder auf
sonnenüberfluteten Flächen zu leben. „Die würden auch Gründächer mögen�…
ist sich Kelly Ksiazek nach ihrem Sommer in Berlin und Neubrandenburg
sicher.
Die Ökologen sprechen von „Nahrungsnetzen“, in denen eine Reihe von
interagierenden Organismen, die aufeinander als Nahrung angewiesen sind,
miteinander in Beziehung stehen. Normalerweise können mehr Pflanzen auch
mehr Insekten oder Mollusken – wie Schnecken – ernähren, die wiederum mehr
Vögel und Reptilien ernähren können. So wird das gesamte Nahrungsnetz
größer.
Doch nicht jedes Gründach sei in der Lage, sagt Kelly Ksiazek, ein großes
Nahrungsnetz zu versorgen. Einige können es aber gut, insbesondere wenn sie
mit dieser Idee im Hinterkopf designt und gebaut werden. In Deutschland
fand sie solche Dächer, die schon 20 oder sogar – wie in Berlin – 50 Jahre
alt sind.
15 Dec 2013
## LINKS
[1] http://phippsbotanyinaction.org/follow-the-fellows/kelly-ksiazek/
[2] http://www.plantbiology.northwestern.edu/people/students/kelly-ksiazek.html
## AUTOREN
Ralph Schipke
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