| # taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Wo die wilden Blumen wohnen | |
| > Wenn man regelmäßig gießt, blühen, wachsen und gedeihen die Pflanzen | |
| > auch. Sogar auf dem Dach der taz. Eine kleine Gartenkunde. | |
| Bild: Wenn es die Natur nicht richtet, mit Regen oder dem Morgentau: dann muss … | |
| Die taz hat drei Gärten: zwei oben auf dem Dach und einen unten im | |
| taz-Café. Einer der Dachgärten befindet sich über zwei angemieteten Etagen | |
| in einem Bürohaus und ist mit einer Bienenflora bepflanzt. Die | |
| dazugehörigen drei Bienenstöcke kümmern leider vor sich hin. Ein Volk starb | |
| im Winter, ein anderes wurde kürzlich von Wespen überfallen. Der für die | |
| Bienen zuständige Imker will das Experiment im Herbst abbrechen: Der sehr | |
| windige Standort ist für Bienen nicht geeignet. Und sowieso zieht die taz | |
| im kommenden Jahr in ihr neues Verlagsgebäude um. | |
| Die zwei Gärten im alten taz-Haus existieren schon seit Jahrzehnten. Weil | |
| sie von Mitarbeitern nebenbei bewirtschaftet werden, haben sie eine | |
| wechselhafte Geschichte hinter sich. Seitdem ich sie regelmäßig gieße, | |
| blühen, wachsen und gedeihen die Pflanzen dort immerhin üppig. Der Rasen | |
| auf dem Dachgarten leidet allerdings unter dem Rauchverbot im Gebäude. Zu | |
| viele Mitarbeiter nutzen ihn täglich für ihre Rauchpausen. Und unten um das | |
| Café herum leiden die in Kübeln wachsenden Pflanzen unter zu vielen, mit | |
| Verlaub, Arschlöchern, die sie einfach ausrupfen oder ihre Blüten | |
| abbrechen. Zudem werden sie auch noch mit den „To go“-Plastikbechern und | |
| den dazugehörigen Papierservietten zugemüllt. | |
| Es gibt Nutzgärten, Ziergärten und wilde Gärten. Letztere dienen primär dem | |
| Sammeln von Lebenswissen. Es geht in ihnen darum, zuzuschauen, wie alles | |
| wächst oder eben nicht, also das Leben zu studieren. Was die | |
| Naturwissenschaften leider aufgeben: Sie interessieren sich nur noch für | |
| die „Algorithmen des Lebendigen“. | |
| In den ästhetischen Ziergärten werden die Gewächse vorwiegend nach ihren | |
| Farben und Formen, vor allem der Blüten, ausgewählt. Eine solche | |
| „Gartenkunst“ gehört der geschichtlichen Herkunft, dem Aufwand und den | |
| Investitionen nach zur Hochkultur. Die Natur ist für diese Gartengestalter | |
| ein bloßer Materialfundus. | |
| ## Aus der Not geboren | |
| Im Gegensatz zu den Ziergärten entstanden die Nutzgärten aus der | |
| Ernährungsnot der Armen, sie institutionalisierten sich als | |
| Kleingartenkolonien in den zwei Weltkriegen. In ihren Satzungen ist | |
| vielfach noch heute festgelegt, dass auf mindestens einem Drittel der | |
| Parzellenflächen Lebensmittel angebaut werden müssen. Von der neuen „Urban | |
| Gardening“-Bewegung werden ebenfalls – meist auf Hochbeeten – Nutzpflanzen | |
| angebaut. Es geht diesen Gärtnern dabei um „gesunde Lebensmittel“. | |
| Bei den Urban-Gardening-Projekten scheint es ein Problem zu sein, dass | |
| viele ihr Interesse daran nicht jahrelang durchhalten können: weil sie | |
| einer Arbeitsstelle hinterherziehen, zu oft unterwegs sein müssen oder der | |
| Langsamkeit des pflanzlichen Gedeihens sonst wie nicht Rechnung tragen | |
| können. Nicht wenige Pflanzen brauchen aber einige Jahre, bis sie das erste | |
| Mal richtig tragen, Obstbäume noch viel länger. | |
| Auf dem Dachgarten des taz-Hauses wurden einige Jahre auch mal Erdbeeren | |
| angepflanzt. Seit drei Jahren entsteht dort jedoch ein wilder Garten, das | |
| heißt in diesem Fall, dass es sich bei den Pflanzen zwar um gezüchtete aus | |
| der Gärtnerei handelt, sie aber möglichst so wachsen sollen, wie sie | |
| wollen, und sich auch so aussäen. | |
| ## Schaffen eines Überlebensraumes | |
| In einem Sachbuch von Reinhard Witt wird der Wildgarten als ein | |
| „Überlebensraum für unsere Pflanzen und Tiere“ bezeichnet. Der | |
| Schriftsteller Helmut Salzinger hatte genau dies im Sinn mit seinem | |
| Grundstück: Eine Natur-Arche in einem Meer der Denaturierung. Ringsum | |
| befanden sich nur baumlose Weiden, als er anfing, überall Sträucher, Büsche | |
| und kleine Bäume auszugraben, um sie in seinem Garten wieder anzupflanzen: | |
| „Alle geklaut!“, wie er in seinem 1992 veröffentlichten Buch „Der Gärtn… | |
| im Dschungel“ schrieb. | |
| Zunächst ging ihm vieles ein, aber anderes blühte geradezu auf. Und schon | |
| bald fanden sich die ersten Singvögel in seinem Garten ein. Ihnen folgten | |
| wenig später Raub- und Rabenvögel. Helmut Salzinger schrieb, dass er „den | |
| Garten als Versuch betreibt, Lebensraum zu schaffen, Raum für Lebewesen | |
| jeder Art“. Und doch griff er immer wieder ein und jätete zum Beispiel | |
| gern. Sein Garten veränderte sich aber auch von sich aus jedes Jahr, wie er | |
| meinte. | |
| Doch um das richtig wahrzunehmen, brauchte er eben einige Jahre. | |
| Meine diesbezügliche Wahrnehmung endet leider 2018 mit dem Umzug in das | |
| neue Verlagsgebäude. Wo es allerdings zwei neue Dachgärten geben wird. | |
| Hoffentlich mit Pflanzen, die weder in ästhetischer noch in nützlicher | |
| Hinsicht verdinglicht werden und mit viel sogenanntem Unkraut dazwischen. | |
| 27 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
| ## TAGS | |
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