# taz.de -- Insekten für Feinschmecker: Knusprige Seidenraupe auf roter Bete | |
> Insekten gelten als Proteinlieferanten. Auch im Gourmetland Frankreich | |
> bekommt man Wasserwanzen im Restaurant und Grillen im Supermarkt. | |
Bild: „Bon appétit“ wünscht man dem „Entomophage“ – also dem Insekt… | |
PARIS taz | Ein Festmenü der speziellen Art serviert in Paris das | |
Restaurant „Le Festin nu“ im 18. Bezirk. Da gibt es neben ganz | |
traditionellen Gerichten die mit eingemachten Peperoni und Granatapfelsamen | |
dekorierte Riesenwasserwanze oder eine sehr ästhetisch angerichtete | |
knusprige Seidenraupe auf roter Bete mit Estragon. „Bon appétit!“ wünscht | |
Elie Daviron, der Wirt. | |
„Mein Konzept ist es nicht, ein ausschließliches Insektenrestaurant zu | |
werden, ich will meinen Gästen einfach eine exklusive und überraschende | |
kulinarische Erfahrung bieten“, sagt Daviron. Seit Jahren habe er sich | |
schon für diese proteinreichen Tiere interessiert, die zwar für die | |
europäischen Durchschnittsverbraucher noch tabu, in Wirklichkeit aber sehr | |
schmackhaft seien. | |
Auch die Welternährungsorganisation FAO sieht in den Insekten den Schlüssel | |
zum Problem der Ernährung einer Weltbevölkerung, die bis 2050 auf neun | |
Milliarden anwachsen und so die Nachfrage nach Proteinen praktisch | |
verdoppeln dürfte. Schon 2010 startete sie eine Kampagne, mit der sie das | |
Image der Krabbeltierchen verbessern und Zuchtprojekte fördern will. Dabei | |
nimmt sie durchaus auch die reicheren Länder ins Visier. | |
Denn Insekten gelten wegen ihres hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren, | |
Ballaststoffen und Vitaminen als besonders gesund – und sie haben eine | |
ungleich bessere Energiebilanz als etwa Rinder. Während eine Kuh acht Gramm | |
Futter zu sich nehmen muss, um ein Gramm zuzulegen, sind es bei einem | |
Insekt nur zwei Gramm. | |
Außerdem scheidet das Insekt selbst bei der Verdauung deutlich weniger | |
klimaschädigendes Methan aus. | |
## Ein Ersatz für tierische Eiweiße | |
In Frankreich ist deshalb nicht nur Daviron davon überzeugt, dass Insekten | |
ganz klar zur Nahrung der Zukunft gehören. Auch der Jungunternehmer Cédric | |
Auriol ist auf den Zug aufgesprungen. 2011 hat er in Toulouse mit einem | |
Entomologen und einem Agronomen sowie 250.000 Euro Eigenkapital die Firma | |
Micronutis gegründet. Hier werden erstmals im großen Stil Insekten | |
gezüchtet, die als ganz besondere Delikatesse oder als Ersatz für andere | |
tierische Eiweiße auf den Teller kommen. | |
Angesichts einer noch ziemlich beschränkten Nachfrage kann man zwar noch | |
nicht von einer industriellen Produktion sprechen. Aber immerhin kann | |
Auriol heute bereits eine Tonne Grillen oder Mehlwürmer liefern. | |
Für 2014 hat sich Micronutis vorgenommen, die Produktionskapazitäten zu | |
vervierfachen. In diesen Tagen sollen Insekten aus der eigenen Produktion | |
nicht nur bei vereinzelten Küchenchefs in Toulouse oder auch bei | |
Chocolatier Guy Roux zur innovativen Gaumenfreude vorgesetzt werden, | |
sondern auch in Supermärkten in Pulverform zur kulinarischen Verwendung im | |
Angebot stehen. | |
Bisher konnten Liebhaber dieser essbaren Insekten die Päckchen nur direkt | |
im Internet für 12,50 Euro pro Pack bestellen. Die Gebrauchsanleitung | |
liefert Auriol dabei mit. „40 Grillen oder 160 Mehlwürmer ersetzen eine | |
Portion Fleisch. Man kann sie entweder ganz oder in Pulverform kosten.“ Er | |
versichert, er sei bereits ein überzeugter „Entomophage“, also | |
Insektenesser, und verzehre drei Kilo im Monat aus seiner Produktion. | |
## Ein völlig unbegründeter Ekel | |
Natürlich weiß auch er, dass die meisten Mitbürger schon beim Anblick | |
seiner schmackhaften Tierchen einen Ekel empfinden. Diese Hemmschwelle aber | |
soll leicht zu überwinden sein. Jegliche Angst vor der unbekannten Kost sei | |
völlig unbegründet, wirbt der Unternehmer. In vielen Weltgegenden äßen die | |
Menschen von jeher und bis heute sogar immer mehr der kleinen sechsbeinigen | |
Tiere mit oder ohne Flügel, Fühler oder knackige Panzer. | |
Bleibt die Frage, wie das alles eigentlich gesetzlich geregelt ist? | |
Europaweit bislang gar nicht. Im derzeitigen Regelwerk „Novel food“ sind | |
solche kulinarische Innovationen nicht vorgesehen. Sie sind also weder | |
verboten noch erlaubt noch entsprechend kontrolliert. | |
In Frankreich werden der Verkauf und Genuss von Insekten vorerst | |
stillschweigend toleriert. Belgien ist bisher am weitesten und hat als | |
erstes EU-Land offiziell bereits zehn Sorten – unter anderem | |
Wanderheuschrecken, Heimchen, Schwarzkäfer und Wachsmotten – als | |
menschliche Nahrung zugelassen. | |
Bis eine neue EU-Regelung in Kraft treten kann, wird es mindestens bis 2016 | |
dauern. So lange können sich wagemutigere Konsumenten und die kulinarischen | |
Tester vom Guide Michelin schon mal an den neuen Trend der französischen | |
Gastronomie gewöhnen. | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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