# taz.de -- Sommerserie „Geschmackssache“: Auf der grünen Wiese | |
> Bei Obst und Gemüse gibt es ein „Geschmacks-Ertrags-Dilemma“, sagt | |
> Biogärtner Heiko Weider. Seine Tomaten sind kapriziös und schmecken. | |
Bild: Nicht auf Leistung getrimmt: Die Ruthje-Tomaten in Heiko Weiders Gewächs… | |
LEITZKAU taz | Satte, saftige Insekten torkeln über hüfthohen Gräsern. In | |
den Bäumen leuchten Pflaumen und dottergelbe Myrobalanen. Heiko Weider | |
steht in seinem Garten, er lächelt fein und sagt: „Mein eigenes | |
Königreich.“ Dann schlurft er in Crocs über die Wiese, zu dem halbrunden | |
Gewächshaus, das zu DDR-Zeiten einmal ein Kino war. | |
Weider hat es verlassen nahe dem Plattensee gefunden. Er hat es abgebaut, | |
auf seinem Land neu errichtet und die stählernen Bögen mit durchsichtiger | |
Folie bespannt. Drinnen stehen Tomatenpflanzen. Der Biogärtner angelt eine | |
rote, leicht herzförmige Frucht aus den Blättern hervor. Sie schmeckt | |
kräftig, süß und würzig. Ruthje, so heißt die Sorte. | |
Draußen wächst „Klapproths Wintertomate“, die im Gewächshaus schimmeln | |
würde und unter freiem Himmel auch. Heiko Weider hat für sie eine spezielle | |
Konstruktion gebaut, ein Spitzdach auf Holzbeinen, unter dem sie geschützt | |
ist, aber genug Luft kriegt. „Die baut keiner mehr an, weil sie wenig | |
Ertrag hat und ein bisschen kompliziert ist“, sagt er. | |
## Anspruchsvolle Tomate | |
Das ist einerseits kein Wunder, so anspruchsvoll, wie die Pflanze ist, | |
andererseits aber auch ein Jammer wegen ihres umwerfenden Aromas, und genau | |
darin besteht der Zwiespalt, in dem jeder steckt, der Gemüse pflanzt. Der | |
Dualismus, den Weider das „Geschmacks-Ertrags-Dilemma“ nennt. Man kann sich | |
die Sache vorstellen wie eine Leiste zwischen zwei Polen: Auf der einen | |
Seite steht die industrielle Landwirtschaft, wo die Tomaten auf Steinwolle | |
wachsen, egal zu welcher Jahreszeit. | |
Neue Sorten, die auf Leistung getrimmt sind, synthetisch gedüngt und mit | |
Fungiziden, Herbiziden, Insektiziden gespritzt, schnell im Wachstum, robust | |
beim Transport. Blass im Geschmack. Auf der anderen Seite steht Weider, ein | |
armer König in einem zugewucherten Reich, in dem paradiesische Früchte | |
reifen. | |
In guten Monaten verdient er damit 2.000 Euro. In schlechten gerade 600. | |
Dafür steht er um 4 Uhr früh auf, arbeitet bis zu 14 Stunden am Tag. „Es | |
ist schwierig“, sagt er, „sehr schwierig.“ | |
Heiko Weider ist ein schlanker Mann, 36 Jahre alt, blonder Zopf, | |
Schmutzstreifen auf der Latzhose. Er ist in Leitzkau aufgewachsen, einem | |
Ort im Jerichower Land, Sachsen-Anhalt. Das Haus, in dem er lebt, gehört | |
seinem Vater. Er hat sich an den abgeschabten Holztisch in der Küche | |
gesetzt und Tee eingegossen. „Japanische Minze“, sagt er, „die fetzt | |
richtig.“ Aus eigenem Anbau, natürlich. | |
Durch die Glastür neben ihm ist ein kleiner Garten zu sehen, ein halbes | |
Dutzend Hähne reckt die Hälse. Auf den Fliesen schnarcht Paule, die | |
Riesenschnauzermischung. Heiko Weider ist gelernter Steinmetz. Sein erstes | |
Stück Land hat er nach der Wende gekauft. 1,5 Hektar Streuobstwiese, für | |
7.300 D-Mark. | |
Nach und nach kamen weitere Flächen dazu. Er begann auszuprobieren, was | |
sich damit anfangen lässt. Erst als Experiment. Dann wurde die Sache | |
ernster. Vor drei Jahren hat er seine Stelle als Steinmetz gekündigt. „ | |
’Beruf‘ kommt von ’Berufung‘, find‘ ich“, sagt er, die eine Hand | |
aufgestützt, in der anderen eine selbst gedrehte Zigarette, er sinniert: | |
„Was mich angekotzt hat, das waren die Chefs, diese dicken, feisten Typen, | |
die du noch dicker und feister machst.“ | |
## „Du hast ja ’ne Macke“ | |
Weider wollte selbstständig sein, mehr noch: selbstversorgend. Inzwischen | |
isst er fast nur noch das Fleisch der Hühner, die er selbst großzieht, und | |
Obst und Gemüse aus seinem Garten, je nach Saison. „Wie zu DDR-Zeiten. Da | |
gab’s ja auch keine Südfrüchte.“ Das Geschäft aber läuft noch recht zä… | |
Weider arbeitet zwar mit einem Biolieferservice zusammen, der sein Erntegut | |
zu Kunden zwischen Halle und Magdeburg bringt. Er verkauft jeden | |
Freitagnachmittag in seinem Garten, und einmal im Monat in Dessau auf dem | |
Markt. | |
Aber ihm fehlt die Kundschaft, eine bestimmte Masse von Menschen, die sein | |
Biogemüse zu schätzen wissen und bereit sind, dafür den entsprechenden | |
Preis zu zahlen. „Sachsen-Anhalt ist ’ne Ökobrache“, sagt er. „Das | |
Verständnis ist nicht da.“ Im Supermarkt gibt es Tomaten für ein Euro das | |
Kilo. Bei Weider kosten sie fünf, und es passiert, dass die Leute den Kopf | |
schütteln und sagen: „Du hast ja ’ne Macke.“ | |
Dann steht er auf, tritt aus dem Haus und steigt in seinen staubigen Nissan | |
Navara. Er lässt die Siedlung hinter sich, schaukelt über ungepflasterte | |
Feldwege, der Horizont weitet sich. Von seinem Schlüssel baumelt eine | |
Plastikkuh. Chemie im Garten, das kam für ihn nie infrage. Noch heute muss | |
er oft an seinen Onkel denken, der als Brigadier in einer Spritzkolonne | |
gearbeitet hat. „Der ist daran gestorben“, sagt er, „an einer Blählunge.… | |
Er bremst den Wagen. Eine Kuh trabt zwischen Apfel- und Kirschbäumen heran. | |
„Das ist Peggy. Die ist so lieb, die kannste umschubsen“, sagt er, klettert | |
er über den Zaun und deutet auf ein zweites Tier, das hinten | |
stehengeblieben ist, „Gescha ist böse.“ | |
Er krault den Nacken der Rotbunten. Die legt seine Nase an seine Schulter. | |
Die zwei sind ein wichtiger Teil seiner kleinen ökologischen | |
Kreislaufwirtschaft. „Biste bio, brauchste Mist“, sagt er, „dann brauchste | |
Kühe.“ Auch Bienen gehören dazu. Weider hat sie angeschafft, damit sie | |
seine Pflanzen bestäuben, und er verkauft ihren Honig. „Was mir noch fehlt, | |
ist ’n Schwein im Garten. Schafe hatte ich mal, 30 Stück, die hab ich | |
wieder verkauft, weil ich’s nicht geschafft hab.“ | |
Auf der anderen Seite der Wiese erhebt sich eine Hütte. Ein Rabe flattert | |
auf, die Luft vibriert vom Zirpen der Grashüpfer. Plötzlich ein lautes | |
Dröhnen, das das idyllische Audiorama überschallt. Weider hat den Generator | |
angeworfen, um Wasser in den Trog der Kühe zu pumpen. | |
Er hockt auf der Ladeklappe des Nissan und blinzelt ins Licht. Auf den | |
ersten Blick wirkt er wie ein Neo-Hippie, ein Loha-Eigenbrötler, mit seiner | |
Latzhose und der Selbstgedrehten im Mund. Aber mit dem, was er tut, führt | |
er auch eine Tradition weiter, die es in dieser Region seit Ende des | |
Zweiten Weltkriegs gibt. | |
## DDR-Tradition | |
Die Menschen begannen, selbst anzubauen, um nicht hungern zu müssen. In der | |
DDR nutzten sie ihr Land weiter, denn in den Geschäften fehlte es an Obst | |
und Gemüse. Der frühere Besitzer der Wiese hat 20.000 Ostmark mit dem | |
Verkauf von Äpfeln verdient. „Da haste mit deiner Hände Arbeit noch Geld | |
gemacht“, sagt Heiko Weider. | |
Aber dann kam die Wende, und mit ihr kamen die Supermärkte und Discounter, | |
die ganze globalisierte Warenwelt. Die Leute verkauften ihr Land, und | |
Weider begann, sich sein Reich zusammenzustückeln, das insgesamt 3,5 Hektar | |
misst. Eine eigene Garde hat er auch. „Da stehen meine Soldaten“, sagt er, | |
deutet durch die Seitenscheibe. Auf der Wiese neben der Straße stehen 168 | |
junge Obstbäume in Reih und Glied. | |
Heiko Weider hat viel Zeit damit verbracht, Sorten aufzutreiben, die fast | |
ausgestorben sind. Er hat in Archiven gesucht und in Baumschulen, die sich | |
auf alte Sorten spezialisiert haben, und so wachsen nun Äpfel in seinem | |
Land, deren Namen klingen wie aus einem Märchen von Hauff. „Hasenkopf“ oder | |
„Prinz Albrecht“. „Die neuen Sorten, die schmecken alle einfach süß“,… | |
er. Das sei etwa beim Hasenkopf anders. Wie der schmeckt? Schulterzucken. | |
„Nach Hasenkopp.“ | |
Weider hat keine Ausbildung als Gärtner. Das Fachwissen hat er sich | |
angelesen. Im Fundus eines Trödlers hat er Bücher über den Gemüseanbau aus | |
dem 19. Jahrhundert gefunden. außerdem ein paar Seminare beim Verbund | |
Ökohöfe belegt. Manches hat ihm auch ein alter Bauer im Ort beigebracht, | |
etwa wie man mit Kühen umgeht. „Der Ewald, mein Mentor“, Weider fragt ihn | |
noch manchmal um Rat, wenn er im Zweifel ist, etwa ob es schon zu spät ist, | |
Blumenkohl zu säen. „Nur, der schüttelt den Kopf, wegen dem Biozeugs.“ | |
Aber der Lernprozess ist längst nicht abgeschlossen. In seinem Gewächshaus | |
hebt er eine Paprika auf; die gelbe Schote hat ein Loch; ringsum ist sie | |
dunkel verfärbt. Die Schnecken. Sie haben so einiges von Weiders Ernte | |
zunichtegemacht. Unter dem Stroh auf dem Boden ist Folie ausgelegt. Er | |
hatte sich gedacht: Darunter bleibt es feucht, nützliche Mikroorganismen | |
siedeln sich an. Nur hat er jetzt das Problem, dass sich die Schnecken | |
unter dem Plastik tummeln. „Ich hab denen ein Paradies gebaut“, sagt er | |
ohne Bitternis. | |
Er hat überhaupt für ziemlich viele Tierarten ein Paradies gebaut. Vor | |
einigen Wochen legte er 150 Holzpfosten für einen neuen Zaun im Gras ab. | |
Dort blieben sie eine Weile. „Und als ich die wegnehmen wollte, waren da | |
die Eidechsen drin. Da musste ich neue kaufen“, sagt er. Aber es geht | |
langsam voran mit seinem kleinen Betrieb. Bald wird er ein zweites | |
Gewächshaus bauen. Noch bewirtschaftet er alles allein, mit einem Helfer, | |
„dem Harry“, der in einem nahen Waldstück lebt. Der arbeitet für 100 Euro | |
im Monat ab und an mit. „Ernten und Unkraut“, sagt Weider, „das ist sein | |
Ding.“ | |
## Kein Verkaufsgenie | |
Im Moment arbeitet er daran, den Direktverkauf auszubauen. Alles, was er | |
selbst vermarktet, bringt ihm doppelt so viel wie das, was er über den | |
Handel absetzt. „Da ist noch mehr drinne. Man muss sich nur reinfuchsen.“ | |
Allerdings liegt ihm das Verkaufen nicht. Auf dem Markt wurde er anfangs | |
kaum etwas los. Bis ihm ein Freund, der ihn manchmal begleitet, erklärte, | |
dass er Schilder und Flyer braucht. „Du musst die Leute kosten lassen“, hat | |
der ihm geraten, „dann fühlen die sich verpflichtet, etwas zu kaufen.“ Da | |
hat Weider geantwortet: „Das ist doch gemein.“ | |
Gerade hat er eine Edelstahlküche im Keller seines Hauses eingerichtet. | |
Bislang kommen alle Früchte, die er nicht verkaufen kann, auf den Kompost | |
oder enden als Tierfutter. Demnächst will er sie zu Mus oder Soße | |
verarbeiten und im Internet vertreiben. „Die Etiketten sind schon fertig“, | |
sagt er. „Gerade probieren wir mit Rezepten herum.“ | |
Dann wird es allmählich Zeit; am Nachmittag muss er Feld- und Bataviasalat | |
aussäen. Noch ist nicht klar, ob seine Pläne aufgehen werden. Nur zwei | |
Dinge stehen fest: Weider wird immer etwas zu tun haben. Und er wird immer | |
etwas zu essen haben. Obst und Gemüse, gewachsen in seinem Garten im | |
Jerichower Land, wo er ganz allein regiert. | |
19 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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