| # taz.de -- Sommerserie „Geschmackssache“: Des Müllers Lust | |
| > „Zerkleinern, mischen, sieben: Das ist die Kunst der Müllerei“, sagt | |
| > Josef Dom. Getreide kauft er direkt bei den Bauern, da kann er die | |
| > Qualität bestimmen. | |
| Bild: Müller Josef Dom prüft das gesiebte Mehl. 16 Mahlgänge durchläuft das… | |
| MUNDERKINGEN taz | Am Morgen steht der Storch auf der Mühle, als wartete er | |
| auf den Müller. Der Himmel über Munderkingen ist blau, die Donau scheint | |
| stillzustehen und der Müller frühstückt drinnen mit der Müllerin und lüftet | |
| die Geheimnisse des schwäbischen Knauzenweckens. | |
| Mächtig liegt er auf dem Teller, für einen Esser fast schon zu viel, an | |
| einer Stelle ist der Teig herausgequollen und hat, wie es sich gehört, eine | |
| Wulst gebildet. Es geht um Oberflächenspannung, Gasbildung, Dehnbarkeit, | |
| Kleber, Dinkel, um Temperaturen und um Tradition, kurzum – das Brötchen zu | |
| backen ist eine Wissenschaft. | |
| Doch Josef Dom ist kein Bäcker, sondern der dritte Müller in der Familie | |
| seit 1927, und wenn die Mühle nicht mahlt, hat der Bäcker nichts zu backen. | |
| Josef Dom steht auf. | |
| Der Storch hockt immer noch hoch oben, der Müller führt unter das | |
| Schleppdach und weist auf die Annahmewanne. Bald werden hier die Bauern | |
| Weizen, Roggen und Dinkel anliefern. Vom Getreidehandel kauft Dom nicht | |
| einen Zentner. „Ich kenne jeden Betrieb, jeden Bauer, das ist der | |
| Unterschied!“ sagt er bestimmt. Dom zahlt nur für beste Qualität, den E- | |
| und den A-Weizen. E steht für Elite und ist der Spitzenweizen, A ist die | |
| zweithöchste Güte. Alles darunter, B- oder gar C-Weizen, lässt Dom nicht in | |
| seine Speicher. | |
| ## Solide Walzenstühle | |
| Drinnen in der Mühle mit ihren gefegten Dielen und den Deckenbalken kann | |
| man sich schnell verirren, nicht in der Breite, aber in der Höhe. Eine | |
| Geschoss, dann noch eins, dann noch ein weiteres und noch eins. Josef Dom | |
| bewegt sich wie ein Artist über die Ebenen, nimmt mal die Treppe, mal den | |
| Aufzug. Eben war er noch hier, schon ist er ganz oben, dann ruft’s von | |
| unten – als ob es Dom zweimal gäbe. Maschinen, Speicher, Papiersäcke, | |
| Werkzeug und jede Menge Rohrleitungen, nur das Korn bleibt unsichtbar. | |
| Weinrot leuchten die Walzenstühle, Riemenscheiben, Spannschlösser, | |
| Sichtfenster – groß und schwer wie Eichenkommoden. Die Maschinen standen | |
| schon hier, als Josef Dom beim Großvater in der Mühle gespielt hat, | |
| Wertarbeit von der MIAG Braunschweig – und die Lebensversicherung der | |
| Mühle. Denn die Maschinen sind unverwüstlich. Die gusseisernen Rahmen | |
| halten noch hundert Jahre, prophezeit Dom. Die heutigen Walzenstühle würden | |
| höchstens zwanzig Jahre mahlen, schimpft Dom. Eine Mühle wie die seine | |
| könnte sich solche Investitionen nicht leisten. Wie gut, dass es die MIAG | |
| gibt! Gab, wirft Dom ein. In den siebziger Jahren ist sie pleitegegangen. | |
| „Die haben einfach zu gut gebaut.“ | |
| Heute baut die Bühler AG aus der Schweiz die Walzenstühle, sie heißen | |
| Antares und Dolomit und der Hersteller lobt das anwenderfreundliche Design. | |
| Zur Bühler AG haben die Doms eine besondere Beziehung. Sohn Benjamin ist | |
| für das Unternehmen in Südamerika tätig. Die Hoffnung der Müllersleut’ ist | |
| natürlich, dass der Sohn irgendwann aus der Fremde zurückkehrt und die | |
| Mühle als vierter Dom-Müller übernimmt. Benjamin, 2010 einer der besten | |
| Nachwuchsmüller Deutschlands, ist immer wieder Gesprächsthema, viel Stolz | |
| schwingt mit und ein bisschen Ungewissheit. | |
| ## Das ganze Haus bebt | |
| Bis der Sohn heimkehrt gebietet der 61-jährige Josef Dom über die Mühle. | |
| Ein paar Schalter gedrückt und schon beginnt die Mühle zu leben. Ein | |
| Elektromotor heult auf, eine mächtige Transmission beginnt zu rotieren, | |
| lederne Flachriemen treiben die Walzenstühle an, die beginnen zu surren, | |
| gleichzeitig braust es in den Rohren, als ob der Heilige Geist Einzug hält, | |
| und unterm Dach, wo alle Leitungen hinaufführen, beginnt ein mannshoher | |
| Kasten wie tollwütig zu tanzen. Es ist, als würde ein altertümliches Wesen | |
| erwachen. Kein Wunder, dass mancher Bauer die Müller einst für Komplizen | |
| des Teufels hielt. Dass ein Haus zu beben beginnt, kann nicht mit rechten | |
| Dingen zugehen. Der Storch, sollte er noch auf der Mühle sitzen, ist | |
| spätestens jetzt auf und davon. | |
| Und durch eines der Rohre, die wie alle über Sichtfenster verfügt, fließt | |
| endlich der Weizen. Orangefarbene Körner ziehen in einer endlosen | |
| Prozession in den ersten Walzenstuhl, wo sie von den gegenläufigen, | |
| geriffelten Stahlwalzen aufgebrochen werden. Auf den Walzen rieselt das | |
| Mahlgut, nicht mehr Korn und noch lange kein Mehl, in die Tiefe und wird | |
| durch Rohre per Luft nach oben befördert, wo der Kasten tanzt. | |
| Josef Dom justiert dort etwas nach, öffnet hier eine Klappe, prüft das | |
| Mahlgut, klopft gegen Rohre und läuft zum tanzenden Plansichter. Der Kasten | |
| hängt elastisch an Bambus, steckt voller Siebe und wird von einem Exzenter | |
| angetrieben. „Der Plansichter ist das Herzstück der Mühle“, ruft Josef Dom | |
| in den Lärm hinein. Denn die Walzenstühle, die nach dem Ersten Weltkrieg | |
| die Mühlsteine abgelöst haben, können noch so viel mahlen, trennen können | |
| sie nicht. | |
| ## Mehl und Schalen trennen | |
| „Sinn und Zweck beim Mahlen ist immer, Mehl und Schalen zu trennen.“ Es ist | |
| Josef Doms Credo, das er noch mehrfach wiederholt. „Zerkleinern, mischen, | |
| sieben“, sagt Josef Dom, das ist die Kunst der Müllerei. Der Plansichter | |
| siebt eifrig, das Mehl landet in einem mächtigen Trichter, und unterm | |
| Fenster fließt träge die Donau, noch kein Strom, aber auch kein Flüsschen | |
| mehr. Doms Frau steht seit geraumer Zeit auf der Treppe. „Mein Mann ist | |
| Müller mit Leib und Seele“, sinniert sie und lacht. „Als ob das vererbbar | |
| wäre …“ | |
| „Dass die Mühle noch existiert, haben wir den Generationen vor uns zu | |
| verdanken“, wird sie später sagen. Ihre Schwiegereltern mussten verkraften, | |
| dass die neue Müllerin darauf bestanden hat, weiterhin in Teilzeit | |
| Sozialarbeiterin zu bleiben, erzählt Brigitte Dom. Dafür ist sie heute die | |
| Herrin über den Mühle-Laden, den die Doms errichtet haben. Drinnen liegen | |
| alle Mehle in unterschiedlichen Größen, dazu Kleie, Weizenkeime, | |
| Speisedinkel, Grieß, Müsli, als schwäbische Spezialität das Musmehl, das | |
| besonders gesunde Vitaleuron, ein Dom’sches Spezialmehl, | |
| Brotbackmischungen. Fünf Kilo Weizenmehl kosten 4,25 Euro. Etliche Kunden | |
| laden gleich 25-Kilo-Säcke in den Kofferraum. Die Hälfte ihres Mehls | |
| verkaufen die Doms inzwischen im Laden. | |
| Das Marketing haben sie erneuert, beim Mahlen ist alles wie früher. | |
| Sechzehn Mal wird gemahlen, das Mahlgut rauscht hinauf und hinab, eine | |
| ständige Achterbahnfahrt. Josef Dom geht in die Hocke, greift wieder in das | |
| Mahlgut und fährt mit dem Finger über den Handteller. Dabei ist der Müller | |
| so emsig und gleichzeitig andächtig wie ein Priester bei der Messe. Nur die | |
| weiße Müllersjacke mit Kapuze fehlt. „So was gibt’s bloß im Märchen.“… | |
| lacht. Freizeithose, Hemd, Sandalen. Er wirkt wie ein Sommerfrischler, nur | |
| dass sich auf den Brillengläsern allmählich ein Film von Mehlstaub bildet. | |
| ## Gefahrenqeulle Fusarien | |
| Eben noch sah es so aus, als wäre Dom mit der Mühle verwachsen, da sitzt er | |
| entspannt unter der Linde. Die Mühle ist von hier nur noch leise zu hören. | |
| Und wenn jetzt etwas verstopft? Nein, nein. Ein-, zweimal sei ihm seit | |
| 1977, seit er der Müller ist, ein Riemen gerissen, das war’s. Alles läuft | |
| ohne Elektronik, ohne Sensoren, ohne Warnmelder. | |
| Dom zieht Papiere hervor. Es ist nicht so, dass hier alles per Handschlag | |
| läuft. Die Bauern müssen unterschreiben, dass sie den Acker gepflügt haben, | |
| wenn sie vor dem Weizen Mais angebaut haben. Das sei die einzige | |
| Versicherung, um einen Befall des Weizens mit Fusarien zu verhindern, | |
| giftige Pilze, die im Mittelalter ganze Landstriche ausgerottet haben. | |
| Heute nimmt das Problem wieder zu, weil die Flächen für Maisanbau | |
| ausgedehnt werden. In den dicken Maisstängeln nisten sich die Schimmelpilze | |
| besonders gut ein. Und wenn sie nicht untergepflügt werden, befallen sie im | |
| Jahr darauf den Weizen. Ein Problem, das von der Agrarindustrie gern unter | |
| den Tisch gekehrt wird. Josef Dom lässt sich auf keine Diskussionen ein. | |
| Wer nicht will, kann gehen. Die meisten Bauern unterschreiben. | |
| Dom lässt seine Mehle, denen er, anders als es Industriemühlen oft tun, | |
| keine Ascorbinsäure beimengt, außerdem ständig vom Labor untersuchen. Es | |
| geht um Feuchtkleber, Wasseraufnahme, Verarbeitungstoleranz, Dehnbarkeit. | |
| Die Müllerin ist hinzugekommen, bekräftigt: „Wir haften doch schließlich | |
| mit unserem Namen.“ Der stehe auf jeder Mehltüte. „Das ist wie eine | |
| Unterschrift.“ | |
| ## Kleines Wasserkraftwerk | |
| „Wir haben eine unwahrscheinlich treue und alte Stammkundschaft“, fährt der | |
| Müller fort. Die Väter der Bauern haben meist schon Doms Vater beliefert | |
| und deren Väter den Großvater Sebastian. Der hat die elektrisch betriebene | |
| Mühle 1927 gekauft. In der Nacht um zwei sei man oben im Gasthaus Rössle | |
| einig geworden. Der Stadtschreiber sei geweckt worden, um den Vertrag | |
| aufzusetzen. Seitdem ist die Mühle, von der niemand weiß, wie lange sie | |
| schon mahlt, in Familienbesitz. | |
| Vor zwei Jahren hat der Müller seinem toten Großvater einen Herzenswunsch | |
| erfüllt. Da hat er das kleine Wasserkraftwerk neben der Mühle in Betrieb | |
| genommen. Seitdem wird die Mühle wieder von der Donau angetrieben. Der | |
| Großvater habe immer davon geträumt, leider hat er damals das Wasserrecht | |
| nicht gleichzeitig mit der Mühle erwerben können, das besaß eine | |
| Elektrizitätsgesellschaft. Jetzt bot sich die Gelegenheit zur Pacht. 2011 | |
| habe er die Turbine gebaut, erzählt Dom. | |
| Seine Frau ergänzt und es klingt wie eine Erzählung aus Abrahams Tagen. | |
| „Wir müssen bauen“, habe ihr Mann gesagt. „Denn wenn ich meinen Großvat… | |
| im Jenseits treffe, kann ich gleich wieder umdrehen.“ Sie lacht. Kein | |
| Zweifel, der dritte Dom-Müller wird dereinst freundlich empfangen. | |
| 11 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Gerlach | |
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