# taz.de -- Sommer-Serie „Geschmackssache“: Des Käses Tod und des Käsers … | |
> Seit 15 Jahren wird auf dem Jithof auf der Stader Geest Käse gemacht. Der | |
> Betrieb ist Teil einer lebendigen kleinen Käseszene, die sich in | |
> Norddeutschland entwickelt hat. | |
Bild: Klaus Tipke im Käselager: Hier reifen der Jitcamper, der Jithofer und de… | |
BARGSTEDT taz | Auch Kühe können schlechter oder besser drauf sein, so wie | |
die braunen Kühe vom Jithof. Die sind „nicht so intensiv auf Leistung | |
ausgerichtet“ wie die schwarz-weißen Holsteiner, sagt Annette Alpers-Tipke, | |
deswegen seien sie entspannter, pflegeleichter. „Einfach netter.“ Und sie | |
geben die bessere Milch zum Käsemachen, die Eiweißzusammensetzung ist | |
günstiger. | |
Ursprünglich ist das Braunvieh in der Alpenregion zuhause, der Jithof auf | |
der Stader Geest in Niedersachsen hält 65 davon. Im Sommer sind sie auf der | |
Weide, doch an einem Tag wie diesem müssen sie mittags rein. Sonst kriegen | |
sie Sonnenbrand. | |
Seit 15 Jahren wird auf dem Jithof Käse gemacht und direkt vermarktet: eine | |
Hofkäserei, mit Hofladen und drei Marktwagen. „Wir liegen ja etwas | |
abgelegen“, erklärt Annette Alpers-Tipke. Der Hof ist in zwölfter | |
Generation im Besitz der Familie ihres Mannes. „Wir waren immer ein | |
Milchviehhof“, sagt Klaus Tipke. Eigentlich hätte sich der 52-Jährige „gut | |
was anderes vorstellen können als Bauer zu sein.“ Aber „dann wär der Hof | |
wech gewesen“. Also stieg er 1986 in den Betrieb der Eltern ein und fing | |
nebenbei mit dem Käsemachen an. | |
Doch die Zweigleisigkeit ging nicht gut. Die konventionelle Landwirtschaft | |
gab das Ehepaar schließlich auf, 75 Hektar Land haben sie noch. „Früher | |
musste sich der Käse der Landwirtschaft unterordnen, heute muss sich die | |
Landwirtschaft dem Käse anpassen. Unser Käse fängt auf dem Feld an.“ | |
## Die Chemie der Elemente | |
Dreimal in der Woche stellt Tipke Käse her. Milch ist ein sensibles | |
Rohmaterial. „Käsemachen hat ganz viel mit Chemie zu tun“, sagt der Käser, | |
„ganz viel“. PH-Wert, Temperatur, Eiweiß, Fett und Molke, alles steht in | |
engster Beziehung zueinander. Die Käserei ist auch kein rustikaler | |
Holzverschlag, sondern ein gekachelter Raum, in dem es feucht und warm ist. | |
Schläuche liegen parat, um die benutzten Formen immer wieder auszuspülen. | |
Es gibt einen kleinen und einen großen Kessel aus Edelstahl. Im kleinen | |
wartet Kuhmilch auf die Verarbeitung zu Camembert, im großen schwimmt | |
Ziegenmilch. Ein kleiner Teil wird davon abgenommen und mit | |
Milchsäurebakterien angesetzt - für Frischkäse. 1.500 Liter fasst der große | |
Kessel - daraus kann man 150 Kilo Käse herstellen -, doch heute ist er nur | |
halbvoll, die Ziegen haben nicht genug geliefert. Drei Rührblätter halten | |
den Milchsee in Bewegung, damit die Chemie der Elemente stimmt. | |
Klaus Tipke prüft mit dem Thermometer die Temperatur in dem Bottich, 38 | |
Grad müssen es sein. Der Kesselinhalt soll später zu halbfestem Schnittkäse | |
verarbeitet werden. Dafür wird Lab beigefügt, das für die Gerinnung des | |
Milcheiweißes Kasein sorgt und den Milchzucker in Säure umwandelt. „Es geht | |
es vor allem um das Vergären des Zuckers“, erklärt er, „das ist wie beim | |
Wein.“ | |
Nach 30 Minuten ist die Milch eingedickt, mit einem Messer prüft Tipke, ob | |
sie fest genug ist, um geschnitten zu werden. Sein Messer gleitet in die | |
puddingähnliche Masse und hebt das Geschnittene von unten an. Die | |
Schnittkanten zerfließen nicht, der Käser ist zufrieden. | |
## Käser-Auszubildende trotz Laktoseintoleranz | |
Seine Mitarbeiterin Silke Martens legt die Gitter der Käseharfe ein. Im | |
großen Kessel sorgt die Maschine für den Schnitt, im kleinen bewegt Martens | |
die Käseharfe mit der Hand. „So herum, die Schnittseite zuerst“, erklärt | |
ihr Tipke. Die 33-Jährige macht eine Ausbildung zur Käserin. „Die hat beim | |
Käsen das Leuchten in den Augen“, sagt Tipke. Auch wenn sie keinen Käse | |
essen darf. Laktoseintoleranz. „Aber ich kann ihn riechen und fühlen“, sagt | |
sie. | |
Inzwischen dampft es in der kleinen Käserei, Tipke prüft immer wieder die | |
Temperatur. Die Harfen durchpflügen die Dickmilch, dabei entsteht der | |
Käsebruch, kleine Klumpen, die aussehen wie Hüttenkäse und Molke absondern. | |
Vorsichtig wird die Temperatur erhöht. Je stärker sich das Bruchkorn | |
zusammenzieht, desto mehr Molke tritt aus. „Entscheidend ist der Bruch“, | |
sagt Tipke, „der muss binden.“ Die Molke steigt nach oben, der Bruch setzt | |
sich unten fest und muss ab und an gelöst werden. | |
„Das sind meine Steuerungselemente,“ sagt Tipke, „die muss ich beherrsche… | |
das Bruchwaschen, die Temperatur, die Korngröße und den richtigen Zeitpunkt | |
zum Abfüllen.“ So viel kann schief gehen, nachher in der Form, „wo ja | |
eigentlich das Meiste geschieht: die Säuerung“. Nur da kann er es nicht | |
mehr beeinflussen. Eine Käsefehlerdatenbank des VHM (Verband Handwerklicher | |
Milchverarbeitung e.V.) ist im Aufbau. | |
Klaus Tipke ist Mitglied im VHM, der Verband macht Lobbyarbeit für die | |
Hofkäsereien, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Früher waren | |
solche Betriebe in Norddeutschland selten. Seit Ende der 90er Jahre aber | |
hat sich hier eine richtige kleine Käseszene entwickelt. Tipke hat die | |
Käsestraßen der verschiedenen Regionen initiiert, bietet Fortbildungen an. | |
## Die Kühe fressen kein Soja | |
Er selbst hat einen Lehrgang in Oranienburg besucht, doch vor allem hat er | |
sein Handwerk von einem echten „Säureexperten“ gelernt, der lange in | |
Großmolkereien gearbeitet und die Nase voll davon hatte. Seit Gründung des | |
VHM 1992 ist die Zahl der Mitglieder von rund 60 auf über 600 gestiegen. | |
Ein Zeichen, dass das Interesse an nicht-industriell gefertigtem Käse | |
wächst. | |
"Die Industrie und wir, das entwickelt sich immer weiter auseinander“ sagt | |
der Käser. „In den großen Molkereien wird alles auseinandergenommen und | |
industriell wieder zusammengefügt. Denen geht es nur darum: Wie viel Wasser | |
kann rein? Wie viel Fett muss rein?“ Schmackhafter Käse kommt dabei nicht | |
heraus. | |
Klaus Tipke führt keinen Biobetrieb, „wir nähern uns an“, sagt seine Frau. | |
Die Käserei wird durch Bioabwasser geheizt, auf dem Dach gibt es eine | |
Solaranlage, und die Kühe werden nicht mit Soja gefüttert. Ihr Futter bauen | |
die Tipkes selber an. Die Rohmilch wird nach dem Melken direkt in die | |
Käserei gepumpt und dort schonend thermisiert - nicht pasteurisiert. Von 4 | |
Grad wird sie 15 Sekunden lang auf 65 Grad erhitzt und läuft dann mit 32 | |
Grad in den Käsekessel. Im Käseland Frankreich stellt man Käse aus Rohmilch | |
her. Die Bakterien darin machen den Käse würziger - „das ist | |
Glaubenssache“, winkt Tipke ab. | |
Seine Milch bestehe den „Phosphatasetest“, die Enzyme bleiben bei der | |
Thermisierung erhalten. „Wir dürften unseren Käse Rohmilchkäse nennen, aber | |
wir bescheißen unsere Kunden nicht.“ Ihm kommt es auf die handwerkliche | |
Qualität des Käses an, die regionale Vermarktung. Mit großer Begeisterung | |
bieten er und seine Frau, die früher im Umweltmanagement gearbeitet hat, | |
Hofbesichtigungen und Käsefrühstück an. „Ich mach gern mit Menschen“, sa… | |
er. Und mit Käse auch. | |
## Der "Hamburger Pfeffersack" ist Tipkes Erfindung | |
Nun füllen Tipke und seine Helferin den Käsebruch in Formen, die in einem | |
großen eckigen Becken mit einem feinlöchrigen Sieb stehen. Dort fließt die | |
Molke ab. Wieder gilt es, den richtigen Moment zu treffen. „Fülle ich nur | |
fünf Minuten zu früh ab,“ erklärt Tipke, „wird der Käse innen hart und | |
außen nässend.“ Jetzt könnte er noch Kräuter, Gewürze oder Pfefferkörner | |
beigeben, doch mit zunehmender Erfahrung ist Tipke immer mehr für Käse pur. | |
Allerdings ist der „Hamburger Pfeffersack“ seine Erfindung: innen grüner | |
Pfeffer, außen roter Madagaskar. | |
Unten und an den Seiten der runden länglichen Formen tropft die Molke ab, | |
oben wird ein Gewicht auf den Käse gelegt, damit die Molke aus dem Käse | |
gepresst wird. So bleiben die Formen 24 Stunden stehen, ihr Inhalt auf vier | |
Grad heruntergekühlt. | |
Dann wird der Käse in Laibe geschnitten und noch mal für 24 Stunden in ein | |
Salzbad gelegt, zur Rindenbildung. Fungizide benutzt Tipke nicht, gerne | |
Rotschmiere, ein Gemisch aus verschiedenen Flüssigkeiten wie Salzlake und | |
Bier oder Wein, das dem Käse Reife und Würze verleiht. „Trockene | |
Oberflächen sind des Käses Tod“, sagt der Käser und führt in den Reiferau… | |
In doppelseitigen Regalen rechts und links lagern runde | |
Fünf-Kilo-Käselaibe. Einige haben bereits eine dunkelgelbe Färbung | |
angenommen. 14 Grad ist die ideale Lagertemperatur, denn der Käse braucht | |
Luft zum Reifen. Damit sich kein Schimmel bildet, muss der Käse ein- bis | |
zweimal pro Woche gebürstet werden. Maximal sechs Monate lagern sie in der | |
Jithofer Käserei. „Bitte nicht nehmen, Käse sollen alt werden“ steht auf | |
einem Zettel, der an einem der Regale klebt. | |
## Eine Reihe dunkler Hörner | |
20 Sorten produziert die Jithofer Käserei, je nach Saison, 20 Tonnen Käse | |
im Jahr. Jithof kommt übrigens von Jette - was auf Plattdeutsch Ziege | |
heißt. Erst im vergangenen Jahr haben sich die Tipkes auch Ziegen | |
angeschafft - ihr Käse ist mittlerweile mehr gefragt. | |
Eine ganze Reihe dunkler Hörner lugt im Stall durch die unterste Holzlatte, | |
sie gehören zu einer Herde braun-schwarzer Ziegen, die im Stall Heu zupft | |
und mampft. Auf einer umgedrehten Schubkarre kraxelt der Nachwuchs herum, | |
ein Zicklein hängt mit dem Bauch über einem Rad fest und braucht einen | |
Moment, um sich wieder loszumachen. | |
Familie Tipke lebt mit drei Generationen auf dem Jithof, der zwei | |
Wohnhäuser hat, einen Garten, Stallungen und die Käserei. Acht Angestellte | |
arbeiten dort in Teilzeit, melken, füttern, verpacken, verkaufen auf den | |
Märkten. Einige Edeka- und Rewe-Märkte in der Gegend vertreiben ebenfalls | |
den Jithofer Käse. Die Preise liegen moderat zwischen zwei und drei Euro | |
pro hundert Gramm. | |
## Strukturwandel in der Landwirtschaft | |
“Wir waren mal drei Höfe hier“, erzählt Annette Alpers-Tipke. Sie liegen … | |
Rand von Bargstedt, das einst von einem großen Brand verwüstet wurde. | |
Damals wurde der Jithof ausgesiedelt. „Unser Hofplatz war dort, wo heute im | |
Dorf der Grieche ist“, sagt Tipke. Das Schicksal der drei Höfe ist | |
bezeichnend für den Strukturwandel in der Landwirtschaft. | |
Der eine Nachbar hat die Landwirtschaft aufgegeben, der andere hat sich zum | |
Agroindustriellen gewandelt: baut riesige Mengen Mais an und betreibt die | |
Biogasanlagen, an denen man vorbeikommt, wenn man zum Jithof fährt. Dort | |
gibt es Käse, von Hand, auf die Hand, in die Hand. | |
20 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Sabine Seifert | |
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