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# taz.de -- Sommer-Serie „Geschmackssache“: Der Mann, der das Wetter belaue…
> Henry Diedrich ist einer der letzten Fischer auf der Insel Ummanz. Mit
> der Globalisierung und dem Preisdruck ist es für Kleinstbetriebe schwer
> zu überleben.
Bild: Henry Diedrich kennt die fischreichen Stellen in den Boddengewässern bei…
UMMANZ UND RÜGEN taz | Das Meer, von dem Henry Diedrich einmal dachte, es
läge vielleicht die Zukunft darin, ist an diesem Morgen trüb, graugrün und
rau. Er hat seinen Transporter am Ufer geparkt und Netze, Kisten und
Werkzeug in das kleine Boot gestellt, das vor ihm auf den Wellen wippt.
Ein scharfer Wind rauscht im Schilf, und Diedrich wird froh sein können,
wenn sein Fang heute die Spritkosten deckt. Denn Wind bedeutet, dass kaum
Fische im Bodden sind, weil sich die meisten in ruhigere Ecken verzogen
haben. „Es ist wie in jedem Beruf: Man hat gute und schlechte Tage“, sagt
er, „aber die schlechten kommen häufiger.“
Henry Diedrich ist gewöhnt an die Unwägbarkeiten dieses Berufs, an denen
sich seit den Anfängen der Zivilisation wenig geändert hat. Schon in der
Steinzeit begann der Mensch, Boote zu bauen und mit Netzen auf Fischfang zu
gehen. Henry Diedrich ist Fischer auf der Ostsee-Insel Ummanz in fünfter
Generation.
Zwar ist sein Boot aus Plastik und wird mit einem Motor betrieben. Aber dem
technischen Fortschritt wie zum Trotz arbeiten Fischer wie er bis heute
noch noch nach den Regeln, die die Natur vorgibt. Den Jahreszeiten, den
Strömungen, dem Wetter.
## Aufbruch bei Nacht
„Das Wetter muss man belauern, sagen die Alten“, sagt Henry Diedrich. Er
hat eine Gummihose übergestreift und das kleine Boot zu zwei größeren
gelenkt, die in Küstennähe angepflockt sind. Er nimmt den schlichten etwa
fünf Meter langen Kahn.
Diedrich fischt in den Bodden, den flachen, von Landzungen abgeteilten
Küstengewässern. Heute wird er den schmalen Wasserarm nicht verlassen, der
Rügen von Ummanz trennt. Alles andere wäre bei Wind zu riskant. „Es bringt
nichts, wenn ich absauf“, sagt er, „das ist es nicht wert.“
Henry Diedrich ist ein 38 Jahre alter Mann mit flächigem Gesicht und kurzen
Locken, der sich mit medialer Aufmerksamkeit unwohl fühlt und der den Blick
senkt, wenn sich eine Kamera auf ihn richtet. „Eigentlich mach ich so was
nicht so gerne“, murmelt er. Doch ihm liegt etwas daran, verständlich zu
machen, welche Arbeit nötig ist, damit es das Lebensmittel Fisch gibt.
## Krank nach drei Tagen ohne Wasser
Es ist kurz nach fünf Uhr früh, bläuliches Licht glimmt über dem Wasser.
Sonst macht er sich im Sommer schon um zwei Uhr auf. Meist hat er nur
wenige Stunden Schlaf hinter sich. „Mein Vater kann sich abends um achte
hinlegen“, sagt er, „ich nicht.“ Er ist ja auch noch nicht lange dabei.
Erst vor drei Jahren hat er den Betrieb übernommen. Sein Vater ist im
Vorruhestand und arbeitet noch mit. Er kann nicht anders. „Bei Fischern ist
das so, wenn sie drei Tage kein Wasser sehen, werden sie krank.“
Er lächelt leise; seine Bindung ans Meer ist noch nicht so stark. Es war ja
auch anders geplant: Diedrich wollte nach dem Abitur seinen eigenen Weg
gehen. Er machte eine Ausbildung als Rettungsassistent. Aber im
Rettungsdienst fehlte es an Perspektiven. Vor einigen Jahren redeten
Politiker viel von den Möglichkeiten, Fischerei und Tourismus zu
verknüpfen. Diedrich war offen für Neues und entschloss sich, es mit dem
alten Handwerk zu probieren. „Anfangs hat sich mein Vater gefreut“, sagt
er. „Jetzt, wo er die Entwicklung sieht, nicht mehr so.“
Sein Blick geht über den Bodden. Der Horizont liegt niedrig. Das Wasser
schwappt gegen den Bug, Kühe dösen am Ufer. In der Nähe stakst die Spitze
eines Strauchs aus dem Wasser. Sie zeigt an, wo der Bodden jäh flacher
wird. Solche Orientierungsmarken, gekoppelt mit dem GPS-Gerät neben ihm,
bilden das Navigationssystem, in dem sich der Fischer bewegt. „Man kennt
die Stellen, wo was an Fisch sein könnte“, sagt er.
Henry Diedrich hat eine Ausbildung zum Fischwirt gemacht, aber viel konnten
sie ihm nicht mehr beibringen. Wie die Strömungen laufen, wie man die
Reusen stellt, all das hat er vom Vater gelernt. „Die Fischer hier haben
sich ein Wissen angeeignet“, sagt er, „aber dieses Wissen geht nachher
verloren.“
## Ausdauer und ein dickes Fell
Er selbst will manches gar nicht mehr lernen; bei einigen Fischarten lohnt
sich die Mühe nicht. Henry Diedrichs wägt Einsatz und Ertrag sorgfältig ab,
er kann es sich nicht leisten, Zeit zu vertun. Deswegen fährt er an manchen
Tagen auch nicht raus. Sein Vater versteht das nicht immer. Diedrich zuckt
die Schultern. Er ist meist acht Stunden auf dem Wasser, dann säubert er
den Fisch, bereitet ihn vor für den Verkauf.
Abends bricht er oft nochmal auf. „Man braucht Ausdauer“, sagt er. „Und e…
dickes Fell, was die Bürokratie angeht.“ Es fällt ihm nicht immer leicht,
zuversichtlich zu bleiben in diesem Beruf, in dem sich seit den Anfängen so
viel geändert hat.
Die EU formuliert immer neue Richtlinien. Henry Diedrich muss Statistiken
für seine Boote errechnen, Fangmeldungen einreichen, Formulare ausfüllen.
„Mein Vater kennt die Fischerei noch aus einer anderen Zeit“, sagt er, „d…
wäre daran sicher irgendwann gescheitert.“
Dann nimmt er das Netz und lässt es hinter dem Boot ins Wasser gleiten.
Schleppnetze sind in den Bodden verboten. Seine Netze stehen im Wasser. Die
Leine unten ist mit Blei beschwert. In die Leine oben ist Styropor
eingenäht, damit sie schwimmt. Dazwischen spannt sich feines Maschenwerk,
je 400 Meter lang.
## Gute Tage im Frühjahr
Im Frühling, wenn der Fisch zum Laichen in die Bodden kommt, holt er an
guten Tagen 500 Kilo Hering aus dem Wasser. Aber die Menge hilft ihm nicht
viel. Die Gaststätten können nur so viel abnehmen, wie in ihre Kühltruhen
passt; den Rest muss er an den Großhandel verkaufen, „und da kriegen wir
nicht viel“.
Über die Runden kommt er, gerade so. Er hat ja keine großen Ansprüche. Wenn
er Urlaub machen will, fährt er mit seinem Transporter nach Schweden. Er
hat sich auf Ummanz fast allein ein Haus gebaut und darin eine
Ferienwohnung abgeteilt. Ohne diese zweite Einnahmequelle, sagt er, würde
es nicht gehen.
Nach einer Weile stellt er den Motor ab, greift ins Wasser und zieht eine
Reuse heraus, die er hier vor zwei Tagen abgelegt hat. Sein Oberkörper
spannt sich, die Reuse rutscht ins Boot. Knapp zehn Fische zucken in den
Maschen, Barsche, Rotfedern. Er löst ihre silbernen Körper behutsam aus den
grünen Plastikfäden. Die meisten wirft er wieder ins Wasser. Sie sind zu
klein. Es gibt zwei, die etwa so groß sind wie seine Hand. Er lässt sie in
eine blaue Plastiktonne fallen; das Klatschen ihrer Flossen begleitet ihn
noch ein Stück auf dem Weg. „Die schlauen Fische, die verfangen sich nicht
in den Netzen“, sagt er. „weil die nehmen die ja wahr.“
## Aal als Parallelwährung
Manchmal denkt er zurück an die Zeit vor der Wende; in der DDR war die
Fischerei ein einträgliches Geschäft. Aal hatte sich zu einer Art
Parallelwährung entwickelt. „Wenn man ein Ersatzteil für ein Auto brauchte,
dann musste man als Fischer nicht so lange warten wie andere.“ Und der
Hering brachte eine Ostmark pro Kilo. Heute zahlt der Großhandel 40 bis 50
Cent.
Aber es ist nicht so, als würde er den alten Zeiten nachtrauern. In der DDR
waren die Fischer in Kollektiven zusammengeschlossen. Die Diedrichs hielten
nicht viel davon. „Kumpanei ist Lumpanei“, sagte der Großvater oft, und
auch er selbst verlässt sich nur auf die Familie, „die ist das Wichtigste“.
Ohne die Hilfe des Vaters wüsste er nicht, wie alles gehen sollte.
Auf dem globalisierten Markt ist es schwer genug für kleine Betriebe.
„Viele glauben, dass der Koch morgens über den Markt geht und die Fische
aussucht. Das könnte aber keiner bezahlen.“ Die Lebensmittelindustrie und
die Wirklichkeit in den Bodden haben sich auseinanderentwickelt. Die
Verbraucher sind es gewohnt, dass sie zu jeder Jahreszeit alle Produkte
kaufen können. Er aber kann nur die Fische fangen, die gerade Saison haben.
Wenn er auf die Speisekarten der Restaurants auf Rügen schaut, sieht er
rund ums Jahr alle Arten aufgelistet. Das bedeutet: Viele servieren billige
Importware oder den Fisch, den er Monate vorher zu Schleuderpreisen an den
Großhandel abgegeben hat. Es sind auch Fische im Angebot, die in der Ostsee
gar nicht heimisch sind.
## Früher zwölf Fischer
„Es gibt viele ältere Leute, die noch zu mir kommen“, sagt er, Stammkunden,
die schon bei seinem Vater Fisch gekauft haben, „aber die sterben langsam
aus.“
Er steuert zurück zu der Stelle, an der er in der Frühe sein Netz ins
Wasser gelassen hat, zerrt es ins Boot, mit ihm zwei Hechte. Er nimmt einen
Knüppel, schlägt ihnen mit einer kurzen Handbewegung auf den Kopf. Ein
dumpfer Aufprall, dann gleiten die schlaffen Leiber in die Tonne.
Inzwischen ist Henry Diedrich einer der letzten Fischer auf Ummanz. Die
großen Unternehmen versuchen schon länger, die kleinen Fischer zu
verdrängen. Kaufen ihre Boote und damit ihre Fangquoten auf, um sich eine
Monopolstellung zu verschaffen. Es ist nicht so, dass sie Druck machen,
sagt er, viele geben von selbst auf. Zu DDR-Zeiten gab es auf Ummanz zwölf
Fischer. Heute sind es noch sechs, wovon drei kurz vor dem Ruhestand
stehen.
## "Man muss umdenken"
Aber Henry Diedrich hat noch viel vor. Ihn beschäftigt vor allem die Frage,
wie er den Familienbetrieb umstrukturieren kann, damit er auch in Zukunft
bestehen wird. „Man muss umdenken“, sagt er, „neue Ideen einbringen.“ Er
verspricht sich einiges vom Tourismus, sucht nach Wegen, Feriengästen
Einblicke in die traditionelle Fischerei zu bieten. Zudem will er den
Direktvertrieb ausweiten, vielleicht einen Lieferservice mit frischem Fisch
nach Berlin aufbauen.
Dann ist er wieder am Ufer angekommen. Inzwischen ist es kurz nach neun. Er
hat die Fische in Kühltaschen voller Eiswürfel verstaut. Es sind etwa ein
Dutzend. Ein paar Restaurants haben vorbestellt, also wird er etwa 35 Euro
damit verdienen. Immerhin. Der Großhandel würde 12 zahlen. Vielleicht wird
es morgen ja besser laufen. Mitten in der Nacht wird Henry Diedrich wieder
in sein Boot steigen. Wenn der Wind abgeklungen ist.
7 Aug 2013
## AUTOREN
Gabriela Keller
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