# taz.de -- Sommerserie „Geschmackssache“: Das ehrliche Brot | |
> Bis zu 200 Brote und 500 Brötchen backt das Ehepaar Schneider pro Nacht – | |
> ohne Zusatzstoffe. Viele Kunden kaufen trotzdem lieber im Supermakt. | |
Bild: Elisabeth und Uwe Schneider führen die älteste Bäckerei Thüringens. | |
GEISA taz | Die Backstube liegt gleich hinter dem Haus, nur einmal über den | |
Hof. Ein großer Raum, in dem zwei Öfen und einige riesige Schüsseln auf | |
Rädern stehen; ein oder zwei mannshohe Rollwagen mit eingehängten Blechen; | |
ein Holzregal, in dem die Schablonen aus Pappmaché stehen. Darin garen die | |
Brotlaibe in der Nacht, bis sie so weit sind, dass sie in den Backofen | |
können. | |
In einer Schüssel mit Knethaken ruht der Sauerteig, zeigt eine | |
mehlbestäubte, grob rissige Oberfläche. Er arbeitet still vor sich hin, wie | |
es so seine Art ist. Denn der Sauerteig ist die Basis, das Zentrum, das | |
Heiligtum, das Tamagotchi des Brotbackens – er muss gehegt, gepflegt, | |
gefüttert werden, mindestens dreimal am Tag. Wer Bäcker ist, lebt nicht nur | |
einen völlig verdrehten Tag-und-Nacht-Rhythmus, er ist mit der Backstube | |
verheiratet. | |
Gott sei Dank ist Uwe Schneider aber auch mit Elisabeth Schneider | |
verheiratet. Herr Bäcker, Frau Bäckerin, beide haben die Meisterprüfung | |
abgelegt. Elisabeth Schneider ist eine geborene Faber, ihrer Familie gehört | |
die Bäckerei seit vielen Generationen. „Wenn du meine Tochter haben willst, | |
musst du Bäcker lernen“, hat der alte Faber damals zu Uwe Schneider gesagt. | |
Er lernte Bäcker, sie heiratete ihn, jetzt schmunzelt die Frau mit den | |
lebhaften Augen und den dunklen Haaren. „Wir sind die älteste Bäckerei | |
Thüringens“, sagt sie. „Ihre Geschichte lässt sich bis 1553 | |
zurückverfolgen, das habe ich im Stadtarchiv herausgefunden.“ | |
## „Ich bin der Automat“ | |
Geisa, Südthüringen. Die Bäckerei Faber ist die letzte in dem | |
2.000-Einwohner-Ort. Der frühere Schlecker ist noch nicht wieder vermietet, | |
am Ortsrand gibt es zwei Supermärkte, die Fertigbackwaren anbieten. | |
Tiefgefrorene Teigrohlinge, aus China vielleicht, die im Backautomaten | |
aufgebacken werden. Ohne Garzeit, mithilfe chemischer Triebmittel. „Ich | |
nenne unser Brot ’ehrliches Brot‘ “, sagt Frau Bäckerin, „da gehört n… | |
Mehl dran, Salz, Wasser und Sauerteig.“ | |
Die Sauerteigbasis besteht zu gleichen Anteilen aus Roggenmehl und Wasser, | |
die vermengt werden und bei Zimmertemperatur – ähnlich dem Hefeansatz – | |
ruhen. Milchsäurebakterien, die in Luft und Mehl natürlich vorkommen, | |
sorgen dafür, dass die Masse säuert – Essigsäurebakterien und Hefepilze | |
werden dabei freigesetzt. „Das gibt nicht nur Trieb, sondern auch | |
Geschmack“, erklärt Uwe Schneider. | |
Roggenmehl und Sauerteig, das ist ein ganz besonderes Paar. Die Säure | |
braucht es, um den Teig aufzulockern und eine gute Krume zu bilden. Denn | |
anders als etwa Weizen enthält Roggen keinen Kleberanteil. Ohne Säure | |
bliebe Roggenteig platt und fest wie ein Stein. Andere Bäcker haben dafür | |
Sauerteigautomaten. Uwe Schneider nicht. „Ich bin der Automat“, sagt er, | |
„da kann ich das steuern. Noch ein bisschen Mehl, noch ein bisschen | |
Wasser.“ Denn weder darf der Vorteig übersäuern noch faulen. | |
## Eigentlich Slow Food | |
## | |
Der Bäcker schaltet den Motor der großen Rührschüssel ein – ganz langsam | |
dreht sich der Knethaken. Dann ist wieder Ruhe bis zum nächsten Anfüttern. | |
„Sauerteig ist eigentlich Slow Food“, erklärt Elisabeth Schneider. Die | |
Bäckersfrau hat sich das passende Marketingvokabular angeeignet. Seit zwei | |
Jahren veranstaltet sie Führungen durch ihre Backstube, hält Vorträge, | |
verkostet die Besucher. „Wussten Sie, dass schon die alten Ägypter | |
Sauerteig kannten?“, fragt sie. | |
Hinter dem Ladengeschäft wurde der Innenhof als Café hergerichtet, gerade | |
sind eine Geburtstagsgruppe eingetroffen und ein paar Radler, die den | |
Rhönradweg ausprobieren. | |
Es ist Nachmittag, das Brotregal weitgehend leer gekauft, in der Theke | |
stehen drei der für Thüringen und diese Jahreszeit typischen | |
Obst-Schmand-Kuchen. Mit der „Erlebnisbäckerei“ und dem Hofcafé haben sich | |
die Schneiders ein zweites Standbein geschaffen. Vor zwei Jahren stellten | |
sie fest, „es rechnet sich nicht mehr“. Frau Schneider ließ sich von der | |
Handwerkskammer beraten. „Machen Sie das, was Sie gut können“, hieß es. | |
Backen hat sie gelernt; reden, kommunizieren, das liegt ihr. Noch heute | |
fährt sie dreimal pro Woche mit dem Verkaufswagen los über die Dörfer im | |
Geisaer Amt. | |
## Arbeitsbeginn um Mitternacht | |
Die Bäckerei und das Café, Schneiders brauchen finanziell beides. Die hohen | |
Energie- und Rohstoffpreise machen ihnen zu schaffen. Uwe Schneider | |
verabschiedet sich am späten Nachmittag, er wird bald zu Abend essen und | |
sich dann hinlegen. | |
Um Mitternacht öffnet er die Backstube, nimmt vom gut durchgegarten | |
Sauerteig einen Teil für den kommenden Tag ab, der wieder neu angesetzt | |
wird. Dann verarbeitet er den Brotteig. Dabei kommt die „PGH Fortschritt“ | |
zum Einsatz, der maschinelle Knethaken, etwa 15 Minuten lang. Jetzt wird | |
der Teig abgewogen und mit der Hand zu Brotlaiben geformt. | |
In Schablonen können sie anschließend drei Stunden reifen. „Je länger der | |
Teig steht, desto besser arbeiten die Enzyme, und desto besser wird das | |
Brot“, erklärt Schneider. Während der Ruhe- und Garzeiten des Brots | |
bereitet er Biskuit- und Brandteig zu, setzt Hefeteig für die Brötchen an, | |
bestreicht die Brote immer wieder mit Wasser. Die ersten Stunden ist er | |
allein in der Backstube, er genießt die nächtliche Stille. | |
## Die Fortuna des Bäckers | |
Zwischen 150 und 200 Brote backen Schneiders pro Nacht, hinzu kommen über | |
500 Brötchen, alles ohne künstliche Triebmittel und Zusatzstoffe. | |
„Wir haben mildere Brote als im Süden“, sagt Elisabeth Schneider, das | |
Mischbrot ist ihr persönlich das liebste, „das ist am ausgewogensten“. 70 | |
Prozent Roggen-, 30 Prozent Weizenmehl. Es dauert eine Weile, bis die | |
Brötchen ausreichend vorgegart haben. „Ich treib die nicht“, sagt Uwe | |
Schneider. Mit chemischen Mitteln, meint er. Aber es klingt, als wolle er | |
sagen, er treibe sie nicht an. | |
Dann verschwinden sie auf Blechen in großen Stellwagen in einem Ofen, der | |
von außen aussieht wie eine Fahrstuhltür. Dort werden sie kurz von allen | |
Seiten mit Wasser gedämpft, bevor sie zwanzig Minuten backen. Die Brote | |
dagegen werden mit einem langen Schieber für eine Stunde bei 220 Grad in | |
den anderen Ofen geschoben. Vier Klappen hat der, mit je vier 2,40 Meter | |
langen Steinplatten. | |
Den Ofen hatte Schneider noch zu DDR-Zeiten bestellt; damals waren zehn | |
Jahre Wartezeit normal. „In der gesetzlosen Zeit kam er dann | |
holterdiepolter.“ Der Ofen wird mit Öl betrieben, deswegen muss er nur eine | |
halbe Stunde lang vorheizen. Zu DDR-Zeiten wurde mit Kohle geheizt, da ging | |
der Arbeitstag schon um zehn Uhr abends los. „Und die ganze Schlacke!“ | |
## Das Geheimnis der Ostbrötchen | |
Die Bäckerei Faber blieb auch in der DDR ein Privatbetrieb. „Die konnten | |
uns nicht wegrationalisieren, die waren auf die kleinen Bäckereien | |
angewiesen.“ Nicht mehr aus DDR-Zeiten, auch wenn sie so aussieht, stammt | |
die schöne „Fortuna“, eine „Brötchen-Teigteile-Wirkmaschine“, wo der | |
angegarte Hefeteig auf eine rote, runde Platte kommt. Dann portioniert die | |
Fortuna den Teig und lässt die Scheibe mit den Brötchen rotieren, sodass | |
sie in Form kommen. | |
Gibt es bei den Schneiders die berühmten Ostbrötchen? Und was ist | |
eigentlich ihr Geheimnis? „Bei uns kommen die Ostbrötchen in den normalen | |
Backofen, ohne Wasserdampf, dann ist die Kruste weicher und das Brötchen | |
nicht so aufgeplustert“, verrät Elisabeth Schneider. Die Bäckerin gesellt | |
sich erst um drei Uhr nachts in der Backstube dazu, später kommt noch eine | |
Angestellte, die sich um die süßen Backwaren kümmert. | |
Die Bäckerei Faber ist ein Familienbetrieb, der Bäcker hilft vormittags mit | |
im Laden, eine Tochter am Nachmittag, wenn sie von ihrem Job in Fulda | |
zurück ist. Übernehmen wollen die beiden Töchter das Geschäft nicht. „Das | |
haben wir irgendwie verpasst“, sagt Elisabeth Schneider und zuckt mit den | |
Achseln. Sie weiß nicht, ob das gut ist oder nicht. Aber ein bisschen | |
schade findet sie es schon. | |
## Wälder, Weiden, Stoppelfelder | |
1987 hat sie die Bäckerei von ihrem Vater übernommen, da war sie 27. So alt | |
wie ihr Vater, als der sie von seinem Vater übernahm. Direkt nach dem | |
Krieg. Eigentlich wollte er in die USA, doch als Großvater Faber von den | |
Russen interniert wurde, übernahm er das Geschäft der Eltern in Geisa. Wenn | |
Schwiegersohn Uwe Schneider heute gegen Morgen in seiner Backstube die | |
Rollläden hochzieht, geht sein Blick nach hinten raus, ins Tal. „Das ist | |
das Schönste morgens“, sagt er, „wenn die Sonne aufgeht.“ | |
Er blickt dann auf die Thüringische Rhön, einen Mittelgebirgszug mit weiten | |
Tälern, grünen Wäldern und Weiden sowie gelben Stoppelfeldern, auf denen | |
die Heuballen auf den Abtransport warten. | |
Am frühen Morgen, der Laden ist noch gar nicht geöffnet, schauen die | |
Nachtschichtler und ersten Frühaufsteher in die Backstube hinein. Die | |
Pendler holen sich ofenfrische Brötchen für die Fahrt. 45 Cent kosten die | |
doppelten Runden, wie sie in Thüringen heißen. Nicht teuer, und trotzdem | |
scheuen die Leute die Kosten, seufzt Elisabeth Schneider. Dabei sei Brot | |
doch ein Kulturgut, es werde bloß nicht ausreichend wertgeschätzt. Ist das | |
ein DDR-Vermächtnis? Nein, eher hat das mit einem Stadt-Land-Gefälle zu | |
tun, meint sie. | |
## Eiweißbrot gibt’s nicht | |
Neumodischen Schnickschnack machen auch Schneiders nicht mit. Ihr Brot ist | |
schlicht: Mischbrot, reines Roggenbrot, Weißbrot. Soja oder diese | |
Eiweißbrote, „das gibt’s bei mir nicht“, sagt die Bäckersfrau. Auch Bio | |
betrachtet sie skeptisch, stattdessen hat sich die Bäckerei für das | |
Biosphärenreservat Rhön zertifizieren lassen und verwendet, so gut es geht, | |
nur regionale Produkte. | |
Das Roggenmehl stammt von einer kleinen Mühle in der Rhön, den Weizen | |
beziehen sie von der Bäckerinnung. Ein Zugeständnis an die heutige Zeit | |
sind die Körnerbrote, die Bäckerei Faber im Angebot hat. Eigentlich ist das | |
„unnütz“, sagt Frau Schneider, „denn das Mehl muss ja zum Verdauen | |
aufgeschlossen sein.“ Jetzt ist sie wieder in ihrem Element, die | |
Botschafterin für das Brot. | |
28 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Sabine Seifert | |
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