# taz.de -- Frühlingsanfang in Berlin: Veronika, der Spargel wächst! | |
> Am Sonntag beginnt laut Kalender der Frühling. Aber wie steht es mit den | |
> Gefühlen? Und: Haben wir mehr Lust auf Sex? | |
Bild: Es blüht doch schon was in Berlin! Nur: wo ist der Spargel? | |
Eine unserer großen Familienerzählungen ist die, wie ich gezeugt wurde. Zu | |
einem Zeitpunkt, als ich nichts peinlicher fand als Einblicke ins | |
Sexualleben meiner Eltern, wurden sie nicht müde zu betonen: „Du wurdest im | |
Frühling gezeugt! Zwischen Umzugskisten!“ | |
Die Wirkung von Erzählungen wie diesen ist mächtig. Das sieht man daran, | |
dass auch meine Kinder im Frühling gezeugt wurden – und dass ich damit | |
nicht allein bin. Die größte Dichte von Geburtstagen im Bekanntenkreis | |
verzeichnet mein Kalender im Dezember. | |
Aber wie steht es wirklich mit den Frühlingsgefühlen? Am 20. März beginnt | |
aus astronomischer Sicht der Frühling, denn Tag und Nacht sind an diesem | |
Tag genau gleich lang. Aus meteorologischer und phänomenologischer Sicht – | |
also in Bezug auf Wetter und blühende Pflanzen – hat der Frühling bereits | |
Anfang März begonnen. Haben wir deshalb mehr Lust auf Sex? | |
Und welchen natürlichen Grund sollte es geben, sich ausgerechnet im | |
Frühling fortpflanzen zu wollen? Weder sind wir verwandt mit Kaninchen noch | |
mit Katzen, deren Nachwuchs auf das saftige Gras und die fetten Mäuse im | |
Sommer angewiesen sind, um den ersten Winter zu überleben. Es macht | |
evolutionsbiologisch gesehen also keinen Sinn, Kinder zu gebären, wenn die | |
Äcker nichts Frisches mehr hergeben. | |
Die Wissenschaft ist gespalten in der Frage nach den Frühlingsgefühlen. Es | |
gibt Vertreter der Endokrinologie, der Lehre von den Hormonen, die | |
behaupten: Nur noch die indigenen Völker der Arktis haben biologisch | |
bedingte Frühlingsgefühle. Andere sind da anderer Ansicht, so der Berliner | |
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité, Jan Kalbitzer, | |
der die psychischen Auswirkungen der Jahreszeitenwechsel auf Skandinavier | |
erforscht hat: „Natürlich gibt es Frühlingsgefühle. Wir nehmen sie ja wahr, | |
sonst würden wir nicht darüber reden.“ | |
Kalbitzer nimmt an, Frühlingsgefühle entstehen aus einer Art Zusammenspiel | |
von Biologie und Konvention. Nach wie vor spielt das Licht eine große | |
Rolle. Melatonin, das Schlafhormon, kann nur bei Dunkelheit produziert | |
werden. Serotonin, das wacher, sozialer und freundlicher macht, braucht | |
hingegen Licht. Bei Menschen fern des Äquators passt sich der Stoffwechsel | |
dieser Hormone den Jahreszeiten an. Übersetzt: Im Winter gibt es mehr | |
Melatonin, im Sommer mehr Serotonin. | |
Selbst dafür, dass die Natur uns im Winter Kinder kriegen lässt, hat | |
Kalbitzer eine Erklärung, wenn auch eine spekulative, wie er meint. In der | |
Regel beginnt man erst nach sechs Monaten, seinem Baby neben der | |
Muttermilch auch feste Nahrung anzubieten. Bei Winterkindern ist es | |
vorgesehen, dass sie im Sommer beginnen, Frisches zu essen. Wenn die Beeren | |
reif werden, zum Beispiel. | |
Und wie steht es mit der Frühjahrsmüdigkeit? Widerspricht dieses Gefühl, | |
das viele zurzeit auch beschreiben, nicht der Lust auf mehr Sex? Im | |
Gegenteil, meint Jan Kalbitzer. Oft seien die Hormone noch nicht bereit, | |
auf die Reize unserer Mitmenschen und der Werbeindustrie anzuspringen. „Das | |
kann anstrengend sein“, sagt er. Beste Hormon-Nachhilfe in diesem Fall: | |
sich mehr Zeit nehmen oder Bewegung bei Tageslicht. | |
Ob Biologie oder Konvention: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die | |
Sonne in diesen Tagen stärker wird. Die Berliner gehen wieder öfter vor die | |
Tür, setzen sich auf die Bürgersteige vor die Cafés und, man höre und | |
staune, sie lächeln sogar fremde Menschen an. Und Berliner Partnerbörsen | |
wie eDarling? In den ersten vier Monaten des Jahres 2015 gab es 28 Prozent | |
mehr Neuanmeldungen als im Rest des Jahres. | |
20 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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