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# taz.de -- Kuhmilch als Nahrungsmittel: Krebsauslöser oder Lebenselixier?
> Über das Für und Wider von Milch als Nahrungsmittel wird heftig
> gestritten. Manch einer verteufelt sie. Andere wollen nicht drauf
> verzichten.
Bild: Das Image von Milch hat ziemlich gelitten in den letzten Jahren
„Milch macht Krebs“ – so lautet ein Schlachtruf veganer Aktivisten. Auch
viele gemäßigte Zeitgenossen hegen eine ablehnende Haltung gegenüber Milch
und Milchprodukten. Sogar Hausärzte raten mittlerweile bei Erkältungen,
doch mal Milch wegen seiner „verschleimenden“ Wirkung wegzulassen. Zudem
soll Milch zu Übergewicht, Diabetes und Übersäuerung führen, obendrein
neurodegenerative Leiden, Herzkrankheiten und Allergien befördern. Auch
Nierensteine, Arthritis, entzündliche Darmerkrankungen und Akne sollen auf
das Konto von Milchvöllerei gehen.
Galt Milch nicht einmal als Muntermacher, als Knochenstärkungsmittel, als
naturreines Produkt von Almkühen? Oder zumindest als ein nicht
wegzudenkendes Grundnahrungsmittel, dem Europäer über 8.000 Jahre vertraut
haben? Ja, doch das ist Vergangenheit, Milch hat heute den Nimbus eines
weißen Gifts. Betrachtet man sich allerdings die wissenschaftlichen Fakten,
bleibt nicht mehr viel vom schlechten Image. Allerdings war auch das
frühere, das gute Image maßlos übertrieben – ein PR-Konstrukt der
Milchindustrie.
Zwar ist sicher, dass Kinder von Milch in den empfohlenen Mengen
profitieren, ihr Knochenbau wird robuster. „Doch Milchgenuss im
Erwachsenenalter schützt nicht vor Osteoporose und Knochenbrüchen“, sagt
Walter Willett, Ernährungswissenschaftler an der Harvard University. Grund
für diese Annahme war, dass Milch ein hervorragender Calcium-Lieferant ist
und das Mineral braucht das Skelett für seine Festigkeit. Doch die
Knochendichte hängt auch von anderen Lebensmittel-Inhaltsstoffen ab.
Vitamin D verhindert etwa den Calcium-Abbau aus den Knochen.
Auch so gut wie alle anderen Anschuldigungen entbehren wissenschaftlicher
Fakten, wie eine Analyse des Max-Rubner-Instituts (MRI) aus dem Jahr 2014
zeigt. Das Krebsrisiko wird etwa mit dem Konsum von 2 bis 3 Milchportionen
pro Tag, wie sie die meisten Fachgesellschaften empfehlen, nicht erhöht.
„Es gibt lediglich Hinweise, dass mehr als ein Liter Milch pro Tag das
Wachstum von Prostatakrebszellen anfacht“, sagt Johanna Lampe,
Wissenschaftlerin am Fred Hutchinson Cancer Research Center. Dagegen sei
ein normaler Milchkonsum sogar in geringem Maße gegen Magen-, Darm- und
Brustkrebs wirksam. Jedoch ließ sich die Gefahr für die Brust nur durch den
Konsum fermentierter Milchprodukte wie Joghurt abmildern.
Wie kommen die Milchgegner also dazu, Milch pauschal als krebsfördernd zu
bezeichnen? Schuld daran trägt zum einen ein Wachstumshormon namens IGF-1,
das natürlicher weise in großen Mengen in der Kuhmilch steckt. Und
epidemiologische Studien zeigten: Wer lang anhaltend viel IGF-1 im Blut
hat, erkrankt eher an Krebs. Doch der IGF-1-Spiegel hängt mit der
körpereigenen Produktion und Regulation zusammen. Diese wird vermutlich
bereits in der Kindheit geprägt. Das Wachstumshormon aus der Milch wird
dagegen größtenteils im Darm zerlegt und beeinflusst den Blutwert kaum.
## Durch die Darmwand direkt ins Blut
Neben dem IGF-1 gibt es einen neuen Bösewicht: sogenannte Micro-RNA. Diese
kleinen Erbgut-Fragmente können Gene regulieren. Rund 245 verschiedene
solcher Minipartikel tummeln sich in der Kuhmilch. Sie sollen laut
Forschern wie Bodo Melnik von der Uni Osnabrück aus der Nahrung durch die
Darmwand ins Blut gelangen, wo sie – über Speziesgrenzen hinweg – bioaktiv
sind. Melnik glaubt, dass Kuh-Micro-RNA nicht nur für Krebs, sondern auch
für Akne, Übergewicht und Diabetes verantwortlich ist. So stoße Micro-RNA
etwa in der Bauchspeicheldrüse Signalwege an, die das Diabetes-Risiko
erhöhen.
Allerdings stammen diese Funde bislang nur aus Tierversuchen. Zudem wird
derzeit heftig debattiert, ob die Mini-Moleküle in nennenswerten Mengen im
Blut ankommen. Und obendrein ist unklar, ob diese nicht vielleicht sogar
positive Wirkungen haben. Die Forschung steht hier also noch am Anfang,
endgültige Schlüsse lassen sich daraus nicht ziehen.
Ein weiterer möglicher Krankmacher in der Milch könnte die D-Galaktose
sein, glauben Forscher um Karl Michaëlsson von der Uppsala University. Im
Tierversuch entfacht sie Entzündungen und schwächt die Abwehr. In einer
Studie des Forschers aus dem Jahr 2014 ging ein hoher Milchkonsum auch mit
hohen Entzündungswerten im Blut, häufigeren Knochenbrüchen und verkürzter
Lebenszeit einher.
In Milchprodukten findet sich wiederum deutlich weniger Galaktose.
Joghurt-Fans litten indes auch weniger unter Frakturen und lebten länger in
der Studie, an der mehr als 100.000 Probanden teilnahmen. Von Milch in
Maßen rät Michaëlsson jedoch nicht ab.
Besieht man sich weitere epidemiologische Studien, so ist das Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch den Verzehr von Milch und Milchprodukten
nicht erhöht. Dagegen sinkt das Diabetes-Risiko. Allerdings auch wieder
nur, wenn die Teilnehmer gern Käse, Kefir und Joghurt verzehrten.
Vermutlich schützen Milchprodukte vor Diabetes, weil Vitamin K, ein
Schutzfaktor, bei der Fermentation entsteht.
Auch dick macht Milch wohl eher nicht. Im Gegenteil: Interventionsstudien
zeigten, dass Milch während einer Reduktionsdiät beim Aufbau von
Muskelmasse hilft, während Fettmasse abgebaut wird. Für Kinder scheint
Milch als Ersatz für Softdrinks ein wirksamer Schutz vor Übergewicht zu
sein. Ob zuviel Milch bei Jugendlichen die Pickel sprießen lässt, ist
derzeit noch zu wenig erforscht.
## Pasteurisiert und homogenisiert
Es könnte jedoch auch einen Unterschied machen, wie Milch hergestellt und
behandelt wurde. Schließlich gibt es rohe, pasteurisierte, homogenisierte,
fettarme, ESL- und H-Milch. In Rohmilch finden sich mehr gutartige
Mikroben, die Fettbestandteile und Eiweiße sind physikalisch-chemisch
betrachtet deutlich anders beschaffen als in pasteurisierten und
homogenisierten Produkten.
Klar ist nur, dass Bauernhofkinder durch Rohmilchkonsum früh im Leben eine
bessere Immunantwort aufbauen und deswegen vor Allergien und Asthma
geschützt sind. Während die meisten Experten von Rohmilch wegen möglicher
pathogener Keime abraten, plädiert Ton Baars, Wissenschaftler am
Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) dafür: „Es gibt die
Möglichkeit, kontrollierte Rohmilch als Vorzugsmilch zu erhalten. Ich habe
keine Angst vor 0,5 bis 1 Liter Vollmilch und Milchprodukten am Tag,
möglichst Vorzugsmilch, sonst Demeter-Milch, die ist nicht homogenisiert.“
Wer Milchzucker nicht verträgt, also auf den Cappuccino mit Bauchschmerzen
und Durchfall reagiert, ist naturgemäß nicht gut auf Milch zu sprechen.
Rund 15 Prozent der Deutschen leiden unter einer Laktoseintoleranz. Kleine
Mengen Laktose werden gut vertragen, alternativ gibt es laktosefreie
Produkte.
Nach einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung haben jedoch rund 80
Prozent der Käufer dieser Spezialprodukte gar keine Unverträglichkeit.
„Dass viele Menschen Milch heute als unverträglich empfinden, liegt an der
industriellen Verarbeitung“, glaubt FiBL-Forscher Baars.
20 May 2016
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Milch
Lebensmittel
Krebs
Keime
BMBF
Landwirtschaft
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