# taz.de -- Schlagloch Mali: Es ist ja nur Afrika | |
> Die Wahlen in Mali waren ein Desaster, eine Verhöhnung des Wunsches nach | |
> Demokratie mit den Mitteln einer Wahl. Aber dem Westen haben sie | |
> gefallen. | |
Bild: Wahlhelferinnen in Mali. | |
Was würden wir empfinden, wenn das bei uns wäre? Wenn bei uns eine Wahl | |
folgendermaßen aussähe: Keine Partei hat ein Programm oder überhaupt | |
erkennbare politische Absichten. Durch wochenlange | |
Hinterzimmerverhandlungen entstehen unter diesen Parteien Allianzen, die in | |
jedem Wahlkreis anders aussehen und einzig dem Prinzip der Postengier | |
folgen. Wer am meisten Geld auf den Tisch legt, bekommt einen Listenplatz. | |
Stellen wir uns also vor, das würde bei uns passieren, in einem | |
europäischen Land, und dann käme ein Herr namens Louis Michel, Leiter einer | |
offiziellen EU-Beobachtermission, und würde uns ermahnen, diesen | |
Politschrott zu wählen. Lachhaft, nicht vorstellbar? Eben. So etwas gibt es | |
nur in Afrika. Denn dort haben die Menschen ja nicht unsere Ansprüche. | |
Mali also. „Im speziellen Kontext von Mali ist wählen nicht nur ein Recht, | |
es ist eine moralische Pflicht“, so Herr Michel, belgischer | |
Exaußenminister, in Langfassung. Erinnern wir uns einen Moment an diesen | |
speziellen Kontext: Eine politische Klasse, die längst das Vertrauen der | |
Bevölkerung verloren hatte, unterhielt eine Fassadendemokratie, die im | |
Westen „Modell“ genannt wurde. Selbige politische Klasse ruinierte das Land | |
und überließ seinen Nordteil so lange mafiösen Strukturen, bis erst | |
Tuareg-Separatisten und dann Dschihadisten dort im Handstreich die Macht | |
übernahmen. | |
Es folgte eine französisch geführte Militärintervention und ein vom Westen | |
aufgezwungener schneller Wahlprozess. Und nun, als handele sich um eine | |
böse Kuckucksuhr, sind die Bankrotteure von gestern wieder da – unter der | |
Obhut französischer Vormundschaft, einer nur auf ihre eigene Sicherheit | |
erpichten EU und zehntausend UN-Soldaten. Die Parlamentswahl, beendet am | |
vergangenen Sonntag, war nach offizieller Lesart „der letzte Baustein bei | |
der Wiedererrichtung der verfassungsmäßigen Ordnung“. | |
## Wie eine böse Kuckucksuhr | |
In Wahrheit war sie ein Desaster – eine Verhöhnung des Wunsches nach | |
Demokratie mit den Mitteln einer Wahl. Ich hatte das traurige Privileg, sie | |
aus der Nähe zu erleben. Viele Malier waren angewidert von der Weise, wie | |
die Wahllisten zustande kamen. Die Konkurrenz um Posten und Pfründen schien | |
schlimmer denn je; Mitglieder ein und derselben Partei standen sogar auf | |
Listen, die gegeneinander antraten. | |
Der Wahlkampf sah dann so aus: Einem Pick-up, der ein Porträt des | |
Kandidaten zeigte, folgte ein Schwarm von Mopedfahrern, die durch Hupen und | |
Schreien eine enthusiastische Anhängerschaft simulierten. Die jungen | |
Mopedfahrer bekamen dafür eine Tankfüllung – Sprit ist teuer – oder Geld | |
für ein paar Runden bittersüßen grünen Tee. In diesen Tee-Runden | |
organisiert sich ein Großteil der arbeitslosen jungen Generation. Deshalb | |
sind die Tee-Runden auch ein bevorzugter Ort, um Wähler zu mobilisieren – | |
mit ein paar Scheinchen. | |
## Gekaufte, aber ehrliche Wähler | |
Der Kauf von Wählerstimmen war in zwei Jahrzehnten Fassadendemokratie eine | |
eingeübte Praxis. Ich hatte mich immer gefragt, warum Menschen für einen | |
Tageslohn – 1.000 westafrikanische Franc, etwa 1,50 Euro – tatsächlich | |
ihren Gönner wählen. Sie könnten das Geld doch nehmen und jemand anderen | |
wählen. Aber es gibt in Mali eine Treue zum Patron; das Wahlvolk war | |
ehrlich, es betrog nicht den betrügerischen Kandidaten. Außerdem zählt auch | |
hier der malische Gemeinschaftssinn: So geht zum Beispiel am Wahlmorgen der | |
Abgesandte eines Familienverbandes direkt zum Haus des Kandidaten, um Geld | |
für zwei Dutzend Stimmen abzuholen. | |
Ganz sicher ist es natürlich nicht, allein auf die Wirksamkeit | |
patriarchaler Sitten zu vertrauen. Außerdem werden die Wähler | |
anspruchsvoller, erwarten nun gar einen Wochenlohn. So gab es diesmal neue | |
Methoden. Es waren „vormarkierte“ Wahlzettel in Umlauf; der Wähler nahm | |
einen solchen Zettel, im Gewand versteckt, mit in die Kabine, steckte ihn | |
dort in den vorgesehenen Umschlag und ließ dafür den Blankowahlzettel im | |
Gewand verschwinden. | |
Zeigte er dem Gönner den Blankozettel als Beweis der gelungenen Tat, | |
brachte das 7,60 Euro ein. Eine solche Prämie bekam auch, wer seinen Finger | |
mit dem Handy fotografierte, und zwar dann, wenn der in „fälschungssichere“ | |
Tinte getunkte Finger neben dem Foto des zahlenden Kandidaten platziert | |
wurde. | |
Auf den Straßen der Hauptstadt wurde über solche Methoden offen gesprochen. | |
Tausende von Wahlbeobachtern waren im Einsatz, nationale wie | |
internationale, doch sie achteten vor allem darauf, dass die Wahllokale die | |
Öffnungszeiten einhielten. | |
## Wahlbeobachter, taub und blind | |
Im letzten Juli, als der Präsident gewählt wurde, hatte noch politischer | |
Aufbruch in der Luft gelegen. Frühmorgens schon Schlangen vor den | |
Wahllokalen; viele Malier wählten zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie | |
glaubten den Slogans, die politische Veränderung und saubere Politik | |
versprachen. Seitdem war wenig geschehen, um das vorgeschossene Vertrauen | |
zu rechtfertigen. Daher war die Stimme nun wieder eine Handelsware, und sie | |
wurde mit großer Nüchternheit eingesetzt. Einen Kandidaten zu wählen, der | |
einem vielleicht besser gefiel, der aber nicht zahlte, galt als | |
Stimmverschwendung. | |
Gar nicht zur Wahl zu gehen, konnte unter diesen Vorzeichen der moralische | |
Verzicht auf Vorteilsnahme sein. In einigen Tee-Runden wurde dafür | |
geworben, aus Protest ungültig zu wählen; dies blieb eine kleine | |
Avantgarde. Niedrige Wahlbeteiligung vorausahnend, erfand nicht nur der | |
oberste EU-Beobachter die Pflicht, zu wählen. | |
Ein Schwall von Aufrufen ergoss sich über das Land: Wählen ist | |
Bürgerpflicht! Wer einstimmte, kam als NGO noch schnell an das Budget einer | |
westlichen Botschaft. Und wie immer fanden sich Malier, die sich in ein | |
Aufklärungsseminar setzten, weil sie dafür ein Tagegeld bekamen. Am Wahltag | |
befragte das Staatsfernsehen Leute vor den Wahllokalen. Die antworteten wie | |
Sprechpuppen, gerade hätten sie ihre Bürgerpflicht erfüllt. Es war zum | |
Fürchten und sehr traurig. Ein Demokratietheater, wie früher. | |
22 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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