# taz.de -- Schlagloch Schriftstellerappell: Defätisten und Sektierer | |
> Der Schriftstelleraufruf gegen die Überwachungspraktiken der | |
> Geheimdienste hat einige empört. Das sagt mehr über ihre geistige | |
> Haltung, als über das Schreiben. | |
Bild: Knacken, Lauschen, Mitschneiden: Die NSA kann viel | |
Als ein nicht gerade unbekannter Verleger neulich Kultur und nicht Politik | |
als die ureigene Aufgabe von Autorinnen und Autoren bezeichnete, kamen mir | |
Sätze in den Sinn, die Thomas Mann am 22. April 1937 in New York äußerte. | |
Der bis zu diesem Zeitpunkt eher unpolitisch auftretende Grandseigneur der | |
deutschen Literatur sprach zunächst von der „Selbstüberwindung“, die es i… | |
koste, „aus der Stille meiner Arbeitsstätte herauszutreten vor die | |
Menschen, um persönlich und mit eigener Stimme für die bedrohten Werte zu | |
zeugen“. | |
Dann fuhr er fort: „Es wäre durchaus falsch und bedeutete, eine | |
schöngeistig schwächliche Haltung, Macht und Geist, Kultur und Politik in | |
einen notwendigen Gegensatz zu bringen und von der Höhe des Spirituellen | |
und Künstlerischen hochmütig auf die politische und soziale Sphäre | |
hinabzublicken. […] Es war ein Irrtum deutscher Bürgerlichkeit, zu glauben, | |
man müsse ein unpolitischer Kulturmensch sein. Wohin die Kultur gerät, wenn | |
es ihr am politischen Instinkt mangelt, das können wir heute sehen.“ | |
Seine Rede trug den unmissverständlichen Titel: „Bekenntnis zum Kampf für | |
die Freiheit“. | |
## Bekenntnis und Widerspruch | |
In den vier Wochen seit dem [1][Erscheinen eines Aufrufs von | |
Schriftstellerinnen und Schriftstellern] gegen die weltweit massenhafte | |
Überwachung am 10. Dezember 2013 wurde ich als einer der Initiatoren mit | |
Reaktionen konfrontiert, die mich immer wieder an die Worte von Thomas Mann | |
denken ließen. Gewiss, auf ein öffentliches Bekenntnis folgt meist ebenso | |
öffentlicher Widerspruch. Allerdings lässt sich anhand der Formulierung und | |
Argumentation des Widerspruchs einiges über Zeitgeist und intellektuelle | |
Haltung herauslesen. | |
Nein, ich meine nicht die Kolleginnen und Kollegen, die sich beschwerten, | |
weil sie nicht zur Unterschrift aufgefordert worden waren, und auch nicht | |
den amerikanischen Jungstar, der zwar seine Unterschrift verweigerte, den | |
Initiatoren aber großzügig anbot, da er selbst Gewichtiges zum Thema zu | |
verfassen gedenke, könnten sie ihm mit Kontakten zu internationalen Medien | |
behilflich sein. Eitelkeit ist zwar ein politisches Phänomen, aber ein | |
durch und durch affirmatives. | |
Ich beziehe mich auch nicht auf jenen Teil der Presse, dem ein Aufruf zum | |
Schutz individueller Freiheitsrechte als „zu links, zu viel des | |
Gutmenschentums“ erschien oder der sich auf Diffamierung statt auf | |
Differenzierung spezialisiert hat. Am meisten haben mir die Reaktionen von | |
jenen zu denken gegeben, die durchaus die existenzielle Bedrohung von | |
Privatsphäre, freier Meinungsäußerung und der demokratischen Verfasstheit | |
der Gesellschaft durch massenhafte Überwachung erkennen. | |
Es lohnt sich, genauer hinzusehen, aus was für Gründen diese Mitmenschen | |
sich trotzdem dem Protest, dem Widerstand verweigern. Nicht wenige | |
äußerten, mal im tragischen, mal im sarkastischen Ton, es sei ohnehin zu | |
spät, die Entwicklung nicht aufzuhalten, die digitale Versklavung des | |
Menschen ein unausweichliches Naturgesetz. Es handelt sich hier um | |
Defätisten, die es sich auf dem Hochsitz der pessimistischen Weltanschauung | |
bequem gemacht haben und dem Spirituellen in Totengräberarien frönen. | |
## Maximal zur Lethargie | |
Andere wandten meist höhnisch ein, so ein braver Aufruf werde das Problem | |
nicht lösen, die Geheimdienste kaum erzittern lassen, auch wenn er von über | |
500 namhaften Autorinnen und Autoren aus 83 Ländern unterschrieben, auch | |
wenn er weltweit in 32 führenden Printmedien publiziert worden ist. Das | |
sind die Maximalisten, die jeden Veränderungsvorschlag mit ihrem absoluten | |
Anspruch wegfegen, um sich zur Lethargie zu betten. | |
Ihnen kann kein politischer Text genügen, weil keiner eine umfangreiche | |
Analyse und umfassende Lösung des Problems bietet. Das sind jene, die zu | |
Hause bleiben, gebannt von der tiefen Weisheit, dass mit einem Schritt (und | |
sei er noch so ausgreifend) kein Marathon zu bewältigen ist. | |
Die Minimalisten hingegen suchen das Haar in der Suppe und strangulieren | |
damit das ganze Projekt. Insgeheim wollen sie der Profanisierung des | |
Geistes durch politisches Engagement vorbeugen, weswegen sie – wie etwa ein | |
Literaturkritiker einer führenden deutschen Tageszeitung – ausführlich über | |
ein Possessivpronomen in unserem Aufruf reflektieren. In ihren Augen müssen | |
Intellektuelle stets mit delikatem Raffinement das wahre Wort wiegen. Ihnen | |
ist das Genre des Zwischenrufs grundsätzlich zuwider. | |
Das sind Connaisseurs, die ein ganzes Wagner-Jahr lang unerwähnt gelassen | |
haben, dass der Komponist 1849 Flugblätter von der Kreuzkirche zu Dresden | |
hinabwarf und auf den Barrikaden für mehr Freiheit kämpfte. Solchen | |
Zeitgenossen und Zeitgenossinnen sind hehre Werte durchaus genehm, aber nur | |
wenn sie kostümiert auf der Bühne verhandelt werden. | |
## Stimmen in der digitalen Wüste | |
Eine weitere Kategorie stellen die Sektierer, weitverbreitet etwa unter | |
IT-Spezialistinnen und IT-Spezialisten. Sie haben jahrelang bewundernswert | |
als einsame Stimmen in der Wüste des digitalen Unverstands gekämpft, sie | |
sind kompetent und erfahren und nun alles andere als erfreut über die | |
Popularisierung ihres Anliegens. | |
Sie monieren all das, was einem Spezialisten stets sauer aufstößt: zu | |
wenig, zu ungenau und außerdem nichts Neues. Sie sind nicht bereit, dem | |
tiefen Graben Rechnung zu tragen, der sie von einer noch im Analogen | |
verhafteten Bevölkerung trennt, zu der auch die Politikerinnen und | |
Politiker gehören. | |
Der aufmerksamen Leserin, dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, | |
dass ich entgegen meinem üblichen Schreibstil konsequentes Gendering | |
betreibe, eine Folge der Schelte seitens einiger Feministinnen, die ihre | |
wütende Kritik interessanterweise nur an mich, bei den Initiatoren der | |
einzige Mann unter fünf Frauen, richteten. Ohne Gendering – lautet bei | |
ihnen die Devise – kein Kampf gegen Überwachung. | |
Mich beschleicht der Verdacht, dass all diese Nörgler noch nicht verstanden | |
haben, welch einer existenziellen Bedrohung wir uns gegenübersehen, die nur | |
mit vereinten Kräften überwunden werden kann. | |
12 Jan 2014 | |
## LINKS | |
[1] /Schriftsteller-gegen-Ueberwachung/!129144/ | |
## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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