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# taz.de -- Jim Jarmusch über seinen neuen Film: „Tilda sieht aus wie eine R…
> Jim Jarmusch hat einen Vampirfilm gedreht: „Only Lovers Left Alive“.
> Warum Vampire? Warum in Detroit? Und was macht er, wenn der Film nein
> sagt?
Bild: Tilda Swinton als Eve und Tom Hiddleston als Adam in einer Filmszene von …
sonntaz: Herr Jarmusch, was hat Ihr Interesse an Vampiren erregt?
Jim Jarmusch: Ich bin ein Filmfanatiker und ich mag die Qualitäten
unterschiedlicher Genres. Das Vampirgenre ist ausgesprochen reich. Einige
meiner Lieblingsfilme sind Vampirfilme, meistens solche, die sich abseits
der Genreformeln bewegen. Zum Beispiel Tony Scotts „Hunger“ oder Abel
Ferraras „The Addiction“, und Claire Denis hat einen Film gedreht, der
heißt …
… „Trouble Every Day“ …
Genau. Oder das Remake, das Werner Herzog von „Nosferatu“ gemacht hat. Oder
Carl Theodor Dreyers Film „Vampyr“.
Der ist großartig, nicht wahr?
Ja, und überhaupt kein Monsterfilm.
Es gibt eine tolle Sequenz, in der der Protagonist im Sarg liegt; die
Kamera schaut aus seiner Position in den Himmel, und gleichzeitig sitzt er
auf einer Bank und schaut seiner eigenen Beerdigung zu.
Ja, und all die neblig-weißen Szenen, die waren einfach ein Kamerafehler
beim Dreh. Dreyer sah es und sagte: „Wow, das gefällt mir, können wir mehr
davon haben?“ „Vampyr“ ist wirklich ein sehr schönes Beispiel. Hinzu kam,
dass ich einen Film drehen wollte, in dem die Figuren einen historischen
Überblick haben. Sie leben schon sehr lange, so dass sie ein breites Wissen
haben; sie sind kultiviert, und zugleich haben sie etwas Animalisches.
Jahrhundertelang waren sie Raubtiere, und nun lassen sie das hinter sich,
durch Kultiviertheit. Tilda [Swinton] sieht ja manchmal aus, als würde sie
wie eine Raubkatze umherstreifen.
Ihr Film ist voller Anspielungen auf Vampir-Literatur, etwa auf einen
Schreibwettbewerb, den die englischen Autoren Lord Byron, Mary Shelley und
John Polidori 1816 austrugen.
Es gibt zwar deutsche Vampir-Geschichten, die den Romantikern vorausgingen.
Aber für mich beginnt die Vampir-Literatur mit John Polidori und der
englischen Romantik. Adam ist ja vom Wesen her Romantiker, Eve eher
Klassizistin. Sie ist die Sonne, er der Mond, sie ist optimistisch, während
er zur Dramatik neigt: „Ich werde mich umbringen … diese Menschen …“
Warum heißen sie Adam und Eve? Wegen der Bibel?
Nein, wegen Mark Twains wunderbarem Buch „The Diaries of Adam and Eve“. Das
war eine wichtige Inspirationsquelle für meinen Film. Diese Tagebücher sind
wunderschöne, witzige Analysen von Männern und Frauen und den Unterschieden
in der jeweiligen Wahrnehmung. Das ist natürlich eine Verallgemeinerung.
Aber jedes Klischee enthält eine Wahrheit.
Ihr Film ist voller Anspielungen auf Literatur, Kino, Musik …
… auf Wissenschaft, hoffe ich …
Wie kommen die Anspielungen in den Film? Ist das eine bewusste Auswahl?
Eher eine zufällige und intuitive. Ich schreibe jede Menge ins Drehbuch
hinein. Dann sortiere ich wieder aus. Beim Drehen sind es dann aber immer
noch viel zu viele. Beim Schneiden schmeiße ich sie raus. Obwohl ich sie
liebte, musste ich eine Menge coole Referenzen rausschneiden. Sie wirkten
fehl am Platz, so als wollte der Film damit protzen. Filmen bedeutet für
mich, zu viele Dinge anzusammeln. Und im Schneideraum wähle ich aus, was
der Film will.
Woher wissen Sie, was das ist?
Das habe ich über die Jahre gelernt: Der Film sagt mir schon, wenn er etwas
nicht will. Das ist manchmal schwierig, weil ich daran hänge, und dann will
ich, dass der Film es will. Aber der Film sagt: nein. Bei diesem Film gibt
es 30 Minuten Outtakes, die ich später mal auf DVD rausbringen werde. Ich
liebe jedes einzelne. Aber der Film will sie nicht, und er will auch nicht
so lang werden; je länger er wird, umso ernster nimmt er sich, und er ist
ohnehin schon ein wenig zu lang.
Was fehlt denn zum Beispiel?
Eine Szene in Detroit, Eve ist gerade angekommen und unterwegs zu Adams
Haus. Ich sagte: „Das dauert zu lange, was können wir nur herausnehmen?“
Der Schnittmeister sagte: „Diese Szene, aber wir lieben sie beide.“ Ich:
„Ja, die möchte ich nicht herausnehmen.“ Er: „Wir nehmen sie versuchswei…
heraus, dann können wir sie ja wieder einfügen.“ Also nahmen wir sie raus,
und der Film war glücklich, dass sie fort war.
Aber man sieht doch, wie Eve im Taxi durch die Detroit fährt.
Ja. Aber in Detroit leben mehr Menschen, die Arabisch sprechen, als in
jeder anderen Stadt Nordamerikas. Sie sagt auf Arabisch etwas zum
Taxifahrer. Er fragt auf Arabisch: „Sprechen Sie Arabisch?“ Sie antwortet
„Ja“, auf Arabisch. Er fragt: „Könnte ich einen Zwischenstopp einlegen? …
muss meinem Schwiegerbruder etwas geben.“ Sie: „Kein Problem.“ Und er geht
in dieses kleine Café hinein, es ist voller arabischer Amerikaner, er gibt
einem Mann einen Umschlag, kommt wieder raus, und sie fahren weiter. Der
Film sagte: Ich will das nicht, es ist unwichtig.
Zugleich sind im Film viele Referenzen enthalten, wie in einer
Wunderkammer. Ich habe eine ganze Menge nachgeschlagen: Was heißt „fly
agaric“ auf Deutsch? Was hat es mit Polidori und Byron auf sich? Wünschen
Sie sich ein Publikum, das sich zu einer Entdeckungsreise inspirieren
lässt?
Oh, ich liebe es, dass Sie von Wunderkammer sprechen! Wenn ein Film von mir
eine Anspielung enthält, die ein Zuschauer nicht sofort nachvollziehen kann
und dieser Zuschauer ihr dann nachgeht, dann … oh Mann, dann haben wir
etwas erreicht!
Zugleich wird so etwas leicht missverstanden – als elitär. Wie gehen Sie
damit um?
Dessen bin ich mir bewusst. Viele Leute mögen den Film prätentiös finden.
Irgendwo habe ich gelesen, dass ich nichts anderes tue, als mit
Geheimwissen anzugeben. Das hat mich traurig gemacht, weil ich den Eindruck
gewann, ich sollte dümmere Filme machen. Das war entmutigend. Sie benutzen
das Wort „elitär“, und in Wirklichkeit sind Adam und Eve ja auch elitär.
Ava [Eves Schwester] sagt: „Ihr seid Snobs“, als sie von ihnen vor die Tür
gesetzt wird …
… „herablassende Arschlöcher“, schimpft sie …
Ja, und das sind sie. Sie werfen sie raus, nur weil sie sich wie ein Vampir
verhalten hat. Sie sind Snobs. Aber ist das etwas Schlechtes? Wenn Sie und
ich seit fünfhundert, tausend Jahren am Leben wären, stellen Sie sich vor,
was wir alles wüssten! Die Sterblichen würden uns vorwerfen, dass wir so
viel mehr wissen als sie. Und natürlich ist das so, ich lebe seit
verdammten eintausend Jahren! Was glaubt ihr, was ich so mache? Ich habe
Interessen, ich lerne!
Eine Figur, die Sie detailreich anlegen, ist Christopher Marlowe. Eine
Theorie besagt, dass Marlowe der wahre Autor von Shakespeares Stücken und
Gedichten ist. Ihr Film schließt sich dieser These an. Warum?
Oh, darüber könnte ich Ihnen viel zu viel erzählen. Es gibt viele Leute,
die glauben, Shakespeare habe keine Zeile geschrieben, zum Beispiel Sigmund
Freud, Orson Welles oder Henry James. Ich bin einer von ihnen. Die
Akademiker nennen uns Anti-Stratfordianer. Es gibt kein einziges Manuskript
in Shakespeares Handschrift. Wenn er so viel geschrieben hat, wie kann es
sein, dass es überhaupt nichts gibt? Shakespeare war ein Analphabet und ein
zweitklassiger Schauspieler. Viele glauben, der wahre Autor sei stattdessen
Edward de Vere, der 17. Graf von Oxford. Das kann sein, es könnte auch eine
Kombination sein. Marlowes Tod ist in jedem Fall eine Verschwörung.
Warum wollten Sie in Detroit drehen?
Weil es ein Juwel in der Geschichte der USA ist. Als Industriegebiet, aber
auch auf dem Feld der Musik, speziell der populären Musik, hat die Stadt
eine unendlich reiche Geschichte. Das amerikanische Imperium ist im
Niedergang begriffen und hat eins seiner Juwelen aufgegeben. Es ist
tragisch. Und ich liebe Detroit! In weniger als einem Jahrhundert, in sechs
Jahrzehnten, ist es aufgeblüht … und dann … Es gab diese schöne Szene, die
wir aus dem Film herausgenommen haben. Adam sagt: „Es ist wie auf einem
Zeitrafferbild, auf dem man eine Blume knospen, wachsen und blühen sieht –
und dann verwelken, sterben und verschwinden.“
Aber es gibt auch die Szene, in der Eve sagt, in ein paar Jahrzehnten werde
die Stadt wieder erblühen – dann, wenn in den Städten des Südens das Wasser
zur Neige geht und die Menschen nach Norden ziehen.
Ja, aber das liegt daran, dass Eve nicht auf die sozioökonomische
Perspektive beschränkt ist, die wir Menschen haben. Sie denkt im
postapokalyptischen Maßstab, sie steht gewissermaßen über dem Lauf der
Zeit. Wir mögen Zeit in Generationen messen, sie in Jahrhunderten.
25 Dec 2013
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Tilda Swinton
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Vampire
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