# taz.de -- Musikalischer Einfluss auf Jim Jarmusch: Bilder auf Tuchfühlung mi… | |
> Der Regisseur und die No-Wave-Szene: Was man über Jim Jarmusch erfährt, | |
> wenn man seine musikalische Ader ernst nimmt. Ein Buchauszug. | |
Bild: Jim Jarmusch bei den Filmfestspielen in Cannes im Jahr 2005. | |
Hätte es die Ramones nicht gegeben, hätte ich wahrscheinlich keinen | |
einzigen Film gedreht“ (Jim Jarmusch). | |
„Wenn er nicht so ein außerordentlicher Filmemacher geworden wäre, wäre er | |
jetzt ein Rockstar“ (Wim Wenders). | |
Damit hat Wenders womöglich etwas übertrieben. Jarmusch ist mit Sicherheit | |
extrovertiert, meidet aber trotzdem das Rampenlicht. Er ist eher ein | |
„Hipster-Handwerker“ im Dienste des Kinos, ein | |
„Underground“-Ennio-Morricone (wenn auch sehr viel weniger produktiv als | |
der italienische Maestro), eventuell mit einem Touch von Buster Keatons | |
stummer Poesie. | |
Morricone erwähne ich dabei keinesfalls zufällig, denn seit einigen Jahren | |
ist bei Jarmusch eine schrittweise Rückkehr zum Musikmachen zu beobachten. | |
2010 erzählte Jarmusch dem Popstar Moby, dass er, der ehemalige Keyboarder | |
der Del-Byzanteens, nach 20 Jahren Pause wieder komponieren, aufnehmen und | |
sogar live auftreten werde. Dieser Ankündigung ließ er in seinen beiden | |
jüngsten Filmen Taten folgen und komponierte Teile der Soundtracks von „The | |
Limits Of Control“ und „Only Lovers Left Alive“. | |
## Trotzig bescheiden | |
Der Verweis auf Morricone ist daher in der neuen Rolle begründet, die | |
Jarmusch nun – mit der ihm eigenen Vorsicht, wohlgemerkt – als Komponist | |
(und Instrumentalist) einnimmt: Nach den Gesprächen, die ich 2001 und 2006 | |
mit dem italienischen Maestro führte, hatte ich den Eindruck, dass sich | |
Jarmusch, wenn er zusammen mit seinen Musikerkollegen die akustischen | |
Landschaften erzeugt, in die er seine Filme gern eintaucht, genauso als | |
„Handwerker im Dienste des Films“ versteht wie Morricone. | |
Die Art und Weise, wie Jarmusch und Morricone von der magischen Kraft | |
sprechen, die Musik auf ihre Zuhörer ausübt, hat etwas trotzig | |
Bescheidenes, ist eine individuelle Ehrerbietung, ohne Hintergedanken. | |
Bis zu diesen neueren Entwicklungen verfolgte Jarmusch oft die Strategie, | |
mit Musiker-Schauspielern zusammenzuarbeiten, um mit der Musik auf | |
Tuchfühlung zu bleiben. Zahllos tauchten ihre Gesichter in den Filmen auf, | |
was geradezu ein Markenzeichen von Jarmusch wurde: John Lurie, Richard | |
Edson und Eszter Balint in „Stranger Than Paradise“. Nochmals Lurie und Tom | |
Waits in „Down By Law“. | |
Screamin' Jay Hawkins, Joe Strummer, und, in einem Kurzauftritt, Rufus | |
Thomas in „Mystery Train“. Iggy Pop in „Dead Man“. Eine lange Reihe von | |
Musikern, unter ihnen RZA und GZA, der Schlagzeuger E. J. Rodriguez und die | |
Rockstars Jack und Meg White von den White Stripes in „Coffee And | |
Cigarettes“. | |
## Verbundenheit mit Musiker-Schauspielern | |
Jarmusch möchte die den Musikern vertraute Spontaneität und Unmittelbarkeit | |
eines Bühnenauftritts auf der Leinwand verewigen. Und seine starke | |
Verbundenheit mit den Musiker-Schauspielern, die er wegen ihrer Fähigkeiten | |
als Performer auswählt, deutet darauf hin, dass er sich intuitiv zu ihnen | |
hingezogen fühlt. | |
In Jarmuschs neueren Filmen – „Broken Flowers“, „The Limits Of Control�… | |
„Only Lovers Left Alive“ – zeichnet sich ein drastischer Wandel ab: | |
Musiker-Schauspieler treten darin so gut wie keine mehr auf. | |
Was zunächst überraschend wirkt, ja fast wie ein Verrat an seinem | |
Markenzeichen, ließe sich vielleicht mit Jarmuschs eigener Rückkehr zum | |
Musikmachen erklären. Da er nun, viele Jahre nach seiner frühen, flüchtigen | |
Musikerkarriere, damit begonnen hat, die Musik für seine eigenen Filme zu | |
komponieren, schließt sich für ihn in gewisser Weise ein Kreis. | |
Er beschwört damit den Geist der New Yorker No-Wave-Szene herauf, aus der | |
er kommt. Einer Szene, die von Zusammenarbeit und Verschmelzung lebte. Und | |
wo der Schritt von der Bühne eines Clubs vor eine Filmkamera nicht so groß | |
oder gewagt war, wie man meinen könnte. | |
## Musik als Landschaft | |
Die Band, mit der er diesen Geist heute heraufbeschwört, hieß zunächst Bad | |
Rabbit, wurde dann in Sqürl umbenannt und besteht aus Jarmusch (Gitarre), | |
Carter Logan (Schlagzeug) und Shane Stoneback (Orgel, Glockenspiel und | |
Toningenieur). | |
Wie eine Episode aus „Coffee And Cigarettes“ zeigt, lag dieser Name schon | |
etwas länger in der Luft. Cate Blanchett spielt dort in einer Doppelrolle | |
die scheinbar identischen, aber doch ziemlich unterschiedlichen Cousinen | |
Cate und Shelly. Als Cate Shelly bittet, die neue Band ihres Freundes zu | |
beschreiben, nutzt Jarmusch das für eines seiner typischen auf Namen | |
bezogenen sprachlichen Missverständnisse [indem er die phonetische | |
Ähnlichkeit der Worte Sqürl (Bandname) und Squirrel (Eichhörnchen) | |
auskostet und Cate den Bandnamen als Squirrel missversteht; Zf. d. Ü.]. | |
Ungeachtet der korrekten Aussprache und Schreibweise stehen Sqürl im | |
Einklang mit Jarmuschs Idee von „Musik als Landschaft“. Die | |
hypnotisierenden Rhythmen der Songs, die fest entschlossen scheinen, die | |
Zeit auszudehnen, verschmelzen harmonisch mit den weiten Bildern von „The | |
Limits Of Control“, seinem Gangster-Roadmovie vor spanischer Kulisse. | |
Darin besucht Lone Man (Isaach de Bankolé) mehrmals das Reina-Sofía-Museum | |
für zeitgenössische Kunst in Madrid. Bei jedem Besuch betrachtet er nur ein | |
einziges Bild und verschwindet dann wieder. Das vierte und letzte Bild ist | |
„Gran Sàbana“(1968) von Antoni Tàpies, den Jarmusch beschreibt als „ein… | |
spanischen Maler, der als einer der Ersten begann, Alltagsgegenstände in | |
seine Bilder zu integrieren: Schmutz, Messing, Objekte“. | |
## Aufhebung der Zweidimensionalität | |
Das Gemälde, das Lone Man betrachtet, ist tatsächlich ein auf eine weiße | |
Leinwand geklebtes weißes Laken, dessen vier Ecken leicht aufgerollt sind. | |
Diese Einstellung ist untermalt mit den fließenden, kratzend-arrhythmischen | |
Klängen von Bad Rabbit. | |
Jarmuschs verzerrte Gitarre projiziert die Andeutung einer Filmleinwand auf | |
die weiße Oberfläche, womit er auf die Möglichkeiten und Tiefe des Kinos an | |
sich anspielt. Fast als sollte die statische Zweidimensionalität des | |
gemalten Bildes aufgehoben werden, wird sie hier mithilfe der Filmkamera in | |
bewegte Bilder transformiert. | |
Zudem nimmt der Film in einigen Szenen Bezug auf sich selbst, wie Jarmusch | |
anmerkt: „Tàpies‘ Gemälde sieht aus wie ein Laken, was an das Mädchen | |
erinnert, das in einer anderen Szene zwischen Laken liegt, und an den | |
Bilderrahmen, den sich Lone Man im Haus ansieht: Ein Gemälde, über das ein | |
Laken geworfen ist. Ich habe einfach versucht, Variationen zu finden und | |
sie durch den Film widerhallen zu lassen.“ | |
Das Bild der weißen Oberfläche, die Knitter und Falten, die Jarmusch | |
inspiziert, als seien sie eine Landschaft – im Zusammenklang mit seiner | |
Musik eröffnet das allerdings noch weitere Perspektiven als ein paar | |
selbstbezügliche, fast didaktische Zitate. | |
## Ausgangspunkt aller Bilder | |
Bei dem monochromen weißen Bild, von dem Lone Man seine Augen nicht lassen | |
kann, machen die Stärke von Projektion und Wirkung der Musik das | |
Verstreichen der Zeit wahrnehmbar – und in gewisser Weise auch sichtbar. | |
Lone Man selbst nimmt das wahrscheinlich gar nicht wahr, das ist aber | |
nebensächlich. Der Zuschauer kann die „Zeit in ihrem Lauf betrachten“, | |
während die Musik ihn mit hineinführt in die scheinbar statischen Bilder | |
der weißen Leinwand, den potenziellen Ausgangspunkt aller möglichen Bilder. | |
Aus dem Englischen von Sylvia Prahl | |
10 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Sara Piazza | |
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