# taz.de -- 40 Jahre "Quinzaine" in Cannes: Die Newcomer-Börse | |
> Die "Quinzaine des Réalisateurs" haben schon Jim Jarmusch und Martin | |
> Scorsese als Sprungbrett genutzt. In diesem Jahr steht unter anderem | |
> Albert Serras am Start. | |
Bild: Begehrter Aufführungsort: Das Cinema de la Plage zeigt Serras Film "Der … | |
Die Quinzaine des Réalisateurs feiert in diesem Jahr ihr 40. Jubiläum. | |
Gegründet wurde sie als Parallel-, wenn nicht als Gegenveranstaltung zum | |
offiziellen Festival. Nach dessen Abbruch am 18. Mai 1968 musste sich etwas | |
ändern in Cannes: Schluss mit den Zwängen des Protokolls, mit Wettbewerb, | |
rotem Teppich und beschränktem Zugang für das normale Publikum. Dass für | |
die Filmauswahl kein unabhängiges Komitee zuständig war, sondern jedes | |
teilnehmende Land einen Film nominierte, verhinderte das künstlerische | |
Wagnis. Die Quinzaine hingegen verschrieb sich von Anfang an dem Kino der | |
Autoren, und sie hatte unter der langjährigen Leitung von Pierre-Henri | |
Deleau immer wieder das Glück, Regisseure vorstellen zu können, bevor diese | |
dem großen Publikum bekannt werden sollten, Nagisa Oshima zum Beispiel, Jim | |
Jarmusch oder Martin Scorsese. Noch heute ist man stolz auf dieses Erbe - | |
Olivier Père, der aktuelle Leiter der Quinzaine, beschwört bei der | |
Vorstellung von Filmemachern wie Albert Serra oder Bertrand Bonello - in | |
diesem Jahr mit "De la guerre" vertreten, in der Hauptrolle der | |
omnipräsente Mathieu Amalric - stets ihre Eigenwilligkeit und Radikalität. | |
Als Père am Dienstagabend neben dem katalanischen Regisseur Albert Serra | |
stand, sprach er sogar von einer "Offenbarung", von einem mystischen | |
Erlebnis. Man muss vielleicht nicht ganz so weit gehen - "meditativ" trifft | |
gut, was Serra, 2006 mit der freien "Don Quijote"-Adaption "Honor de | |
cavalleria" Gast der Quinzaine, in "El cant dels ocells" ("Der Gesang der | |
Vögel") unternimmt. Es ist ein Schwarz-Weiß-Film, der die biblische | |
Geschichte der Heiligen Drei Könige in traumartige Bilder überführt. | |
Manchmal erinnern diese Bilder an das frühe, stumme Kino, manchmal auch an | |
die Mise en Scène von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Drei Männer, | |
zwei davon sehr dick, der dritte alt und mager, wandern durch Berg-, | |
Vulkan- und Wüstenlandschaften. Solange die Sonne scheint, sind die | |
Kontraste scharf, in der Dämmerung verschwimmen die Könige im | |
allumfassenden Grau (Serra hält nichts von künstlichem Licht). Manchmal | |
reflektieren ihre weißen Kleider letzte Reste des Tageslichts, dann kann | |
man auf der Leinwand sehen, was man sieht, nachdem man auf eine Lichtquelle | |
geschaut und die Augen geschlossen hat: ein Nachbild. Viel geschieht nicht | |
in "El cant dels ocells". Die Könige ruhen im Schatten von Sträuchern, | |
verschwinden hinter Dünen und tauchen wieder auf, sie blicken von einem | |
Gebirgskamm herab auf Wolken und stellen sich Kinderfragen: Was passiert, | |
wenn man sich von oben in eine Wolke fallen läst? Hält sie einen? Fällt man | |
durch sie hindurch? Tut das dann weh? Später sprechen sie über Träume, in | |
denen Schlangen vorkommen. Wie fühlt es sich wohl an, von einer Schlange | |
verschlungen zu werden und dann in ihrem Bauch über den Boden zu gleiten? | |
Es braucht tatsächlich ein großes Maß an Freiheit, sich so etwas | |
auszudenken; und Mut, es auf die Leinwand zu bringen. "El cant dels ocells" | |
ist reines, interesseloses Spiel, ohne Zweck und Absicht, und gehört, so | |
man die nötige Muße mitbringt, zum Schönsten, was in Cannes zu sehen ist. | |
Auch der Argentinier Lisandro Alsonso zählt zu den eigensinnigen Köpfen im | |
Weltkino, auch sein Oeuvre wird von der Quinzaine treu begleitet. "Los | |
muertos" (2004) und "Fantasma" (2006) feierten hier Premiere, das Debüt "La | |
libertad" lief 2001 noch in der Sektion Un certain régard. Alonsos neuer | |
Film, "Liverpool", greift Motive aus den vorangegangenen auf. Ein einsamer | |
Mann, ein Kosmos aus einfachen, alltäglichen Handgriffen, die Wortkargheit, | |
die Suche nach etwas - nach was genau, bleibt diffus. Doch wo Alonso bisher | |
die üppigen grünen Landschaften der Pampa oder des argentinischen | |
Nordostens filmte, wo er Sex rau in Szene setzte und das Schlachten echter | |
Tiere ohne Schnitt verfolgte, nimmt er sich jetzt, in den verschneiten, | |
bergigen Weiten Feuerlands, zurück. Seine Sensibilität für Farbe, für | |
Licht, für Rhythmus und Details kommt dadurch umso besser zur Geltung. Am | |
Abend der Premiere tritt Alonso, ein junger Mann mit langen Locken und | |
schwarzem Bart, auf die Bühne, bedankt sich bei seinem Team, beim Publikum, | |
bei den Organisatoren der Quinzaine und sagt etwas, was im | |
überreglementierten Cannes eine Seltenheit darstellt. "Um Mitternacht gibt | |
es eine Party, in der Bar um die Ecke vom Christian-Lacroix-Shop auf der | |
Croisette. Sie alle sind herzlich eingeladen." CRISTINA NORD | |
22 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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