| # taz.de -- Christy Halls Film-Debüt „Daddio“: Brave Mädchen sagen „Dan… | |
| > Christy Halls Debüt über eine Taxifahrt in New York verspricht | |
| > tiefgründige Dialoge. Doch der Film reproduziert nur | |
| > Geschlechterstereotype. | |
| Bild: Allein die Tatsache, dass Dakota Johnson in „Daddio“ als „Girlie“… | |
| Wie wohltuend konzentriert das Konzept dieses Debüts doch klingt. Zwei | |
| Menschen treffen aufeinander, in einer alltäglichen Situation, aus der | |
| etwas Besonderes entsteht: Eine junge Frau nimmt sich ein Taxi, um des | |
| Nachts vom Flughafen „JFK“ in das Zentrum von Manhattan zu gelangen. Was | |
| folgt, ist keine anonyme Stille zwischen Fahrgast und Fahrer, sondern ein | |
| ausgiebiges Gespräch über nichts Bestimmtes und doch alles, was von Belang | |
| ist. | |
| Mehr soll in „Daddio“ nicht geschehen, womöglich ist das aber bereits sehr | |
| viel. Wie Jim Jarmuschs atmosphärischer Film „Night on Earth“ über fünf | |
| nächtliche Fahrten in fünf verschiedenen Weltmetropolen zeigte, [1][kann | |
| das Taxi schnell zur Welt in der Welt werden], in der sich die darin | |
| befindlichen, einander eigentlich fremden Menschen mit einer Offenheit | |
| begegnen, wie sie außerhalb kaum möglich erscheint. Die erste Regiearbeit | |
| von Christy Hall verheißt, so könnte man meinen, nicht weniger denn | |
| tiefschürfendes Dialogkino. | |
| Dabei bestanden bereits vorab leichte Zweifel, ob derlei Hoffnungen auf | |
| präzise menschliche Beobachtungen und den Zauber des Zufalls, wie er nur | |
| bei unverhofften Begegnungen entsteht, gänzlich erfüllt werden: Bringt | |
| Dakota Johnson das nötige Charisma mit, diesen Film zu tragen? Mit | |
| Charakterrollen hat sich die durch die Erotikschmonzette [2][„Fifty Shades | |
| of Grey“] bekannt gewordene Schauspielerin bislang nicht hervorgetan, der | |
| Spott für ihre Rolle in Marvels bislang seelenlosestem Kommerzstreifen | |
| „Madame Web“ ist noch nicht verhallt. Auch dass ihr männlicher Gegenpart, | |
| Sean Penn, mit Musketier-Bart wie die schmierige Karikatur eines | |
| mittelalten Mannes aus der Arbeiterschicht wirkt, war schon auf den | |
| Filmplakaten zu erkennen. | |
| ## Ein filmischer Totalausfall | |
| Nichts aber hätte den filmischen Totalausfall erahnen lassen können, als | |
| der sich „Daddio“ schließlich entpuppt. Allein schon deswegen, weil man | |
| sich in einer gewissen Sicherheit wähnen konnte, dass es derlei Filme, | |
| zumindest in dieser Größenordnung, eigentlich gar nicht mehr gibt. | |
| Es dauert nicht lange, ehe eine vage bedrohliche Atmosphäre im Taxi | |
| entsteht, nachdem die namenlos bleibende junge Frau mit der | |
| wasserstoffblonden Bobfrisur die Tür hinter sich zugeschlagen hat. Sie | |
| zückt ihr Smartphone und zögert, bevor sie einem lediglich als „L.“ | |
| eingespeicherten Kontakt per Kurznachricht Bescheid gibt, dass sie gelandet | |
| ist. | |
| Dafür, dass sie ihr Handy schnell wieder wegsteckt, weht das erste | |
| paternalistisch angehauchte Lob aus der Fahrerkabine zu ihr herüber. Clark, | |
| so der Name des Fahrers, der sich gerade noch über schnödes Plastikgeld und | |
| ausbleibende Trinkgelder, die zunehmende Digitalisierung und abnehmenden | |
| zwischenmenschlichen Kontakt ausließ, findet es nämlich toll, dass sie | |
| nicht dauernd am Handy hängt. Sowieso könne er sie recht gut lesen, | |
| schwadroniert er weiter. So zielstrebig wie sie in sein Fahrzeug | |
| eingestiegen sei, sowieso ihre ganze Art sage ihm: Das ist eine Frau, die | |
| klarkommt! | |
| ## Ein wahres Musterbeispiel für „Mansplaining“ | |
| Wirklich lange bleibt das Smartphone dann nicht in der Tasche, denn es | |
| hagelt Nachrichten. Wie schön sie sei, kann das Publikum mitlesen, und: | |
| „Ich brauche dich.“ Als sie ihrem Kontakt ankündigt, dass sie ihn heute | |
| nicht mehr besuche, dass es spät und sie müde sei, werden die Mitteilungen | |
| obszöner. „Steck das Smartphone zwischen deine Beine. Hilf mir | |
| abzuspritzen“, geht es weiter. Sichtbar genervt legt sie das Handy wieder | |
| aus der Hand, worauf der Redeschwall in der analogen Welt weiter auf sie | |
| hereinprasselt. | |
| Woher sie komme (aus Oklahoma), wie lange sie schon in New York wohne (neun | |
| Jahre), was ihr Beruf sei (Programmiererin), will der Mann am Steuer | |
| wissen. Und das „Mädchen“ auf der Rückbank (Dakota Johnsons Rolle wird im | |
| Abspann doch tatsächlich als „Girlie“ gelistet) gibt brav Antwort. | |
| Unaufgeforderte anzügliche Nachrichten, eine unangenehme Taxifahrt: Vieles | |
| von dem, was Christy Hall schildert, dürfte nahezu jede Frau bereits einmal | |
| erlebt haben. Anlass zur Aufregung gibt nicht die Situation, die „Daddio“ | |
| heraufbeschwört. Wohl aber die Art, wie die weibliche Protagonistin, allen | |
| voran ihre Reaktion auf das übergriffige Verhalten der beiden Männer, | |
| gezeichnet wird. Umso mehr, als dass sich die weitere, durch einen langen | |
| Stau gehörig in die Länge gezogene Fahrt nicht anders als ein wahres | |
| Musterbeispiel für „Mansplaining“ der besonders unerträglichen Ausprägung | |
| beschreiben lässt, begleitet von einer Menge misogyner Entgleisungen. | |
| Als der „Menschenkenner“, der Clark ist, schließt er schnell, dass der | |
| Mann, der seiner jungen Mitfahrerin unaufhörlich schreibt, verheiratet ist. | |
| Aus eigener Erfahrung rät er ihr, diesem bloß nichts von Liebe zu erzählen. | |
| Er selbst habe seine erste Frau, die „traumhafte Titten“ hatte und „dumm | |
| wie Scheiße“ war, mit einer 19-Jährigen betrogen. Dann, als seine Ehefrau | |
| nicht mehr mit ihm schlafen wollte, weil er sie für ihre Gewichtszunahme | |
| hänselte. Diese 19-Jährige habe er eigentlich gerne länger „behalten“, | |
| leider aber habe sie das „L-Wort“ gesagt. Männern sei es eigentlich am | |
| liebsten, wenn ihre Gespielinnen „gar nichts“ sagten. | |
| ## Das kurze Aufblitzen von etwas Gestrigem | |
| Dass sein junger Fahrgast nun ebenfalls bei einem älteren Mann auf Zuspruch | |
| hoffe, liege wiederum daran, natürlich, dass das kleine Mädchen damals | |
| keinen „Daddy“ hatte und nun nach einer Kompensation suche. | |
| Wo man von „Girlie“ eine Form des Protests erwarten würde, folgt höchstens | |
| ein müdes Augenrollen, vereinzelt ein halbherziges Widerwort. Zumeist aber | |
| antwortet die Protagonistin gar mit einem verlegenen Grinsen, begleitet von | |
| einem lasziven Augenaufschlag oder nervösem Kauen auf den Fingernägeln. Die | |
| fragwürdige Fantasie vom schüchternen Schulmädchen, sie kommt in „Daddio“ | |
| immer wieder zum Vorschein. | |
| Vergeblich wartet man auf eine Wendung, die „Daddio“ in eine andere | |
| Richtung führen würde; sucht nach einem doppelten Boden, wodurch das | |
| Geschehen problematisiert und sich Christy Halls Debüt doch noch als ein | |
| kritischer Kommentar zu sexistischen Stereotypen lesen ließe. Die | |
| Möglichkeit einer solchen Interpretation aber versperrt spätestens das auf | |
| Rührseligkeit drängende Finale, das den emotionalen Abschied zwischen Clark | |
| und der jungen Frau zeigt. | |
| Denn noch ehe das Taxi in die Nacht davonbraust, wird die gesichtslose | |
| Affäre doch noch ein intimes Foto und Clark ein sattes Trinkgeld in Höhe | |
| von 500 Dollar erhalten haben. Denn was machen brave Mädchen, wenn sie eine | |
| wertvolle Lektion gelernt haben? Na klar, ganz lieb „Danke“ sagen. Im | |
| besten Fall ist dieser Film nicht mehr als kurzes Aufblitzen von etwas | |
| Gestrigem, eine schauderhafte kurze Erinnerung daran, was eigentlich längst | |
| überwunden scheint. Man hofft es zumindest. | |
| 25 Jun 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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