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# taz.de -- Debatte Grundeinkommen: Jeder ein König
> Eine Europäische Bürgerinitiative zum Bedingungslosen Grundeinkommen
> dürfte scheitern: Kaum ein anderes Projekt hat so viele und so heterogene
> Gegner.
Bild: Königinnen sind nicht faul. Sondern Königinnen.
Bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet, dass der Staat die Menschen dafür
bezahlt, dass sie am Leben sind. Ohne Zwang, ohne Bedingungen, für alle.
Obwohl solch eine Zahlung bisher außer in Modellversuchen nirgendwo
verwirklicht wurde, ruft die Idee seit Jahrzehnten heftige Kontroversen
hervor – und zwar quer durch alle politischen Lager.
Eine erfolgreiche Volksinitiative hat dazu geführt, dass in der Schweiz als
erstem Land der Welt innerhalb der nächsten Jahre über die Einführung eines
bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) abgestimmt wird. Weniger Erfolg
hingegen wird die [1][„Europäische Bürgerinitiative zum Grundeinkommen“]
haben.
Bis zum 13. Januar muss sie eine Million Unterschriften sammeln, um das
Thema der EU-Kommission vorzulegen. Bisher konnten erst rund 230.000
Unterstützer mobilisiert werden. Das BGE wäre eine der größten
sozialpolitischen Revolutionen der Geschichte: 1.000 Euro für jeden würden
unsere Gesellschaft wie Wirtschaft „auf den Kopf stellen“.
Das Revolutionäre am Grundeinkommen ist dessen Bedingungslosigkeit. Das BGE
verwirklicht in radikaler Weise das Recht auf Leben, welches maßgeblich von
einer materiellen Basis abhängt. Durch die Gewährleistung einer solchen
Basis würde den liberalen Werten der individuellen Freiheit und Würde erst
wirkliche Geltung verschafft, indem das BGE – im Gegensatz zur klassischen
Armutssicherung – die Menschen vom Zwang zur Arbeit befreit.
## Ende für Hartz
Erst kommt das Fressen, dann die Freiheit: Mit einem BGE wäre niemand mehr
gezwungen, aus ökonomischer Not heraus ethisch fragwürdige oder
ausbeuterische Jobs anzunehmen – oder sich im Falle der Arbeitslosigkeit
dem auf Sanktionierung und Stigmatisierung beruhenden Hartz-System zu
unterwerfen. Die damit einhergehende soziale Ausgrenzung sowie die
Arbeitslosigkeitsfalle könnte das BGE ebenso bekämpfen wie klassische
Armut.
Das setzt aber voraus, dass das BGE nicht dazu benutzt wird, Steuern zu
senken und den Sozialstaat abzubauen, wie dies in wirtschaftsliberalen
Modellen wie dem „Bürgergeld“ der FDP vorgesehen ist. Grundeinkommen ist
also nicht gleich Grundeinkommen.
Ein in diesem Sinne emanzipatorisches, existenzsicherndes BGE würde unsere
Gesellschaft gerechter machen. Weil alle den gleichen Betrag bekommen,
entspricht das BGE einer moderaten Form der Gleichheit. So würde ein Teil
des unverdienten Reichtums umverteilt und das Anrecht aller Menschen auf
einen gleichen Anteil der natürlichen Ressourcen verwirklicht.
Zudem wäre über das Grundeinkommen hinaus Platz für Verteilungen nach
individuellem Bedarf (etwa in der Krankenversicherung) sowie nach Leistung
und Verdienst. Die – diffuse – Vorstellung der Leistungsgerechtigkeit würde
durch ein BGE nicht automatisch abgeschafft, aber das BGE könnte ihr eine
fairere Basis verleihen, indem sich eigene Anstrengung eher im Verdienst
niederschlagen und weniger von ungleichen Startchancen abhängen würde.
## Gewerkschaften haben Angst
Dennoch warnen Gewerkschaften, das BGE sei gleichbedeutend mit einer
Lohnsubvention. So käme dieses hauptsächlich Unternehmen zugute, welche die
Löhne senken könnten. Doch ausgerechnet die in diesem Sinne angeblichen
Profiteure, die Arbeitgeberverbände, sprechen sich in der Regel gegen ein
BGE aus – während die Gewerkschaften um ihren Einfluss als
Verhandlungspartner fürchten, sollte ein Teil der Löhne fortan
bedingungslos gezahlt werden.
Ebenso wahrscheinlich wie das Szenario der Lohnsubvention ist, dass
unbeliebte Arbeitsplätze nach Einführung des BGE besser bezahlt werden
müssten, da sie sonst keiner mehr ausführen will. Dies könnte die Lohn- und
Preisspirale sowie die Inflation nach oben treiben.
Allerdings hängen solche Aussagen vom wirtschaftspolitischen Kontext ab und
lassen sich nicht theoretisch treffen, sondern nur während und nach einer
Einführung überprüfen. Ebenso offen ist die Frage, welche Migrationsströme
ein BGE, das nur in bestimmten Regionen eingeführt wird, auslösen könnte.
Zu solchen Unabwägbarkeiten gehört auch die Befürchtung, dass das BGE die
Menschen „faul“ mache. Mit gutem Recht kann man aber auch sagen, dass der
Wegfall von Stigmatisierung und Zwang den Einzelnen eher anspornt. Die
Angst vor einer die Gemeinschaft ausbeutenden Meute von
„Sozialschmarotzern“ ist jedenfalls unbegründet. Denn die Motivation zur
Arbeit ist eben nicht nur monetärer Art, sondern entsteht auch durch
Anerkennung, Selbstverwirklichung und soziale Integration.
## Arbeit macht Spass
Obwohl Gewerkschaften und Sozialdemokraten diesen hohen Stellenwert der
Arbeit im Leben der Einzelnen anerkennen, lehnen sie das BGE als staatliche
„Stilllegungsprämie“ ab – und fordern stattdessen ein Recht auf Arbeit.
Doch dabei halten DGB wie SPD immer noch am fragwürdigen Ideal der
Vollbeschäftigung fest. Außerdem produzieren sie einen Widerspruch: Denn
wenn den Menschen die Arbeit wichtig ist, dann werden sie sich auch mit
einem Grundeinkommen eine solche suchen.
Das BGE widerspricht der Erwerbsarbeit nicht, sondern es erleichtert den
Einstieg, da es im Gegensatz zu Hartz IV in vollem Umfang mit anderen
Einkommen kumulierbar ist. Außerdem lässt sich mit einer sicheren
materiellen Basis leichter zwischen Erwerbsarbeit und Ehrenamtsarbeit,
Familien- oder Ausbildungszeiten wechseln. Dies kann wiederum zu einem
Rückgang der Arbeitslosigkeit führen sowie die Lebensqualität des Einzelnen
verbessern.
Das gilt wie auch die Befreiung vom Arbeitszwang für alle Menschen, ob arm
oder reich – auch wenn das BGE relativ gesehen eher den Armen zugutekommt,
vor allem bei einer progressiven Einkommensbesteuerung.
Schließlich führen die Gegner des BGE an, es sei nicht finanzierbar: 1.000
Euro pro Monat für jeden kosten den Staat jährlich 800 Milliarden Euro, der
Bundeshaushalt beträgt aber nur gut 300 Milliarden.
Doch diese Rechnung ist aufgrund des hohen Produktionsniveaus in
Deutschland ideologisch. Das gesamte Volkseinkommen (ohne statische
Vermögenswerte) beträgt nämlich 1.600 Milliarden Euro, das
Bruttoinlandsprodukt gar über 2.600 Milliarden.
## Kein Allheilmittel
Bei einer entsprechenden Besteuerung wäre das BGE also finanzierbar, zumal
es Einsparungen mit sich bringt: So können Bedürftigkeitsprüfungen
wegfallen und ein Teil der jährlich 250 Milliarden Euro für die Rente
eingespart werden. Außerdem kann das BGE durch die Freisetzung innovativer
Kräfte sowie die Ankurbelung der Kaufkraft die Produktivität steigern.
Trotz all dieser guten Gründe für ein Grundeinkommen ist es kein
Allheilmittel, zumal die dadurch erhofften Errungenschaften maßgeblich vom
wirtschaftspolitischen und sozialstaatlichen Kontext abhängen.
Die Konsequenz aus den Einwänden und Unwägbarkeiten sollte sein, ein BGE –
flankiert von Bildungs- und Sozialmaßnahmen – schrittweise einzuführen, um
dessen Folgen laufend zu prüfen. Dies könnte zudem die Akzeptanz des BGE
steigern, die für die Einführung der Schlüssel zum Erfolg ist.
Ob sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auch der Kapitalismus zähmen
oder gar überwinden lässt? Darüber wird wie auch über das BGE selbst
gestritten.
Doch darauf kommt es nicht in erster Linie an. Das Grundeinkommen ist eine
konkrete sozialpolitische Maßnahme hin zu einer gerechteren, freieren und
humaneren Gesellschaft. Diese Chancen sollten wir nutzen. Am besten sofort,
bedingungslos und weltweit.
11 Jan 2014
## LINKS
[1] http://www.ebi-grundeinkommen.de
## AUTOREN
Timo Reuter
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Janine Wissler
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