# taz.de -- Datensammeln im Netz: Facebook soll zahlen | |
> Google, Facebook und all die anderen Internetkonzerne machen Geld mit den | |
> Daten ihrer Nutzer. Ich will meinen Anteil. | |
Bild: Brauchen Sie ein Klavier? | |
Endlich eine Zahl: 156 Milliarden Dollar. So viel sollen 2012 | |
amerikanischen Unternehmen mit Konsumentendaten verdient haben. Das ist | |
doppelt so viel, wie die USA für all ihre Geheimdienstaktivitäten ausgeben. | |
Teilt man diese beachtliche Summe durch die Einwohnerzahl der USA, sind das | |
492,11 Dollar pro Kopf. Für Deutschland gibt es keine vergleichbare Zahl. | |
Die Firmen, die so genau über meine Konsum- und Surfgewohnheiten Bescheid | |
wissen, schweigen, wenn es um ihre Finanzen geht. Doch klar ist: Auch bei | |
uns wird mit persönlichen Daten viel Geld verdient. | |
Warum mich das interessiert? Ganz einfach: Ich möchte meinen Teil davon. In | |
bar. | |
Wenn – wie oft behauptet wird – Information das Schweröl des 21. | |
Jahrhunderts ist, dann sind persönliche Daten das hochoktanige | |
Super-Plus-Benzin. Sie sind nicht nur der Kraftstoff, der die Geschäfte in | |
der postindustriellen Gesellschaft auf Hochtouren laufen lässt, sie sind | |
auch Grundlage der märchenhaften Vermögen, die einige Unternehmen | |
mittlerweile angehäuft haben. | |
Google mag in der Öffentlichkeit als Suchmaschine bekannt sein und | |
Facebook, das am 4. Februar seit genau zehn Jahren online ist, als soziales | |
Netzwerk – tatsächlich aber sind sie gigantische Datenbanken voll | |
persönlicher Informationen ihrer Kunden, die diese Internetunternehmen | |
höchst profitabel monetarisieren. Wer Social-Media-Dienste – scheinbar | |
umsonst – benutzt, mag glauben, dass er mit Freunden in der ganzen Welt | |
Fotos vom Nachwuchs oder dem Sushi-Teller vom letzten Sonntag austauscht. | |
Tatsächlich wird jedes „Like“ und jeder Status-Update in einem | |
Persönlichkeitsprofil gespeichert, um die Nutzer mit passgenauer Werbung | |
bombardieren zu können. | |
Außer Facebook wollen auch andere Social-Media-Firmen – von Twitter über | |
Foursquare bis Yelp – Profite erwirtschaften, indem sie aus dem | |
Mitteilungsbedürfnis der Menschen ganz selbstverständlich ein | |
Geschäftsmodell machen. Von diesen Gewinnen (zu denen Leute wie ich mit | |
ihren Informationen entscheidend beitragen) hätte ich gerne meinen Anteil. | |
## Meine Daten gehören mir | |
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1983 im | |
Volkszählungsurteil entschieden, dass das Recht auf informationelle | |
Selbststimmung ein Grundrecht ist. Ich verstehe das als juristischer Laie | |
so, dass meine Daten mir gehören. Wenn sie jemand will, um damit Geschäfte | |
zu machen, müsste ich daher das Recht haben, etwas dafür zu verlangen. Ich | |
stelle mir das so ähnlich wie Blutspenden vor: Ich gebe ein Stück von mir, | |
dafür kriege ich Cash. | |
Ich schlage vor, dass wir uns das Geld, das diese Firmen mit meinen Daten | |
verdienen, fifty-fifty teilen. Eine Art Gema müsste diese Gelder verwalten, | |
die ich Daten-Tantiemen nennen will. Die würde die Gewinne, die die | |
datensammelnde Industrie weltweit jährlich erwirtschaftet, verrechnen mit | |
meinem Beitrag zu deren Datenbanken: je nach Zahl meiner Instagramme, | |
Foursquare-Logins oder Tumblr-Postings bekäme ich einmal im Jahr einen | |
Scheck samt Abrechnung. | |
Was ich mit so einem Deal verdienen würde, ist schwer zu sagen. Ein | |
Adressensatz mit Informationen aus dem Telefonbuch kann man für weniger als | |
einen Cent kaufen. Aber je genauer die Informationen über mich und meine | |
Konsumgewohnheiten sind, desto wertvoller werden sie. | |
Wie wertvoll genau? Es kommt drauf an, wie man rechnet. Aus einem | |
Selbsttest auf der Website der Financial Times ergibt sich, dass meine | |
Daten einer Internetwerbefirma 2,84 Dollar wert sind. Wenn man den | |
Unternehmenswert von Facebook von über 100 Milliarden Dollar verteilen | |
würde an seine gute Milliarde Nutzer – und die sind ja das wichtigste | |
Kapital der Firma – wären das rund 100 Dollar für jeden. Rechnet man mit | |
den Nettoeinnahmen von Facebook – magere 523 Millionen im Jahr 2013 – | |
blieben pro Nase ein halber Dollar. Die Website Backupify will errechnet | |
haben, dass der Wert eines Tweets unter einem US-Cent liegt, der eines | |
Facebook-Shares bei 2 US-Cent, der einer Kritik bei Yelp bei 9 Dollar. | |
## Minifirmen verdienen mit | |
Das klingt erst mal nach wenig Geld, doch Kleinvieh macht auch Mist: Neben | |
Google, Facebook und Co verdienen noch unzählige Minifirmen mit an Daten. | |
Ohne mich um Erlaubnis gefragt zu haben, haben sie auf meinem Rechner eine | |
Unzahl von kleinen Datensätzen gepflanzt, die dort ein veritables | |
Eigenleben entwickeln. Seit ich zum Beispiel neulich auf E-Bay nach einem | |
gebrauchten E-Piano geguckt habe, suchen mich im Internet auf Schritt und | |
Klick Werbeeinblendungen für Klaviere und Noten heim. Auch Turnschuhe, | |
Fondue-Sets und Bücher haben mich so schon wie das bucklicht Männlein | |
durchs Netz begleitet. | |
Die Unternehmen, die dafür verantwortlich sind, würden hierzu | |
wahrscheinlich sagen, dass sie diese Daten nicht mit mir persönlich in | |
Verbindung bringen, sondern nur mit der IP-Adresse meines Computers, und | |
sich ansonsten an die deutschen Datenschutzbestimmungen halten. Aber wie | |
die NSA-Affäre zeigt, kann man aus Meta-Daten viele Rückschlüsse über eine | |
scheinbar anonyme Person ziehen. Und was den deutschen Datenschutz | |
betrifft, kann man die gewonnen Daten zur Analyse leicht ins Ausland | |
transferieren. Macht der BND ja auch. | |
Grund für die Konsumprodukte, die mich im Netz verfolgen, sind winzige, | |
„Cookie“ genannte Dateien, die Informationen über mein Surfverhalten auf | |
meinem Rechner speichern, wo sie von anderen Websites gelesen werden | |
können. Was für ein Biotop von ungebetenen Geistern sich unerlaubt auf dem | |
eigenen Rechner breitgemacht hat, sehe ich in meinem Browser. Je nach | |
Software verbirgt sich irgendwo unter „Extras“ oder „Optionen“ eine Lis… | |
der Websites, die Cookies auf dem Computer versteckt haben. (Wenn es einem | |
gelingt, die Cookies zu finden, kann man sie auch löschen.) | |
Von den meisten dieser Firmen habe ich noch nie gehört, geschweige denn | |
bewusst ihre Website besucht. Besonders verdächtig sind Internetadressen, | |
die mit „Ad“ wie in „Advertising anfangen: Adtraxx.de, Adverserve.com, | |
Adtech.net und so weiter. Sie sind die kleinen Geschwister von großen | |
Brüdern wie Google und Facebook – meist mittelständische Unternehmen, die | |
von „targeted advertising“ profitieren wollen. | |
## Es ist Geld für alles da | |
Irgendjemand verdient hier also Geld. Und zwar nicht nur Facebook-Chef Mark | |
Zuckerberg, der 2012 ein Jahreseinkommen von 2,28 Milliarden Dollar bezog. | |
Google hat durch seine Einnahmen aus Onlinewerbung eine uferlose | |
Kriegskasse angehäuft. Die erlaubt es dem Unternehmen nicht nur, seinen | |
Angestellten Mondgehälter zu bezahlen und Lehrstühle an der Humboldt-Uni | |
einzurichten. Es finanziert auch aufwendige Entwicklungsprojekte wie Google | |
Glass oder selbstlenkende Autos. Auch für den Aufbau neuer Geschäftszweige– | |
etwa im Bereich der Robotik und der Gesundheit – ist reichlich Geld | |
vorhanden. | |
All das natürlich – wie man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen sollte | |
–, ohne dass Google für seine Gewinne in Europa nennenswerte Steuern zahlt. | |
Zukunftsweisend war darum im vergangenen Jahr ein Gesetzesentwurf in | |
Frankreich, der die Gewinne aus Datensammlungen besteuern sollte, die | |
Unternehmen wie Google einsacken. Leider ist die Initiative versandet. | |
Man könnte einwenden, dass eine marktwirtschaftliche Lösung wie die hier | |
vorgeschlagene nicht der richtige Weg ist, dass vielmehr der Staat und das | |
Gesetz gefragt seien. Doch ich benutze das Internet seit fast zwei | |
Jahrzehnten. In dieser – in Netzjahren unendlich langen – Zeit konnten | |
weder die deutsche Bundesregierung noch die EU unterbinden, dass sich – mir | |
vollkommen unbekannte – Unternehmen mit Hilfe meiner persönlichen | |
Informationen bereichern. Genauso wenig wie der ganze Bohei mit | |
Datenschutzverordnungen und -beauftragten verhindert hat, dass NSA & Co | |
umstandslos mein Kommunikationsdaten speichern. Vergessen wir’s also. | |
Um den Wert seiner Datenspur im Netz einschätzen zu können, machte der | |
Italiener Federico Zannier 2013 ein Experiment. Für 2 Dollar konnte man | |
alle digitalen Daten kaufen, die er an einem beliebigen Tag produzierte. | |
Nach einem Monat hatte er 2.733 Dollar verdient. Das Projekt war eher | |
Performance-Kunst als ernstgemeintes Forschungsprojekt. Trotzdem muss man | |
Zannier zustimmen: Seine persönlichen Daten zu verkaufen mag verrückt sein. | |
Sie umsonst herzugeben ist es erst recht. | |
1 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Meta | |
Datensicherheit | |
Social Media | |
Online-Shopping | |
Schwerpunkt Meta | |
Datenschutz | |
Schwerpunkt Meta | |
Twitter / X | |
Schwerpunkt Chaos Computer Club | |
Adblocker | |
Post Privacy | |
Datenschutz | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Datenschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Universitäten kooperieren mit Google: Lernen mit dem Marktführer | |
Google will mit einem Hochschulworkshop junge Menschen in digitaler | |
Vermarktung schulen. Für die Unis ist das eine Gratwanderung. | |
Online-Netzwerke in Deutschland: Facebook schluckt sie alle | |
Nach SchülerVZ hat auch „Wer kennt wen“ vor Facebook kapituliert. Der | |
Online-Marketing-Stratege Jona Hölderle weiß, woran viele Netzwerke | |
kranken. | |
Reibach mit Online-Mahngebühren: Säumiger Kunde, guter Kunde | |
Das Geschäftsmodell des Bezahlservices Klarna soll zum Teil auf | |
Nachzahlforderungen beruhen. Schwedische Verbraucher beschweren sich. | |
Facebook führt Werbevideos ein: Die Rückkehr zum Zappelnetz | |
Facebook führt Werbevideos ein, die automatisch starten, wenn man | |
vorbeiscrollt. Kommt jetzt das furchtbare Internet aus den 90ern zurück? | |
Finanzdaten im Ausland gespeichert: Spionage tatsächlich denkbar | |
Die Bundesregierung schließt nicht aus, dass US-Dienste Daten deutscher | |
Finanzdienstleister ausspähen. Man sieht aber keinen Handlungsbedarf. | |
„Lookback“-Video bei Facebook: Bitte like mich! | |
Facebook schenkt seinen Nutzern ein persönliches Rückblick-Video. Weil es | |
ihnen einbimsen muss, welch tiefe Freundschaft sie mit dem Portal | |
verbindet. | |
Aktien von sozialen Netzwerken: Facebook schlägt Twitter | |
Der Börsengang von Twitter war ein Erfolg, die Aktie legte kräftig zu – | |
aber neue Nutzer lassen auf sich warten. Und die Anleger bekommen kalte | |
Füße. | |
NSA-Affäre: Bürgerrechtler zeigen Merkel an | |
Der Chaos Computer Club wirft der Bundesregierung Kooperation mit dem | |
US-Geheimdienst vor. Die Kanzlerin und ihr Kabinett hätten sich dadurch | |
schuldig gemacht. | |
Google und Werbeblocker „Adblock Plus“: 25 Millionen für die Freischaltung? | |
Mit „Adblock Plus“ lässt sich Werbung auf Websites abschalten. Nun heißt | |
es, Google habe 25 Millionen Dollar gezahlt, um die Blockade zu umgehen. | |
Post-Privacy-Experte über Daten: „Der Geist ist aus der Flasche“ | |
Er will die digitale Sammelwut der Internetkonzerne demokratisieren: Der | |
Soziologe Dirk Helbing plädiert für die Öffnung der digitalen Privatsphäre. | |
Ausspionierung von Apps: NSA beobachtet „Angry Birds“ | |
Aktuellen Leaks zufolge sind auch Apps von britischer und us-amerikanischer | |
Spionage betroffen. Denn sie enthalten viel mehr Informationen, als den | |
Nutzern bewusst ist. | |
Konferenz zu Überwachung im Netz: Schattennetze bilden! | |
Hat sich mit Edward Snowden der Blick auf das Internet verändert? Auf einer | |
Konferenz in Berlin wird über Teilhabe und Überwachung im Netz debattiert. | |
Reform des EU-Datenschutzes: Aufschub für Internetkonzerne | |
Die Europäische Union verschiebt den Beschluss über eine neue | |
Datenschutzverordnung bis nach der Europawahl. Der Ausgang ist wieder | |
völlig offen. |