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# taz.de -- Intervention in Syrien: Kampf um den Frieden
> Die Friedensbewegung in Deutschland ist gespalten: Die einen
> demonstrieren gegen den Krieg in Syrien, die anderen finanzieren ihn mit.
Bild: Zumindest die sind sich einig: Kein Krieg gegen Syrien
„Papa ist in Ausschwitz auf Geschäftsreise.“ Diesen Satz hörte Laura von
Wimmersperg im Zweiten Weltkrieg. Ausschwitz – die heute 79-Jährige
schauderte, wenn sie das Wort hörte, doch wusste sie lange nicht warum. Bis
sie ein Buch über den Eichmann-Prozess las. Sie weinte über einem Bild:
SS-Stiefel, dahinter Juden, die ihr Grab schaufelten. Sie musste an ihren
Vater denken. Er arbeitete für eine große Baufirma und hatte die Baracken
errichtet in Ausschwitz. Nie wieder Krieg. Für diese Mission kämpft sie
seit über 40 Jahren.
Ein Schuss – laufen, laufen, atmen. Elias Perabo kennt die Straßen von
Aleppo. Der 32-Jährige machte in Syrien Urlaub, als die Revolution begann,
sprach mit Aktivisten. Zurück in Deutschland gründete er Adopt a
Revolution. Der Verein sammelte in eineinhalb Jahren über 500.000 Euro
Spenden für zivile Gruppen in Syrien. Im Hinterhof von Perabos Büro in
Berlin-Neukölln steht mit Kreide PEACE an der Wand. „Klar sind wir gegen
Gewalt“, sagt er. Doch wie friedlich demonstrieren, wenn Scharfschützen auf
einen zielen? Wo hört Selbstverteidigung auf, wo beginnt Aggression? Für
Perabo verschwimmen die Grenzen.
Zwischen von Wimmersperg und ihm klafft ein Graben. Sie stehen für zwei
Seiten der Friedensbewegung: Radikalpazifisten und Pragmatiker. Zwischen
ihnen liegt die Frage, wofür Deutschland stehen soll in der Welt. Nie
wieder Krieg oder nie wieder Ausschwitz? Bedeutet die wirtschaftliche
Stärke Deutschlands auch mehr Verantwortung? Die hilflosen, unbewaffneten
UN-Soldaten beim Massaker von Srebrenica – sich raushalten, ist das
moralisch? Oder ist, wer politische Lösungen anpreist, heuchlerisch, weil
Diplomatie militärischen Druck braucht?
Von Wimmersperg ist gegen jede Gewalt, ob hinter ihr 100 oder fast 200.000
Demonstranten stehen wie im Herbst 1983 in Berlin. Damals ging es um die
Angst vor einem möglichen Krieg. Sie trieb den Finanzbeamten genauso auf
die Straße wie die Ökoaktivistin. Angst vor der Neutronenbombe, vor den
Langstreckenraketen, die mit dem Nato-Doppelbeschluss von 1979 in
Deutschland stationiert werden sollten.
## Verfehlte Ziele
Die „Innis“, wie von Wimmersperg die Friedensinitiativen nennt, sprossen ab
1980 aus dem Boden. Innerhalb von zwei Jahren hatte jeder Berliner Bezirk
eine. Sie fanden sich in Krankenhäusern, Verlagen, Fußballvereinen. Von
Wimmersperg gründete die erste in Wilmersdorf, organisiert seit 40 Jahren
die Ostermärsche. Früher hielten mehrere Hunderttausend Plakate in die
Höhe, jetzt sind es 1.000.
Die Friedensbewegung hat Demos und zivilen Ungehorsam gesellschaftsfähig
gemacht, ihre politischen Ziele hat sie verfehlt. Der Bundestag stimmte im
November 1983 dem Nato-Doppelbeschluss zu. Hunderte weinten vor dem
Bundeshaus in Berlin. Viele resignierten, von Wimmersperg nicht. Bis 1990
rettete sie die Bewegung mit dem Kampf gegen Atomwaffen, dann fiel die
Mauer. Eine junge Frau stürmte in die Sitzung: Die Grenze ist offen! „Kein
Grund zur Freude“, sagte von Wimmersperg. Sie ahnte, mit dem Ende des
Kalten Krieges war für viele Frieden auf Erden. Eine Inni nach der anderen
löste sich auf, bis auf ihre.
60- und 70-Jährige, die in einem Stuhlkreis Weltprobleme besprechen.
Manchmal verirrt sich ein junger Mensch zu ihnen, der bleibt nicht lang.
Von Wimmersperg meint, weil in einem jungen Leben so viel passiert, sei
kein Platz für stetes Engagement. Bei den Demos gegen die Irakkriege kamen
ja wieder Hunderttausende, auch viele Junge. Ihre radikalpazifistischen
Ansichten werden aber die wenigsten von ihnen teilen. Weil die Welt nicht
mehr in Gut und Böse geteilt werden kann wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
Die Frage des Friedens ist komplizierter geworden. Auch, weil immer mehr
Kriege nicht zwischen sondern innerhalb von Staaten geführt werden.
## Demonstriert und fertig
Für Perabo denkt die Friedensbewegung zu kurz, wenn sie nur auf die Straße
geht, wenn die USA einzugreifen drohen. „Einmal demonstriert und fertig?“,
fragt er und wischt sich die Handflächen wie nach getaner Arbeit. Die
Zivilgesellschaft hört für ihn nicht an den Grenzen Syriens auf. Er ist mit
Aktivisten auf Facebook in Kontakt. Sie schicken ihm Fotos von Projekten.
Über ihm hängt ein Stück Pappe, mit grünem Filzstift ist darauf gekritzelt:
thanks german people.
„Wir greifen ein“, sagt Perabo. Fester Blick. Er weiß: eine Provokation f�…
die Ostermarsch-Generation. Viele, auch von Wimmerspergs Gruppe, haben
Adopt a Revolution ihre Unterstützung entzogen. Mit zwei Argumenten:
Erstens, der Verein wüsste nicht, wo das Geld hingeht.
Perabo legt los. Sie haben ein Netzwerk in Syrien, das die Gruppen
beobachtet. Zivile Tarnorganisationen gebe es nicht. Das Neue an dieser
Revolution war, offen für seine Überzeugung zu kämpfen. „Das verkauft man
nicht für 700 Euro nach Europa.“ Zweitens: Adopt a Revolution gibt auch
Geld an Gruppen, die mit der Freien Syrischen Armee (FSA) kooperieren und
unterstützt damit Gewalt. „Den Konflikt halten wir aus“, sagt Perabo.
In manchen syrischen Gebieten gibt es keine Staatlichkeit mehr. Bürger
sorgen in der Nacht für Ordnung. Sie haben Waffen. Für von Wimmersperg der
Anfang einer Gewaltspirale. Für Perabo: Schutz. Wenn sie aufhören würden,
zivile Gruppen zu unterstützen, nur weil sie die FSA gutheißen, das wäre
für ihn Militarisierung. „Die gehen zum Militär, nur weil es da Essen
gibt.“
## Imperialistische Interessen des Kapitals
Trotzdem kann Perabo die Bedenken verstehen. Nicht verstehen kann er, wenn
von Wimmersperg sagt, dass mit der Sowjetunion ein friedliebender Staat
zugrunde gegangen ist. Für sie stecken hinter jeder Militäraktion
imperialistische Interessen des Kapitals. Perado drückt sich mit den Armen
vom Tisch weg, sein Stuhl rollt nach hinten, weit weg von dieser Position,
die er antiimperialistisch nennt. Auch er denkt, dass die UNO manchmal
benutzt wird, doch nur weil der Westen für etwas ist, muss er nicht dagegen
sein. Von Wimmersperg nennt ihn naiv. Er sagt, wer immer nur frage, von
welchen Interessen die USA getrieben sind, der verliere den Blick für das,
was in Syrien passiert.
Was dort passiert ist für von Wimmersperg zu kompliziert, als dass wir uns
anmaßen dürften, einzugreifen. Sie sieht ihre Aufgabe hier in Deutschland,
redet sehr allgemein gegen den Krieg, auch wenn es konkret um Syrien geht.
Nur zum Schluss sagt sie: „Wenn ich unten wäre, würde ich wohl anders
denken.“
7 Feb 2014
## AUTOREN
Lisa Schnell
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