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# taz.de -- Postmigrantisches Theater in Hamburg: Aller Anfang ist schwer
> Das postmigrantische Theater beim KRASS Festival wendet sich an ein
> junges Publikum. Eine Begegnung mit neuen und etablierten Talenten.
Bild: Eine der jungen Gruppen, die beim KRASS-Festival auftreten, ist Hajusom �…
Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg ist selten stolz auf seine
Investitionen, es sei denn, sie dienen der Ausstattung der Polizei oder dem
Wohlergehen des Hafens. Das ist in diesem Fall anders: „Kulturbehörde
fördert das interkulturelle KRASS Festival mit 75.000 Euro“ stand in der
Pressemitteilung, die zum Festivalstart lanciert wurde. Es ist die zweite
Ausgabe des Festivals – bei der ersten Ausgabe lag die Förderung durch die
Stadt noch bei 13.000 Euro.
Der Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) ist das Festival wichtig,
weil es eine Lücke schließen könnte: Rund 28 Prozent aller Einwohner hat
Migrationshintergrund, unter den Unter-18-Jährigen sind es rund 45 Prozent.
Kulturelle Vielfalt prägt die Hansestadt an allen Ecken und Enden. Nur eine
strahlkräftige Plattform für migrantisch geprägte Theater- und
Performancekunst gibt es in Hamburg nicht.
Der aus Bosnien stammende Hamburger Branko Simic rennt daher mit seinem
KRASS Festival, offene Türen ein. Die Idee ist, junge Hamburger Gruppen,
etwa Hajusom, zusammen mit etablierten Gruppen wie God’s Entertainment an
elf Tagen in der renommierten Spielstätte Kampnagel zu präsentieren.
Das Festival ist damit einen Schritt weiter als die Lessingtage am Thalia
Theater, die ihren Schwerpunkt auf Gastspiele legen. Kampnagel ist eher
bekannt als Ort für durchreisende Künstler. Für die lokale Szene bleibt nur
das kleine MUT Theater, das sich allerdings schwer tut, Strahlkraft zu
entwickeln.
## Auf der Suche nach dem Fatih Akin des Theaters
Interessanter als die Frage des Ortes ist die Frage, ob es in Hamburg
überhaupt eine migrantisch geprägte Szene für zeitgenössisches Theater
gibt. Gesucht wäre jemand, der für das Theater das sein könnte, was Fatih
Akin für den Film ist: Jemand, der die Geschichten der Migranten ästhetisch
überzeugend aber mit Lokalkolorit erzählen kann.
Die Arbeiten, die bisher auf dem KRASS Festival zu sehen waren, lassen da
nicht allzu sehr hoffen. Am Eröffnungsabend bleibt das neue Stück von
Festivalorganisator Branko Simic namens „Abgrund. Ich bin ein
alchemistisches Produkt“ eine bruchstückhafte Materialsammlung.
Der hanseatische Afghane Faissal Ahmadazy und der hessische Iraner Arash
Marandi erzählen dem Publikum offenbar autobiographisch geprägte
Migrationsgeschichten im Klartext und berichten vom Dasein zwischen allen
Stühlen: „Ich bin ein Leben lang auf der Suche nach dem Ort, an dem ich
akzeptiert werde.“ Unterbrochen werden die Vorträge durch politische Lieder
der Chanteuse Frau Kraushaar, durch die Tanzeinlagen dreier Tänzer und
durch Texte der Schriftstellerin Etel Adnan.
Regisseur Simic hat eher einen inszenierten Vortrag entwickelt, als ein
künstlerisch formulierendes Theaterstück. Zudem sind die Passagen, in denen
er nach Bildern sucht, oft plakativ: „Wir wollen der Flüchtlinge gedenken,
die im Oktober 2013 vor der Küste von Lampedusa ertrunken sind“, heißt es
beispielsweise. Dann betreten Jugendliche mit Kerzen die Bühne,
stellvertretend für die gestorbenen Flüchtlinge.
## Klartext und Puppenspiel
Auch die Musikperformance „Paradise Mastaz“ der hoch gehandelten Gruppe
Hajusom basiert auf dem Wechsel zwischen Klartext und theatralen
Umsetzungen in Form von Tanz, Musik und Puppenspiel. Die Performer
beleuchten unterschiedliche Vorstellungen vom Paradies: Für die
afrikanischen Flüchtlinge ist das Paradies Deutschland, für die deutschen
Touristen ist es Afrika, aber eigentlich ist das Paradies da, „wo Menschen
in Liebe leben“. „Paradise Mastaz“ und „Abgrund“ sind beides eher
Jugendtheaterstücke. Dies verwässert das Festivalprofil, sorgt aber im
Zuschauerraum für neue Gesichter.
Bereits beim KRASS Festival-Debüt bemerkte Kampnagel-Intendantin Amelie
Deuflhard erfreut, das Festival würde Leute anziehen, die sonst nie im
Theater wären. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das alte
bildungsbürgerliche Publikum wegbricht. Wer bis dahin nicht herausgefunden
hat, wie er die nachwachsende, migrantisch geprägte Stadtgesellschaft ins
Haus holt, bekommt ein Problem.
In Hamburg ist diesbezüglich ein Wettbewerb zwischen Schauspielhaus und
Thalia Theater zu erwarten. Die neue Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier
ist an ihrer alten Wirkungsstätte Köln viel gelobt worden für ihre
Versuche, mit transkulturellen Inszenierungen ein Publikum mit
Migrationshintergrund anzusprechen.
Kaum hat Beier angefangen, entdeckte das Thalia Theater „Flüchtlinge“ als
Thema und organisierte Veranstaltungen in der St. Pauli Kirche, in der die
Lampedusa-Flüchtlinge Zuflucht gefunden haben. Nicht immer gelungen: Eine
der Veranstaltungen war eine szenische Lesung des Elfriede Jelinek Textes
„Die Schutzbefohlenen“, bei der Schauspielprofis den Text darboten,
Flüchtlinge lediglich als Zuschauer beteiligt waren. Frontalunterricht
statt Integration, aber immerhin war es ein Anfang. Ebenso, wie das KRASS
Festival erst ein Anfang ist.
11 Feb 2014
## AUTOREN
Klaus Irler
## TAGS
Theater
Hamburg
Kampnagel
Flüchtlinge
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Henrik Ibsen
Münchner Kammerspiele
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