# taz.de -- "Hedda Gabler" im Theater: Die Eisprinzessin | |
> Landauf, landab steht Henrik Ibsens "Hedda Gabler" auf den | |
> Theaterspielplänen. In Oldenburg strafft Ronny Jakubaschik es zu einem | |
> rasanten Psychodrama. | |
Bild: Abgründige Selbstzerstörung: "Hedda Gabler" in Oldenburg. | |
HAMBURG taz | So verschieden geht das: Ein seine Exzentrik feiernder Vamp | |
ist Patrycia Ziolkowska, eine fidel sein wollende Partygöre, hochschwanger | |
und todeslustig, badend in der Heimtücke gewordenen Traurigkeit einer | |
Enttäuschten. Eine ihre Schönheit ausstellende Primadonna gibt dagegen Eva | |
Maria Pichler, eine oberschlaue Frustzicke, scheinschwanger und todesmutig, | |
badend in der Weltekel gewordenen Verzweiflung einer Übersättigten. | |
Ziolkowska am Hamburger Thalia Theater und Pichler am Staatstheater in | |
Oldenburg: Beide spielen die Titelfigur in „Hedda Gabler“, Henrik Ibsens | |
scheiternde Emanzipationsheroine. Augen, Herzen und das Denken sollte die | |
dafür öffnen, dass Frauen nicht auf Männer angewiesen sind und nicht auf | |
die von ihnen geprägte Gesellschaft. Ohne irgendwen um Erlaubnis zu fragen, | |
hat diese Hedda, jung und attraktiv, das Leben gefeiert mit dem Reichtum | |
ihrer Eltern und sich dabei „müde getanzt“, wie sie sagt. Mehr aus Versehen | |
heiratet sie als Versorger eine promovierte Trantüte, den | |
Möchtegernprofessor Jørgen Tesman. Statt rauschender Feste und | |
Boheme-Leichtsinn gibt es fortan nur noch Abendessen mit Kollegen des | |
Gatten, die ehelichen Pflichten der Monogamie und alltägliche Rituale der | |
Wohlanständigkeit. | |
Klar, 1890 lohnte Ibsens Hinweis, dass das Konzept der herkömmlichen Ehe – | |
mit männlichem Ernährer und weiblichem Schmuckstück – für beide Beteiligte | |
einengend ist, langweilig und zum Scheitern verurteilt. Aber heute? Die | |
bürgerlich-patriarchalischen Zwänge sind hinlänglich bekannt, ebenso die | |
Möglichkeiten, andere Lebensmodelle zu gestalten. Warum also taucht „Hedda | |
Gabler“ trotzdem jahrein, jahraus auf in den Theaterspielplänen allerorten? | |
Zumal sich doch Interpreten längst die Finger wund geschrieben haben und | |
alles psychologisch, soziologisch, privatmythologisch gedeutet? | |
In Oldenburg, wo „Hedda Gabler“ am 29. Januar Premiere hatte, führt die | |
Dramaturgie raunend Hugo von Hofmannsthal ins Feld: Der nahm das Stück wahr | |
als „voller phantastischer Schatten und schwarzer Seen“, voller stiller | |
Spiegel, „in denen man sich selbst erkennt, gigantisch vergrößert und | |
unheimlich schön verwandelt“. Wohingegen man in Hamburg – die Premiere war | |
im November vergangenen Jahres – konkreter behauptet, das Stück handele das | |
„Dilemma der Bürgerlichkeit“ ab: „Zwischen vermeintlicher Sicherheit und | |
der Verführungskraft des sogenannten wahren Lebens entfalten sich | |
Destruktivkräfte, die sozial und ökonomisch in den Abgrund reißen können.“ | |
Erstaunlicherweise funktionieren die Inszenierungen genau andersherum: In | |
Hamburg feiert Jan Bosse eine Salonkomödie, bleibt knapp drei Stunden lang | |
höchst amüsant – und inhaltlich vage. Er ermöglicht ein Fest für | |
Schauspielvirtuosen, so wie überhaupt viele Häuser das Drama zumeist als | |
Kraftfutter nutzen: für die Stars im Ensemble und damit für die besten | |
Auslastungszahlen der jeweiligen Spielzeit. | |
Ronny Jakubaschik in Oldenburg geht anders vor: Er modelliert in den knapp | |
90 Minuten einer sezierenden Strichfassung eine nüchtern-präzise, moderne | |
Hedda-Analyse. Schon die Bühne ist hier kein Wohnzimmer von über ihre | |
Verhältnisse lebenden Spießern und keine Schickeria-Designermöbelhölle, | |
sondern eine schwarz-weiß gemusterte Spirale, die optische Illusion | |
endloser Bühnentiefe, kühler Schwung, dunkler Sog ins schwarze Nichts – den | |
Tod. Dem entsprechen auch die Kostüme: Hedda erscheint als strahlendweißer | |
Schwan, ihre Spielgefährten sind mehr oder weniger grau gewandete Eminenzen | |
der Mittelmäßigkeit oder, als Todeskandidat, in existenzielles Schwarz | |
gehüllt. | |
Wobei Heddas Schulfreundin Thea (Sarah Bauerett) mit feuerrot leuchtenden | |
Haaren noch Lebensglut zur Schau trägt. Einst war sie mit Tesman (Bernhard | |
Hackmann) liiert, hat dann Heddas Ex-Lover, den genialischen Ejlert Løvborg | |
(Henner Momann), von den Drogen weg und zurück zu seiner wissenschaftlichen | |
Arbeit gelotst – und spielt nun die aufopfernde Muse im klassischen | |
Dienstleistungsstil. Hinreißend verdruckst gestaltet Bauerett den zwanglos | |
ins Hier und Heute verlegten Kampf, einerseits zu den eigenen Gefühlen zu | |
stehen und dennoch an die schönen, falschen Verheißungen bürgerlichen | |
Glücks zu glauben. | |
Aber welcher Teufel treibt nun Hedda Tesman, geborene Gabler an, von der | |
frisch vermählten Ehefrau zur Selbstmörderin zu werden? Die | |
Aufführungsästhetik gibt einen Hinweis: stilvolle Leere. Die Sehnsucht nach | |
der Schönheit radikaler Taten behauptet Hedda noch, die äußere Schönheit | |
ihrer Erscheinung pflegt sie damenhaft, wirkt gleichwohl völlig haltlos. | |
Ihre Gefühlsblindheit überspielt sie mit intellektuellem Scharfsinn, ist | |
aber unfähig zu Liebe und Empathie. Eine Eisprinzessin. | |
Mit fröstelndem Ekel entwindet Hedda sich den Berührungen ihres Ehemanns. | |
Umarmt dieser aber Thea, geht sie wieder dazwischen. Die großbürgerliche | |
Generalstochter füllt die Degradierung, nur noch kleinbürgerliche Ehefrau | |
zu sein, mit einem eisigen Willen zur Macht. Und verfällt dem Wahn, alle | |
und alles steuern zu müssen. Die daraus resultierenden Taten sind nicht | |
mutig, nur rücksichtslos: Eine einsame Narzisstin probiert Rollen aus, weil | |
sie keine eigene hat. Überkontrolliert und berechnend lockt Hedda die | |
Menschen an, weidet sie aus, stößt sie weg oder hetzt sie aufeinander. Eine | |
zerstörerische Persönlichkeit, die mit Selbstzerstörung endet. | |
Diese Hedda könnte sich und andere in jeder TV-Serie zugrunde richten, weil | |
sie alles hat, was heute so verlangt wird für den städtischen Nahkampf, zum | |
erotischen und beruflichen Erfolg. Piekfeine Garderobe schmeichelt dem | |
sportlich modellierten Körper, cool auf Macht, Autonomie und Konsum bedacht | |
ist das Handeln. Wäre sie nicht doch von Ibsen, hätte Hedda auch ihren | |
Michel Houellebecq gelesen. | |
Nun aber resümiert sie: „Alles, was ich berühre, wird klein und lächerlich! | |
Es ist wie ein Fluch.“ Oder eben die Konsequenz einer tadellosen | |
Selbstverwirklichung. Die Oldenburger Zuschauer erleben einen | |
Psychothriller, der keine Entwicklung nachzeichnet, sondern eine | |
Persönlichkeitsstörung beschreibt. Hedda Gabler ist unter uns. | |
## nächste Vorstellungen: 20. Februar, 11. + 21. März, Oldenburgisches | |
Staatstheater | |
7 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
## TAGS | |
Henrik Ibsen | |
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