# taz.de -- Schutz im Schauspielhaus: „Ich finde das normal“ | |
> Hamburgs Schauspielhaus beherbergt Flüchtlinge auf der Durchreise. | |
> Selbstverständlich, sagt Intendantin Karin Beier – aber eigentlich | |
> Aufgabe der Stadt. | |
Bild: Will das Schauspielhaus für Flüchtlinge offen halten, auch wenn am Sams… | |
taz: Frau Beier, wie kam es dazu, dass Sie Flüchtlinge im Schauspielhaus | |
übernachten lassen? | |
Karin Beier: Am Samstag, als die Demonstration von rechts angekündigt war, | |
war Hamburg im Ausnahmezustand, vor allem am Hauptbahnhof. Es sind einige | |
Rechtsradikale nach Hamburg gekommen, es gab eine große Gegendemonstration | |
und ein wahnsinniges Polizeiaufgebot. Gleichzeitig sind viele Flüchtlinge | |
auf der Durchreise nach Schweden hier gewesen. Sie kamen in eine Situation, | |
die sich extrem bedrohlich anfühlte. | |
Wie kam das Theater ins Spiel? | |
Bei uns im Bahnhof gibt es einen Infopoint für Flüchtlinge und eine | |
Organisation namens „refugees welcome – Karoviertel“, die im Hintergrund | |
arbeitet. Diese beiden haben uns antelefoniert und gefragt, ob wir helfen | |
können – das Schauspielhaus liegt ja direkt gegenüber. Ich habe gesagt: | |
„Alle in die Kantine“. Damit hatten wir am Samstag zwischenzeitlich 300 | |
Leute hier. Da die Züge zwischenzeitlich nicht weiterfuhren, wusste | |
niemand, wie es weitergeht und da habe ich angeboten, dass, wenn die Leute | |
stranden, wir irgendwie versuchen werden, dass sie hier übernachten. | |
Wie ging es nach der Nacht vom Samstag weiter? | |
Am nächsten Tag hatten wir eine Ensembleversammlung und haben dann ein | |
kleines Organisationsbüro eingerichtet. Mittlerweile übernachten im Schnitt | |
30 bis 40 Leute bei uns. Eigentlich finde ich, dass die Stadt die Situation | |
klären müsste. Aber im Moment sieht es so aus, als ob die Hilfe am Bahnhof | |
primär durch diese beiden privaten Organisationen geleistet würde. Wir | |
bieten nur Schützenhilfe, mehr ist es nicht. | |
Kommen die Flüchtlinge, die bei Ihnen unterkommen, aus Syrien? | |
Die meisten – wobei es nicht so leicht zu eruieren ist. Wir versuchen uns | |
sprachlich so gut wie möglich durchzukämpfen, aber immer klappt es nicht. | |
Das Foyer des Malersaals ist jetzt mit Matratzen ausgelegt und die Leute | |
vom Infopoint bringen uns vor allem Familien mit Kleinkindern. | |
Wer aus dem Haus beteiligt sich? | |
Alle – von Technik über Werkstätten, Verwaltung, Ensemble, Dramaturgie. Es | |
ist Nachtarbeit, ich verordne den Leuten nicht, sich da zu beteiligen. Wir | |
haben Listen gemacht und jeder, der meint, etwas beitragen zu können, trägt | |
sich ein: Wer kann von zwölf bis zwei nachts, wer von zwei bis acht, wer | |
putzt morgens. Wir haben Zahnbürsten und Unterwäsche besorgt. Jede | |
Nachtschicht informiert die nächste, wie es läuft. Und es läuft immer | |
besser. | |
Am Samstag ist Spielzeiteröffnung. Bleibt das Theater trotzdem offen für | |
die Flüchtlinge? | |
Ja. Ich fände es ein ganz blödes Zeichen, wenn wir sagten: „Jetzt spielt | |
das Theater, dann geht es nicht mehr“. Wir machen es genauso weiter. | |
Vielleicht legen wir die Matratzen erst um elf statt um zehn Uhr aus. Wie | |
lange wir es schaffen, wie lange wir Freiwillige haben, die zwischen zwei | |
Uhr nachts und acht Uhr morgens Wache schieben, das weiß ich noch nicht. | |
Wir machen ja alle nebenbei noch unseren Job. | |
Sie haben gesagt, dass Sie all das als Aufgabe der Stadt empfinden. | |
Ich möchte jetzt nicht auskeilen, weil ich nicht wirklich einen Überblick | |
habe, was getan wird. Aber ich sehe, dass die Situation am Bahnhof manchmal | |
kurz vor dem Kollaps steht. Ich habe gerade heute zum ersten Mal mit einem | |
Politiker gesprochen und gebeten, dass wir Hilfe für die krassen Zeiten in | |
den Nächten bekommen. | |
Es wird immer wieder gefordert, dass das Theater seinen Elfenbeinturm | |
verlässt. Haben Sie sich das so vorgestellt? | |
Ich finde, dass man da unterscheiden muss. Unsere primäre Aufgabe ist das, | |
was wir auf der Bühne leisten. Mit unserem Spielplan versuchen wir | |
natürlich aktuelle Bezüge herzustellen, wir eröffnen unsere Spielzeit mit | |
einer Fluchtgeschichte. Oder wir machen „Das Schiff der Träume“: | |
Luxusdampfer trifft Flüchtlingsschiff. Dass wir aber unser Foyer für | |
Flüchtlinge öffnen, ist keine Aktion des Theaters als Institution, sondern | |
das private Engagement unserer Mitarbeiter. Das darf nicht verwechselt | |
werden. Ich würde diese Aktion nicht damit verbinden wollen, uns als | |
Theater zu profilieren. | |
Das Fernsehen hat nun ein ganz neues Interesse am Schauspielhaus: Gleich | |
sechs Kamera-Teams wollten kommen. | |
Wir erlauben das nicht. Wir bieten Schutzraum, also auch Privatsphäre. Es | |
fällt mir extrem auf, wie sehr sich die Leute zurückziehen wollen. Ich | |
hätte das Gefühl, die Situation auf obszöne Art auszuschlachten, wenn wir | |
Kamera-Teams erlaubten, dort herumzulaufen. Ich finde, das Medieninteresse | |
sollte beim Infopoint am Bahnhof sein, die leisten die eigentliche Arbeit. | |
Dass wir die Türen öffnen, darüber müssen wir eigentlich nicht reden. | |
Das müsste man den Hooligans am Bahnhof sagen. | |
Sie haben uns jetzt Hakenkreuze in die Eingangstüren geritzt. Aber ich | |
kriege ohnehin immer fiese Briefe von denen, daran gewöhnt man sich. Aber | |
wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen: Es geht um die Mitarbeiter, nicht | |
die Institution. Dass ein öffentliches Haus jetzt seine Türen öffnet, muss | |
selbstverständlich sein. | |
18 Sep 2015 | |
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