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# taz.de -- Syrische Dschihadisten-Komödie: Terror-Error
> „Stirb, bevor du stirbst“ wurde am Schauspiel Köln uraufgeführt. Der
> Autor macht aus dem Terrorthema eine Verwechslungskömödie.
Bild: Szene aus „Stirb, bevor du stirbst“
Wenn die Polizei mit Sorgenmiene vor der Tür steht, nach dem Verbleib des
Sohnes fragt und von Dschihad spricht, ist eigentlich alles klar: Vater
weg, Mutter überfordert, Werte futsch, Zukunft kaputt – da hatte eine
Radikalinski-Moschee mit islamistischem Hassprediger leichtes Spiel, den
Jungen als lebendige Bombe in den Krieg zu schicken. Hat man schon von
gehört.
So einfach entlässt einen der syrische Autor und Arzt Ibrahim Amir im Stück
„Stirb, bevor du stirbst“ allerdings nicht. Als Auftragswerk fürs
Schauspiel Köln wurde es in der Regie von Rafael Sanchez uraufgeführt. Der
33-jährige Amir, seit 2002 in Wien, hat vergangenes Jahr mit der
Ehrenmordkomödie „Habe die Ehre“ den Überraschungshit in Köln geliefert.
Mit seinem neuen Drama gelingt ihm das Kunststück, auch aus dem Terrorthema
eine Komödie zu basteln, als mehrschichtiges Verwechslungsspiel, bei dem
die Stereotypen ein zweites oder drittes Gesicht erhalten.
Zum Beispiel Magda, die neue Nachbarin, die sich mit Kopftuch und Gebäck
aus dem Libanon bei der Familie im Haus einlädt – sich aber partout nicht
auf eine Herkunft festlegen lässt und unter der Trennung von ihrem
„polygamen Schwaben“-Ehemann leidet. Mit hautengem Bleistiftrock flitzt
Nicola Gründel umher, irgendetwas zwischen sexy Geheimagentin und
neugieriger Köchin.
Leichter zu fassen ist die demente Gertrud, bei der sich Magda vorstellt.
So stolz wie naiv macht Margot Gödrös die ukrainische Großmutter zum
Lachgaranten und Publikumsliebling. Ihrer Tochter Sabine, Typ
überstrapazierte Krankenschwester, ist die neue Nachbarin viel zu
übergriffig: Der Zickenkrieg eskaliert, Sabine alarmiert die Polizei. Die
kommt – allerdings wegen Philipp, Sabines Sohn, der nach Syrien ausgereist
sein soll. Große Verwirrung, bis der Polizist ein Foto von Philipp und
dessen vollbärtigem Weggefährten auspackt.
## Friedliche Sufis
Magda lässt sich ihre Arabischkenntnisse gut bezahlen und begleitet die
Damen, nun in Burka, zur Moschee. Auf der Figur des Imam liegt Amirs
Augenmerk: Blutbeschmiert und hochverdächtig entpuppt er sich plötzlich als
diskriminierter Friedensprediger und verlassener Ehemann mit
kommunistischen Wurzeln – um sich dann als Macho mit traditionellem
Rollenverständnis zu outen. Wie er Sabine, für ihn Prototyp der kaputten
westlichen Gesellschaft, schuldig spricht am Terrorismus ihres Sohns – und
im nächsten Moment auf dem Foto in Philipps Kumpel seinen eigenen Sohn
erkennt, das ist schon gewitzt ausgedacht.
Irrungen, Wirrungen – da war schon zu erwarten, dass die Jungs bald in der
Tür stehen und alles ganz anders ist. So kommt’s dann auch: Nicht in Syrien
waren sie, sondern in der Türkei; nicht dem Salafismus sind sie verfallen,
sondern dem friedlichen Sufismus, der das Göttliche im eigenen Herzen sucht
– ups, da wurde was verwechselt …
Dieser Überraschungscoup gelingt Sanchez weniger pointiert. Auch im Stück
bleibt manche Frage offen, aber sei’s drum: Ibrahim Amir will ein
differenzierteres Bild des Islam zeichnen, ohne die radikalen Strömungen
auszusparen – und das gelingt ihm, teils mit aufklärerischem Impetus. Die
Regie intensiviert das sogar: Nimmt im Text, eher lustig, die Polizei „die
Täter“ Philipp und Mustafa fest, wird in der Inszenierung einer der beiden
erschossen. Ein beklemmendes Finale. Ganz so düster allerdings wollte
Sanchez dann doch nicht enden: Eine angehängte Szene spult zurück auf
Anfang und zeigt die Friede-Freude-Eierkuchen-Variante. Fazit: Hätten alle
mehr miteinander geredet, wäre nichts passiert. So einfach könnte das Leben
sein.
9 Nov 2015
## AUTOREN
Barbara Behrendt
## TAGS
Theater
Schwerpunkt Syrien
Migration
Deutschland
Theater
Performance
Theater
Deutsches Schauspielhaus
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