| # taz.de -- Flüchtlinge auf der Bühne: Eine Ahnung von Fremdheit | |
| > Das Theaterkollektiv Voll:Milch macht Theater von und mit drei | |
| > sudanesischen Geflüchteten und erreicht damit mehr als bloß | |
| > Betroffenheit. | |
| Bild: Klare Handlungen auf aufgeräumter Bühne, dahinter ein sich verdichtende… | |
| Drei Männer lehnen sich zurück. Mit überschlagenen Beinen sitzen sie auf | |
| metallenen Hochsitzkonstruktionen und schauen ins Publikum. Es dauert, bis | |
| die ZuschauerInnen merken: Die Stühle haben gar keine Sitzfläche, und die | |
| drei da müssen sich mühsam aufrecht halten. Als erster beginnt Hassan A | |
| Bakar Omar zu zittern. Immer wieder steigt er ab, wischt sich den Schweiß | |
| von der Stirn und kehrt zurück in die freischwebende Position auf diesem | |
| Gerät, halb Kunstobjekt, halb Folterinstrument. | |
| Unbequem ist auch die Performance „Refugee Homecare : Flüchtige | |
| Heimatpflege : „ vom Kollektiv Voll:Milch. Die fünf jungen | |
| TheatermacherInnen, ausgebildet an der Universität Hildesheim, arbeiten | |
| gerne und häufig mit ExpertInnen des Alltags: 2013 gewannen sie den | |
| Schredder mit dem Motto „Afrika“, einen Wettbewerb für junges Theater in | |
| Niedersachsen. | |
| Dabei lernten sie den sudanesischen Aktivisten Maissara M. Saeed kennen, | |
| der sich lange Zeit für das Camp für Geflüchtete am Weißekreuzplatz in | |
| Hannover engagierte. Das Leben Geflüchteter auch künstlerisch zu | |
| verarbeiten, war seine Idee. Ob auf einer Theaterbühne oder etwa als | |
| Straßentheater, das war ihm egal. | |
| Die Idee ließ Ekaterina Trachsel nicht mehr los: „Wir suchen Glatteis“, | |
| sagt die Voll:Milch-Spielerin. „Weil wir keine einfachen Antworten geben, | |
| sind unsere Produktionen oft Zumutungen.“ Die Isolation durchbrechen, | |
| „Breaking Isolation“: Das war der thematische Ausgangspunkt, an dessen | |
| Konzeption Maissara M. Saeed maßgeblich beteiligt war. | |
| Auf der Bühne stehen nun nur sudanesische Geflüchtete, allesamt so gut | |
| entlohnt, wie das deutsche Recht es zulässt, die unterschiedlicher kaum | |
| sein könnten: Hassan A Bakar Omar ist Koch des Demo-Camps in Hannover; | |
| Haitham Mansor hat bei den Auswahlgesprächen durch seine dicken Mappen von | |
| Zeichnungen überzeugt, von denen auch welche in „Refugee Homecare“ | |
| eingeflossen sind. | |
| Ahmed Haron, 21, der jüngste Darsteller, arbeitet eigentlich bei einem | |
| Paketdienst, für die intensive Probenphase vor der Premiere im August hat | |
| er sich freigenommen: „Ich hasse Flyer“, jammert er, als Voll:Milch ihm | |
| eine Kiste Flugblätter gibt, um die gemeinsame Inszenierung zu bewerben: | |
| „Die sehen so leicht aus, sind aber die schwersten Pakete.“ | |
| Schwer zu transportieren sind auch die Sitzkonstruktionen, beinahe das | |
| einzige Requisit auf großer Bühne: Umständlich schieben die Männer sie von | |
| der einen Seite zur anderen und wieder in die Mitte. Ein geflüchteter | |
| Theatermacher aus Syrien hat sich die Produktion gleich dreimal angeschaut, | |
| war begeistert –nur die Stühle, die seien viel zu schwer und hässlich | |
| obendrein. | |
| Die müssten so sein, erklärten ihm Mansor, A Bakar Omar und Haron: Sie | |
| stehen für die Steine, die ihnen in den Weg gelegt werden. „Viele werfen | |
| uns vor, dass unsere Experten die Stücke selbst nicht verstehen“, sagt | |
| Trachsel. „Indem sie unsere theatralen Strategien selbstständig | |
| weitergeben, beweisen sie, dass dies genauso ihr Stück ist.“ | |
| Drei Leinwände bilden die zweite mediale Ebene : Zu sehen sind die fünf | |
| Voll:Milch-SpielerInnen in einem dämmerigen Freibad. Im Gegensatz zum | |
| klaren Handeln auf der aufgeräumten Bühne werden hier zu viele Text-, Bild- | |
| und Sinnebenen miteinander verwoben, als dass sich ihnen ganz folgen ließe | |
| –„ich verstehe nur Bahnhof“, tuschelt eine Zuschauerin. | |
| A Bakar Omars Monolog über ein Mädchen, das sich der Milch ihrer Mutter | |
| verweigert, wird im Publikum flüsternd ins Hocharabische übertragen. Auch | |
| in der Inszenierung überlagern sich Stimmen und Sprachen bis zum dichten | |
| Wortrauschen. Die Gleichzeitigkeit des Gesagten ist anstrengend und macht | |
| Vieles unverständlich, schafft dabei aber auch, ohne aufdringlich zu sein, | |
| Verständnis: für Menschen, die in einem Land leben, in dem niemand ihre | |
| Sprache spricht. | |
| „Und ein Schiff mit acht Segeln / Und mit fünfzig Kanonen / wird liegen am | |
| Kai“, brüllt hinten im Freibad-Film Ekaterina Trachsel, frei nach Bertolt | |
| Brechts Seeräuber-Jenny, vom Sprungturm herab; Stephan Mahn hoppelt als | |
| Känguru verkleidet zu sudanesischem Pop; Birk Schindler schwimmt | |
| unablässig; Paula Löffler färbt im Angela-Merkel-Kostüm mit dem Hintern | |
| Handtücher schwarzrotgolden und Sebastian Rest zündet ein Bengalo nach dem | |
| anderen. | |
| So plump das Bild des Freibads als todbringendes Mittelmeer gelesen werden | |
| kann, so komplex gehen Voll:Milch damit um. Während sie die jungen | |
| PerformerInnen das Freibad verwüsten sehen und ihren so makellosen wie | |
| zielstrebigen Biografien lauschen, beschleicht auch herkunftsdeutsche | |
| ZuschauerInnen eine Ahnung von Fremdheit. | |
| Am Ende tragen Voll:Milch sich selbst symbolisch zu Grabe, löschen ihre | |
| eigene Generation aus: Sie ziehen sich zurück, um Raum zu schaffen für die | |
| neue, migrierende Generation, die es besser machen soll; die noch nicht | |
| verinnerlicht hat, dass sie ein großes Haus und ein teures Auto haben muss | |
| –oder Kinder, denen es einst besser gehen soll. | |
| „Wie Brecht glauben auch wir, dass aus gesellschaftlichen Ruinen neue | |
| Modelle entwickelt werden können“, sagt Ekaterina Trachsel. Auch wenn sie | |
| sich das Stück vielleicht noch radikaler gewünscht haben: Voll:Milch finden | |
| mit „Refugee Homecare“ ein Modell, die Isolationen zu durchbrechen. Von | |
| beiden Seiten aus. | |
| 5 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Kornelius Friz | |
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