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# taz.de -- Theaterstück von syrischem Geflüchteten: Ratlosigkeit des Überle…
> Er hat die Theaterszene in Osnabrück aufgemischt. Bei seinem Gastspiel in
> Berlin thematisiert Anis Hamdoun seinen Weg nach Deutschland.
Bild: Anis Hamdoun hat ein Auge verloren, doch sein Lächeln nicht
Sein Auge hat er im Februar 2012 verloren: Raketenangriff auf das syrische
Homs. Zwei Tage Koma in einem Untergrundlazarett. Anis Hamdouns Freund
Mazhar ist neben ihm gestorben, ein Splitter traf seine Schläfe. Es gibt
ein Video, wie Hamdoun blutüberströmt auf einen orientalischen Teppich
gebettet wird, er hat es auf YouTube gefunden. „Wahrscheinlich hat das ein
Freund von mir gefilmt“, sagt Hamdoun, er erinnert sich nicht – nur dass
dieser Freund dann in einem Regierungsgefängnis verschwand und er nie
wieder von ihm hörte.
Vor dem syrischen Geheimdienst ist der Theatermann und studierte Chemiker
Anis Hamdoun erst sechs Monate nach dem Bombenangriff geflohen, zunächst
nach Ägypten. Über ein Jahr wartete er in Kairo. Dann durfte er mit seiner
Frau als UNO-Kontingentflüchtling mit einem selbst bezahlten Flug nach
Hannover fliegen – und er kam nach Osnabrück, dessen Theaterszene er
seitdem geradezu aufgemischt hat.
Vor allem mit „The Trip“, das nur am 8. April beim Festival Internationale
Neue Dramatik (FIND) in der Schaubühne in Berlin zu sehen ist (und später
wieder in Osnabrück). Das Stück bringt auf den Punkt, wie man sich wohl so
fühlt, aus der Hölle gestrandet zu sein in einer bürgerlichen deutschen
Mittelstadt. Es ist eine melancholische Hommage an die Toten des
Syrienkriegs und die Ratlosigkeit des Überlebenden – und auch immer wieder
ein lustiger Vergleich von deutschen und syrischen Frühstücksgewohnheiten,
gelber Käse gegen Kardamomkaffee.
Aber vor allem ist „The Trip“ eine autobiografische Hommage an Anis’
ermordete Freunde, die meisten von ihnen fast unfreiwillig Chronisten und
Aktivisten des Arabischen Frühlings. In „The Trip“ ertönt ein Muezzin,
kommt Sarah unter einem Grab aus Laken hervor. Sie, die so gerne Ärztin
werden wollte und sich, vergewaltigt im Gefängnis, umgebracht hat. Ihr
Bruder Saleem, Filmemacher, umkreist rastlos die Zuschauerreihen. Fast
erstaunt konstatieren sie aus dem Jenseits, wie schnell und brutal ihre
Träume beendet wurden.
## Shakespeare im Flüchtlingscamp
Die Szenen von Hamdouns Freund, der neben ihm an der Granate starb, werden
per Video aus Jordanien zugeschaltet, so wie Syrer Freunde und Familie oft
nur noch auf kleinen Bildschirmen erleben. Gespielt wird er von dem in
Syrien berühmten Schauspieler Nawar Bulbul. Bulbul lebt heute in Amman und
hat im Flüchtlingscamp Zaatari mit Kindern große Shakespeare-Projekte
gestemmt.
„The Trip“ war am Theater Osnabrück eigentlich nur als einmaliger Abend
geplant, Hamdoun war damals Praktikant am Haus. Das Theater ließ ihn mit
Ensemblemitgliedern arbeiten – was trotz allen wohlmeinenden
Flüchtlingsengagements deutscher Theater immer noch eher eine Seltenheit
ist. Der Erfolg war so groß, dass es fest in den Spielplan aufgenommen
wurde und bis heute stets ausverkauft ist.
„In diesen sechs Monaten hat sich alles verändert“, erzählt Hamdoun, 30,
mit Pferdeschwanz und Augenklappe, lachend, als könne er es selbst nicht
glauben. Jetzt ist er fast schon berühmt. „The Trip“ wurde an den Münchner
Kammerspielen und am Staatstheater Karlsruhe gelesen.
Ein neues Stück, das Anis Hamdoun gerade schreibt, es handelt sich um eine
Umdeutung von Homers „Odyssee“, inszeniert er im Oktober in Kiel.
Interviews und Porträts über ihn erscheinen in großen Zeitungen, auf drei
Podien war Hamdoun allein im März 2016. Es klingt etwas zynisch, aber es
ist, als hätten deutsche Theater auf einen wie ihn gewartet: den geradezu
perfekten Künstlerflüchtling, einen, der es schafft, Trauer und Verlust in
Aktivität und Kunst zu verwandeln.
## Dolmetscher und Schauspieler
Deutsch hat er sehr schnell nahezu perfekt gelernt. Genauso wie seine Frau
Zaina, Literaturwissenschaftlerin, die bereits kurz nach der Ankunft in
Deutschland Sprachkurse für Flüchtlinge gab. Gerade eben wurde sie an der
UdK in Berlin als Schauspielstudentin aufgenommen.
Auch Hamdoun engagiert sich in Osnabrück ehrenamtlich in dem Verein Exil e.
V., drehte bereits kurz nach der Ankunft Videoblogs für Flüchtlinge,
unterrichtet in der Berufsschule unbegleitete Jugendliche, zeigt ihnen, wie
man eigene Videotagebücher dreht, bringt ihnen Kunst und Theater nahe. Mit
Zaina zusammen tritt er aber auch als lustiger Dolmetscherschauspieler in
Osnabrücker Kindertheaterstücken auf und findet nebenbei noch Zeit für das
Schreiben von Stücken.
„In Deutschland habe ich in zwei Jahren so viele Chancen erhalten wie mein
ganzes Leben lang in Syrien nicht“, sagt er. Doch sein Herzensprojekt ist
der Dokumentarfilm „Newcomers“, den er mit seinem syrischen Freund Maan
Moussli plant, eine Bestandsaufnahme der Leute, die Hamdoun eben nicht mehr
bedürftig „Flüchtlinge“, sondern konstruktiv-anpackend „Neuankömmlinge…
nennen will. „50 Prozent der Deutschen stammen so gesehen von Newcomern
ab“, sagt er, „auch wenn sie historisch gesehen aus dem Zweiten Weltkrieg
stammen.“
Der Osnabrücker Musiker Tommy Schneller hat einen Song gespendet, jeder
Download fließt in das Filmbudget. 20.000 Euro und ein Leihauto sind
bereits zusammengekommen. In den Trailer hat Hamdoun auch die Youtube-Szene
seiner Verwundung in Homs geschnitten, stellt sie hinter Bilder von Thomas
Mann, Hannah Arendt und Bert Brecht.
Den brutalen Zufall, der Menschen zuweilen auf existentielle Lebensreisen
schickt, könnte er kaum eindrücklicher zeigen. Dass Hamdoun in so kurzer
Zeit so erfolgreich geworden ist, ist eher kein Zufall, sondern beweist,
wie dringend er offenbar gebraucht wird. Ihn stört es jedenfalls nicht,
dass es so gut läuft – „desto besser für meinen Film“, sagt er.
8 Apr 2016
## AUTOREN
Dorothea Marcus
## TAGS
Theater
Syrische Flüchtlinge
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Mosambik
Politisches Theater
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Flucht
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