Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Darf man Humor auf Tumor reimen?: Die Verzweiflung eines Krebspatie…
> Mit dem Stück „Über meine Leiche“ hat Stefan Hornbach den 2. Osnabrück…
> Dramatikerpreis gewonnen. Marlene Anna Schäfer hat es jetzt schlüssig
> inszeniert.
Bild: Hinein uns hinaus: Allerlei Figuren tänzeln durch den Kopf des krebskran…
OSNABRÜCK taz | Darf man, soll man, muss man das? Ein schweres Thema
leicht, die schlimmste Art der Fremdbestimmung mit einem Lächeln nehmen –
und Humor auf Tumor reimen? Galgenhumor zum Totlachen: Aber nicht
respektlos und mit immer absurder werdenden Komikmitteln versucht Stefan
Hornbach der ohnmächtig empörten Verzweiflung eines jungen Krebspatienten
dramatischen Ausdruck zu verleihen. So dass eben nicht deprimierendes
Mitleidstheater entsteht, sondern überhaupt erst mal eine Möglichkeit für
Patienten und Publikum, einen Umgang mit der Krankheit zum Tode zu finden.
Die Uraufführung dieses Stückes – „Über meine Leiche“ – hatte Hornba…
1. Preisträger des 2. Osnabrücker Dramatikerpreises gewonnen. Den Preis
überreichte nun Regisseurin Marlene Anna Schäfer. Mit federleichtem
Sarkasmus, unzimperlich fidelen wie sinnkräftigen Bildern in formschönem
Setting findet ihre Inszenierung einen schlüssigen Zugriff auf den Text.
Der eher zufällig entstanden ist. Denn der 30-jährige Hornbach ist
Schauspieler, hat 2015 das Studium an der Akademie für darstellende Kunst
in Ludwigsburg abgeschlossen und einen Teilzeitspielvertrag am Theater
Heidelberg unterschrieben. Dort steckt er gerade in den Endproben zum
Weihnachtsstück. Die böse Frau Prysselius, die Pippi Langstumpf in ein Heim
einweisen will, ist seine Rolle. Hornbach: „Die Kinder im Publikum werden
mich fertig machen.“ Und was die nicht schaffen, erledigen die
Arbeitsbedingungen. Zweimal täglich wird gespielt, insgesamt 70
Aufführungen sind angesetzt. Hornbach ist jung und braucht das Geld? „Nein,
das ist meine Stadttheaterabgewöhnung“, sagt er. Literatur sei angesagt.
Drauflos formuliert hat er schon immer. Song-Lyrics, Rap-Poesie, Gedichte,
Prosaminiaturen. Auch an Kursen für „Kreatives Schreiben“ hat er
teilgenommen, während der Ausbildung auch die Wechselbeziehung vom
Verfassen und Spielen eigener Texte erkundet. Eine zehnseitige Ideenskizze
entstand, Hornbach schickte sie nach Osnabrück – und wurde als einer von
sechs aus 100 Bewerbern eingeladen zu Workshops, Gruppen- und
Einzelgesprächen.
## Gebastelt aus Fragmenten
Das Preisträgerstück soll dort im Dialog mit der lektorierenden Jury
entwickelt werden. Dazu gehört Dramatikerin Rebekka Kricheldorf. „Sie hat
mir gesagt, ich sollte mir mehr Raum für die Story nehmen und lieber einen
Roman schreiben“, so der Autor. Die anderen drei Juroren aber animierten
ihn, aus den zehn 20 Seiten zu machen – dann könnte er den mit 6.000 Euro
dotieren Preis gewinnen. Zwei Wochen Zeit. Gut, dass Hornbach reichlich
unabgeschlossene Textdateien auf der Festplatte und einen
Recherchematerialberg zum Thema in der Wohnung hatte. War er doch auch
privat mit Krebs konfrontiert und wollte die Krankheit für sich einmal
„sauber abarbeiten“, wie er sagt.
Zum Dramatisieren nahm er den Ich-Erzähler-Monolog aus einem seiner
Romanfragmente als Ausgangspunkt, theatralisierte dann Szenen einer
Liebesaffären-Geschichte, die während der Chemotherapie spielt und es beim
Berliner „open mike“-Wettbewerb bereits ins Finale geschafft hat. Hornbach
plünderte unveröffentlichte Kurzgeschichten und komponierte aus all dem
eine formal vielfältige Textbruchstückcollage. Die aber gar nicht
bruchstückhaft wirkt, sondern organisch vielschichtig zwischen epischer
Erzählung und dialogischem Kabarett changiert. Wie ein immer wieder
zerreißender Bewusstseinsstrom.
Das Stück spielt im Kopf Friedrichs (Janosch Schulte), eines schlaksig
sanften Wuschelkopfes, der von Medikamenten betäubt, von schmerzhaften
Behandlungen gepeinigt, mit Wut, Resignation und irgendwie auch Vorfreude
aufs erlösende Reich der Körperlosigkeit erfüllt ist. Im Denken gewinnt
Friedrich keine Klarheit mehr. Sodass die letzte Instanz, das
reflektierende Ich, verloren zu gehen droht. Aufs Stichwort der Fantasie
krabbeln, schreiten, kriechen, tänzeln Figuren seines Lebens in den
Imaginationsraum hinein und wieder hinaus: clowneske Ärzte, ironisch
verfremdete „Psychoonkel und -tanten“, Muttern mit ihren rührend hilflosen
Trauer- und Trostmomenten sowie ein Alter Ego mit schwarzhumorigen
Versuchen des Verdrängens.
Hinzugemischt wird, was ein Leben lang vermisst, verpasst wurde.
Beispielsweise Jana (Marie Bauer), eine nie erfüllte Jugendliebe. Sie
drängelt ins Geschehen wie eine liebenswerte Alptraumheimsuchung, Teufelin
und Teufelsaustreiberin ist sie, Tumor und Therapeut. Eine reizvolle
Konstellation: Er scheint leben zu wollen und sterben zu müssen, sie
scheint des Lebens müde zu sein und sterben lernen zu wollen. Das
Aufregende daran: Ihr Zweikampf wird zur Emanzipation – von der einseitig
hoffnungslosen Interpretation ihrer Situation. Beide finden in Janas
Baumhaus aus Kindertagen zusammen, ein Sehnsuchtstraum. Vielleicht auch
eine bereits in die Ewigkeit verlängerte Wunschvorstellung dieses
Kopfdramas, das Widerstandskräfte zum todesängstlichen Sog erzeugt.
„Ein Mutmacherstück“, sagt der Autor. Ihm gehe es tatsächlich um eine
Vision: sich Schicksalsschlägen nicht auszuliefern, sondern sie anzunehmen,
das Beste daraus zu machen. „Also nicht alles gleich als gut oder schlecht
einzuordnen und sich damit für Lachen oder Weinen zu entscheiden, sondern
beides gleichzeitig zuzulassen.“ Eine Haltung, der die Ästhetik des Stücks
entspricht. Es endet daher auch nicht auf dem Friedhof, nicht mit
Wunderheilung, sondern offen …
## Großer Erfolg
Klar ist bereits der Erfolg des Stücks. Nach der Osnabrücker Ehrung wurde
es auch unter 176 Einreichungen ausgewählt, die Autorentheatertage des
Deutschen Theaters Berlin zu bereichern – und hatte damit die 2.
Uraufführung gewonnen, die Voraufführung heißen musste. „Dabei gab es nur
drei Schauspieler, alle waren Friedrich. Ständig wurden Gegenstände auf die
Bühne geworfen, die Tumore sein und das Spiel des Trios
durcheinanderbringen sollten, ein ganz anderer Regieansatz also“, erinnert
sich Hornbach. Und freut sich, dass diese Version demnächst am Wiener
Burgtheater als österreichische Erstaufführung herauskommt, bereits auf dem
Heidelberger Stückemarkt zu erleben war und auch das Schauspielhaus Bochum
die Aufführungsrechte erworben habe.
Hornbach selbst sitzt schon am Roman zum Drama. Die Osnabrücker Jury
scheint nach dem Gewinner des 1. Dramatikerpreises, Thomas Köck, erneut
eine Schriftstellerkarriere angestupst zu haben.
6 Nov 2016
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Theater Osnabrück
Theater
Krebs
Humor
Theater Osnabrück
Theater Osnabrück
Familie
Literatur
Theater
Bremen
Osnabrück
Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Locker-Room-Talk im Theater Osnabrück: Kein Platz für Ideale
Der Aufführungsort für Patrick Marbers Fußballstück „Der rote Löwe“ is…
Spielerkabine des VfL. Das sorgt für größe Nähe zum ausgefeilten Drama
Interdisziplinärer Totentanz in Osnabrück: Wiederbelebte Wichtel
Das Projekt „Danse Macabre“ widmet sich Bildern vom tanzenden Tod vom
Mittelalter bis in die Gegenwart – mit Tanz, Ausstellungen und
Installationen in vier Häusern
Vom Kreislauf des Lebens: Am Anfang und am Ende
Die Oma unserer Autorin liegt im Sterben, will aber die Geburt ihrer
Urenkelin noch erleben. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.
Lesewettbewerb „Open Mike“ in Berlin: Sehnsucht nach Sinn
Sich durchs Leben schummeln? Das findet der Protagonist falsch in einer
Geschichte von Thilo Dierkes, der damit den „Open Mike“ gewann.
Theaterstück von syrischem Geflüchteten: Ratlosigkeit des Überlebens
Er hat die Theaterszene in Osnabrück aufgemischt. Bei seinem Gastspiel in
Berlin thematisiert Anis Hamdoun seinen Weg nach Deutschland.
Kultur wird elitär gemacht: Eintritt frei!
Warum bei uns so wenige Kulturinstitutionen eine demokratische
Eintrittspolitik hinbekommen – und Menschen durch Preise abschrecken.
Theaterfestival in Osnabrück: Apokalypse als Chance
Das Osnabrücker Theaterfestival „Spieltriebe“ setzt sich am kommenden
Wochenende mit den Möglichkeiten auseinander, das Unmögliche zu begehren.
Durch Pegida ungeahnt aktuell: Remarque auf der Bühne
Welt aus den Fugen: Das Theater Osnabrück bringt erstmals den
Zwischenkriegsroman "Der schwarze Obelisk" auf die Bühne.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.