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# taz.de -- Kardinal Marx über Sexualmoral: „Wir können nicht alles absegne…
> Erzbischof Reinhard Marx über die unterschiedlichen Moralvorstellungen
> von Kirche und Gläubigen, über Antikapitalismus und Papst Franziskus.
Bild: „Unser Idealbild bleibt, dass eine Familie aus einem Mann und einer Fra…
taz: Herr Kardinal, mit der von Papst Franziskus angeordneten [1][Umfrage
zur Familienpolitik] haben Sie es jetzt schriftlich: Die deutschen
Gläubigen leben eine völlig andere Sexualmoral als von der Kirche
vertreten. Sex vor der Ehe gilt als normal, Verhütungsmittel werden ohne
schlechtes Gewissen benutzt, Geschiedene erwarten Hilfe statt Strafe.
Folgen Ihnen Ihre Schäfchen nicht mehr?
Marx: Die Interpretation, dass uns die Gläubigen hier überhaupt nicht
folgen, ist zu kurz gegriffen. Die Mehrheit ist nicht gegen die
Unauflöslichkeit der Ehe. Sie suchen einen Partner, der sie nicht nur für
eine Nacht, sondern für immer will.
Die Menschen fühlen sich aber von Ihnen im Stich gelassen, wenn ihre Ehe
scheitert und sie neue Partner finden.
Ich leide darunter, dass sich die betroffenen Menschen oft von der Kirche
zurückgestoßen fühlen. Es muss klar werden, dass sie dazugehören und keine
Christen zweiter Klasse sind. Es geht um Hilfe und nicht um Abstrafung. Die
Ehe aber ist ein Sakrament und unauflöslich, das werden wir nicht zur
Disposition stellen. Ich habe da keine fertige Lösung und empfinde das als
unbefriedigend. Die Frage, wie wir die Lehre der Kirche hier neu und
einladend zur Sprache bringen, ist sehr dringlich.
Sie könnten ja einfach Barmherzigkeit vor Recht ergehen lassen, so wie
Jesus es getan hat, und alle Lebensformen akzeptieren.
Das Gesetz steht nicht über der Barmherzigkeit. Aber wir können auch nicht
einfach sagen: Alles, was faktisch geschieht, das segnen wir ab. Jeder Fall
liegt anders, starre Schemata werden dem Leben nicht gerecht. In anderen
Regionen der Weltkirche geht es bei Ehe und Familie nicht so sehr um
wiederverheiratete Geschiedene, sondern darum, wie ein primitiver
Kapitalismus die Familien zerstört, wenn Eltern jahrelang im Ausland Geld
verdienen müssen. Ehe und Familie sind auch der Ort, wo der Glaube erfahren
und weitergegeben wird.
Was ist denn Familie für Sie? Nur Mutter, Vater, Kind, oder auch
wiederverheiratete Patchworkfamilien oder homosexuelle Eltern mit Kind?
Unser Idealbild bleibt, dass eine Familie aus einem Mann und einer Frau
besteht, die sich füreinander und für das Leben mit eigenen Kindern
entscheiden. Aber auch anderen Lebensformen, in denen Menschen dauerhaft
Verantwortung füreinander übernehmen, kann man nicht durchweg eine
sittliche Qualität absprechen.
Der Papst schreibt, dass „die Herde selbst einen Spürsinn für neue Wege
besitzt“. Warum folgen Sie nicht der Herde?
Die Herde ist das ganze Volk Gottes. Nicht nur das deutsche. Und nicht nur
die Gegenwart, auch das Glaubenswissen früherer Generationen. Das Volk
Gottes umfasst auch die Tradition, die Lehre der Bischöfe und des Papstes
und den Blick in die Zukunft. Gerade deshalb und um die Breite der gelebten
Wirklichkeit genau anzuschauen, sollten wir die Synoden, also die
Versammlungen von Bischöfen, Priestern und Laien, stärken.
Also ist die Kirche nicht reformfähig.
Wo denken Sie hin? Die Kirche ist zur fortwährenden Reform gerufen, und es
hat ja immer wieder Reformen gegeben. Aber kein Papst oder Bischof nimmt
sich einfach ein weißes Blatt und erfindet die Kirche neu. Wir können von
einer anderen Kirche träumen, solche Lieder habe ich früher auch gesungen.
Aber jetzt bleiben wir auch ein wenig realistisch. Veränderung geht nur,
wenn möglichst alle mitgehen. Die Kirche ist, wie sie ist: vielschichtig,
faszinierend, beeindruckend und auch voller Schwachpunkte, also manchmal
auch für einen Bischof schwer zu ertragen. Und trotzdem in all diesen
Brüchen und Schwächen ist sie Kirche Christi. Wir müssen uns eben immer
wieder anstrengen, Wort und Anspruch zusammenzubekommen.
Daran ist die Kirche spätestens durch den tausendfachen Missbrauch von
Kindern gescheitert. Die UN wirft ihr vor, sie wehre sich gegen eine
Aufarbeitung.
Für uns in Deutschland trifft der Vorwurf nicht mehr zu. Die UN sehen die
Kirche als ein globales Unternehmen, wo in der Zentrale Vorschriften
gemacht werden, die weltweit sofort umgesetzt werden. Rom hat von allen
Bischofskonferenzen verlangt, dass sie Richtlinien erlassen und diese dann
konsequent umsetzen. Aber wir sind eine Gemeinschaft mit 1,2 Milliarden
Mitgliedern, und das Bewusstsein ist leider noch nicht überall so weit wie
hier bei uns.
Die Kirche kennt den Begriff „sündige Strukturen“. Gibt es die beim
Missbrauch?
Mit dem Begriff muss man vorsichtig sein, denn er kann als Entlastung der
Täter gelesen werden. Aber ja, die Strukturen haben den Einzelnen ihre
Sünden erleichtert. Es gab zu Beginn ganz klar das Interesse, die
Institutionen und die Priester zu schützen. Die Opfer hatten wir nicht im
Blick, das werfe ich mir auch persönlich vor. Das ist eine Schande.
Der Papst interpretiert Sünde auch ökonomisch. Er sagt: „Diese Wirtschaft
tötet.“
Die katholische Soziallehre war schon immer antikapitalistisch. Als junger
Kaplan habe ich im Religionsunterricht manchmal Texte aus der Enzyklika
„Rerum Novarum“ lesen lassen. Da sagten manche: Das ist von Karl Marx. Der
Papst ist ja nicht der einzige Kritiker des ungezügelten Kapitalismus. Auch
die Weltbank hat gesagt, die Finanzkrise werde dazu führen, dass Menschen
sterben. Eine Wirtschaft, die allein auf Kapitalverwertungsinteressen aus
ist, kann sittlich nicht gut sein.
Ist es nicht naiv, den Märkten mit Moral zu kommen?
Die Kritiker sagen: Was will der Papst? Die Marktwirtschaft hat doch dazu
geführt, dass weniger Menschen hungern. Stimmt. Aber Kapitalismus ist nicht
dasselbe wie Marktwirtschaft. Vor ein paar Jahren war ich in Chicago beim
Wirtschaftsnobelpreisträger Robert E. Lucas. Ich habe ihn gefragt: „Was ist
mit den Folgeschäden der Finanzkrise?“ Er wies auf Grafiken, die seit 1850
weltweit steigenden Wohlstand zeigten. „Wo ist das Problem?“, fragte er
mich.
Wo ist das Problem?
Das ist der pure Utilitarismus. Das größte Glück der größten Zahl. Es kann
nicht die moralische Legitimation unseres Wirtschaftssystems sein, dass wir
Tod und Elend für einen höheren Lebensstandard in Kauf nehmen. Millionen
von rechtlosen Wanderarbeitern für das Wachstum in China? Das ist keine
akzeptable Perspektive.
Wie sieht die Alternative des Papstes aus? Er könnte höhere Steuern
fordern, aber er redet den Reichen nur ins Gewissen.
Das Schreiben des Papstes ist zwar zunächst ein seelsorgerlicher Text, aber
der Papst sagt klar, dass sich strukturell etwas ändern muss. Es kann doch
nicht sein, dass einige wenige auf Kosten vieler anderer zunächst möglichst
viel Geld verdienen, um dann einen geringen Teil davon an Arme zu
verteilen. Das ist keine nachhaltige und gerechte Lösung. Die katholische
Soziallehre liefert seit 150 Jahren Grundprinzipien, die der Sozialen
Marktwirtschaft sehr ähnlich sind. Ungezügelter Kapitalismus führt in die
Irre. Dann haben die Kapitalinteressen Vorrang vor den Bedürfnissen der
Menschen.
Was sind die Konsequenzen für Deutschland? Der Mindestlohn?
Oberstes Ziel sind Löhne, von denen man leben und nicht nur überleben kann.
Und dass jeder Einzelne immer wieder eine Chance zur Teilnahme erhält. Wir
Bischöfe haben das „dynamische Chancengerechtigkeit“ genannt. Der
Mindestlohn wird Altersarmut nicht verhindern. Er kann hilfreich sein, darf
aber die Tarifautonomie nicht aushebeln. Es ärgert mich, wenn ich lese, die
Gewerkschaften seien das Problem. Im Gegenteil: Erst mit starken
Gewerkschaften sichern wir Einkommen und Wachstum.
Papst Franziskus will eine arme Kirche. Die deutsche Kirche ist reich. Was
jetzt?
Der Vatikan ist auch nicht arm. Wir reden ja deshalb in Rom darüber, wie
das Geld dienstbar gemacht werden kann. Wir können ja nicht heute das
gesamte Vermögen der Kirche an die Armen verschenken, wie müssen auch an
die Armen von morgen denken. Das Vermögen soll helfen, das Evangelium zu
verkünden, den Armen zu helfen und die Mitarbeiter zu entlohnen. Der Papst
will eine Kirche, die durch äußere Zeichen deutlich macht: Was wir haben,
dient auch und besonders den Armen, heute und morgen.
Die äußeren Zeichen aus Limburg waren zuletzt andere. Raten Sie Tebartz-van
Elst zurückzukommen?
Warten wir die Hinweise aus der Kommission ab, die dazu eingesetzt ist.
Demnächst werden viele Bistümer neu besetzt. Sollten die Gläubigen dabei
nicht mitreden?
Man kann sich vieles vorstellen. Wie der Bischof gewählt wird, ist kein
göttliches Recht. Aber wird mit Wahlen und Wahlkampagnen alles besser? Da
bin ich mir nicht sicher.
Was verändert der neue Papst? Bisher ja wohl vor allem den Ton, nicht die
Substanz.
Er geht Schritt für Schritt voran, er hat etwa unseren Kardinalsrat
installiert und die Familiensynode einberufen. Die Erwartung der
Öffentlichkeit ist: Welche Maßnahmen werden ergriffen, welche neuen Köpfe
werden installiert, welche müssen rollen? Da muss ich Sie enttäuschen. Das
ist nicht der Weg des Papstes. Er will einen neuen Anlauf, um die Freude
des Glaubens zu verkünden. Und er will viele auf diesem Weg mitnehmen.
Er könnte vieles ändern. Er entscheidet absolutistisch.
Die Kirche ist keine absolute Herrschaft, nicht der Papst ist der Herr,
Christus ist der Herr. Der Papst hört auf seine Berater, auf die Tradition,
das Lehramt, auf die „Zeichen der Zeit“, auf das Leben der Menschen. Gerade
ein Papst, der sich Franziskus nennt, versteht sich doch nicht als
Herrscher der Kirche, sondern als ihr oberster Diener.
15 Feb 2014
## LINKS
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/umfrage-des-vatikans-katholiken-hadern-m…
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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