| # taz.de -- Katholische Kirche in Deutschland: Das Atmen im Dom | |
| > Der Kölner Kardinal Meisner hat seinen Rückzug angekündigt. Nun hoffen | |
| > viele, das größte deutsche Bistum könnte zu mehr Demokratie finden. | |
| Bild: Der Vatikan drückte ihn damals als Kandidaten durch: Joachim Kardinal Me… | |
| KÖLN taz | Wie sonst wo auf der Welt, so schreitet auch der Kölner | |
| Erzbischof unter Orgelklang durchs Kirchenschiff zum Altar. Und wie überall | |
| predigt er, betet und segnet. Doch diese Messe am Morgen des | |
| Dreikönigstages ist etwas Besonderes. | |
| Joachim Kardinal Meisner schreitet durch den Dom, flankiert von Bischöfen | |
| aus mehreren Ländern. Die Orgel braust wie ein Orkan, und in den | |
| Stuhlreihen stehen Tausende Besucher. Der Kölner Erzbischof ist einer der | |
| mächtigsten Männer der katholischen Kirche. | |
| Am Altar angekommen, erzählt Meisner die Geschichte der Heiligen Drei | |
| Könige. Der Stern habe ihnen in finsterer Nacht den Weg zum Geburtsort Jesu | |
| gewiesen – die ewig gleiche Geschichte von der Reise vom Dunkel ins Licht. | |
| Dem Mann im beigen Bischofsgewand ist sie Anlass, sein Lieblingsthema | |
| anzusprechen. Durchs Kirchenschiff klingt seine Klage „über die ungeheure | |
| Verfinsterung Gottes in unserer Zeit“. Überall sieht Meisner Auflösung und | |
| Zerfall. Nun kommt er selbst an ein Ende. | |
| Der Erzbischof hat seinen Rückzug angekündigt, erwartet wird er für Anfang | |
| März. Das stürzt viele Beobachter in Sorge. Nicht, weil sie dem 80-Jährigen | |
| nachtrauern würden, im Gegenteil. Sie fürchten, der Nachfolger könne sein | |
| wie Meisner. | |
| Köln gilt als extrem tolerant, Meisner nicht. Ausgerechnet den damaligen | |
| Bischof von Berlin schickte Papst Johannes Paul II. 1989 an den Rhein. Das | |
| Erzbistum stand Kopf, musste sich aber beugen. Am Tag von Meisners | |
| Amtseinführung entrollten Demonstranten Spruchbänder: „Sehet, da kommt der | |
| Hirte, den kein Schaf hier wollte.“ | |
| ## Ein Abtreibungsgegner | |
| Joachim Kardinal Meisner ist ein Mann der ostdeutschen Diaspora. In der | |
| DDR, erzählt er gern, habe die Kirche ihm und seiner Familie „den inneren | |
| Freiraum gegeben […], dass wir den Rücken gerade halten konnten, dass wir | |
| uns nicht ducken mussten“. Dafür müssen sich heute andere ducken. | |
| Der Abtreibungsgegner forcierte den Ausstieg aus dem System der | |
| Schwangerenkonfliktberatung. Der CDU riet Meisner, das C im Namen zu | |
| streichen, wenn sie kein eindeutiges Votum für das ungeborene Leben abgebe. | |
| Kunst in der Kirche ohne religiösen Bezug nannte er „entartet“. Dem | |
| Atheisten und Glaubenskritiker Richard Dawkins hielt er vor, sein | |
| Menschenbild ähnele dem der Nazis. | |
| Wird sein Nachfolger die harte Linie fortführen? Oder wird er die Kirche | |
| öffnen, sie frische Luft atmen lassen? | |
| ## Domglocken im Handy | |
| Ein Mann, der sich nicht länger ducken will, lebt nur vier Kilometer | |
| Luftlinie vom Dom entfernt. Die in Ritualen erstarrte katholische Kirche | |
| ist weit weg. Hanno Weinert-Sprissler, 46 Jahre, Dreitagebart, Polohemd, | |
| öffnet die Wohnungstür. Im ersten Stock spielen seine zwei kleinen Kinder. | |
| Im Erdgeschoss serviert der Gastgeber am großen Esstisch Cappuccino. Als | |
| Miteigentümer einer Medienagentur konnte Weinert-Sprissler es sich leisten, | |
| die geräumige Wohnung zu kaufen. Als er einen Anruf bekommt, dringt aus | |
| seinem Handy lautes Glockengeläut. „Das ist der Dom“, sagt | |
| Weinert-Sprissler lächelnd, „das kleine Chorgestühl.“ Die katholische | |
| Kirche ist ganz nah. Weinert-Sprissler ist Diakon – und Mitinitiator der | |
| „Kölner Kircheninitiative“. | |
| Unter diesem Namen veröffentlichten 19 Frauen und Männer, darunter zwölf | |
| Pfarrer und vier Diakone, Anfang Dezember im Internet einen offenen Brief. | |
| Darin bitten sie den „verehrten Heiligen Vater Franziskus“ und die | |
| Mitglieder des Kölner Domkapitels um ein Mitspracherecht bei der | |
| Neubesetzung des Bischofssitzes. „Für eine von Anfang an gute Beziehung der | |
| Gläubigen zu ihrem zukünftigen Erzbischof“, schreiben sie, „wäre deren | |
| Einbeziehung wünschenswert.“ Deshalb bitten sie den Papst: „Bestimmen Sie | |
| gemeinsam mit den Katholiken des Erzbistums einen neuen Erzbischof, eine | |
| gemeindenahe Person.“ | |
| Meisners Name taucht in dem Brief nicht auf. Überhaupt ist das Schreiben | |
| betont verbindlich gehalten. Papst Franziskus umwerben sie als Mann, der in | |
| kurzer Zeit bereits „vieles in Bewegung gebracht“ und „Hoffnung“ gesät | |
| habe. Franziskus hat im November eine „heilsame Dezentralisierung“ der | |
| Kirche gefordert. Um sich kirchenrechtlich abzusichern, beruft sich die | |
| Initiative gar auf zwei Päpste, die ebenfalls für eine Wahl der Bischöfe | |
| durch ihre Gemeinde plädierten – im 5. Jahrhundert. | |
| ## „Hanno, lass das“ | |
| Mittlerweile haben fast 1.100 Menschen, viele davon Priester und | |
| Gemeindemitarbeiter, den Brief unterzeichnet. Das kirchliche Bodenpersonal | |
| will Deutschlands größtes Bistum demokratischer machen. | |
| „Wirklich etwas in der Kirche bewegen können die“, sagt Weinert-Sprissler, | |
| „die in der Kirche ein Amt haben.“ Er selbst entschied sich erst mit Mitte | |
| 30 für eine Laufbahn in der Kirche. Diakone sind Geistliche, aber ohne die | |
| Weihe zum Priester. Die Erinnerung daran, wie sein Vater 1989 an Krebs | |
| starb, hatte Weinert-Sprisser nie losgelassen. Er wollte helfen. | |
| Schließlich begann er 2005 mit der Ausbildung zum Diakon. Heute macht er in | |
| einer Gemeinde in Köln „ganz normale Diakonentätigkeit: taufen, trauen, | |
| beerdigen“. | |
| Seit Veröffentlichung des Briefes weht ihm ein schneidender Wind ins | |
| Gesicht. „Die ersten Tage über wurden wir von den Ultrakonservativen scharf | |
| angegangen“, sagt Weinert-Sprissler am Esstisch. Sein achtjähriger Sohn | |
| schleicht in die Wohnküche. Weinert wartet, bis er wieder gegangen ist, | |
| dann sagt er: „Auf Facebook wünschten uns Leute auf den Scheiterhaufen. Und | |
| meine Seelsorger-Kollegen schwiegen auffällig.“ Ein Bekannter habe ihm | |
| geraten: „Hanno, lass das, du hast Familie.“ | |
| ## Keine Revoluzzer | |
| Der Widerstand gegen jede Veränderung ist massiv. Das Forum Deutscher | |
| Katholiken, ein Meisner nahestehender Zusammenschluss „papst- und | |
| kirchentreuer Katholiken“, deutet den offenen Brief als „Kampagne um eine | |
| ’andere Kirche‘“. | |
| Weinert-Sprissler sieht das anders: „Wir sind keine Revoluzzer“, sagt er | |
| mit ruhiger Stimme. „Wir fordern nichts Radikales. Der Brief ist eine | |
| freundlich geäußerte Bitte.“ Tatsächlich gibt es weit lautere Rufer nach | |
| Veränderung. Bereits Ende November urteilten sechs prominente Katholiken in | |
| einer „Denkschrift“: „Kardinal Meisner neigte […] dazu, die Moderne | |
| insgesamt zu negieren.“ Folge sei „der Rückzug in ein Ghetto demonstrativer | |
| Orthodoxie“. | |
| ## Die Bibel ist Leitlinie | |
| Warum sollte da ausgerechnet eine „freundlich geäußerte Bitte“ zum Problem | |
| für die Kirchenoberen werden? Das wird klar, als es an der Tür klingelt. An | |
| den Esstisch treten die beiden Mitinitiatoren der Initiative: Georg | |
| Mollberg, 66 Jahre, weißes Haar. Mollberg hat drei erwachsene Söhne und ist | |
| Diakon im rheinland-pfälzischen Unkel. Und Michael Werner, 47, rheinischer | |
| Akzent. Werner ist Vater zweier Töchter und Diakon im nahen Rösrath. Auch | |
| sie zählen zum mittleren Management der Kirche: Männer, die ihre Gemeinden | |
| gut kennen, aber anders als Priester ebenso das Familienleben. | |
| Gerade weil sie keine „Revoluzzer“ sind, können Traditionalisten sie nicht | |
| so leicht als Feinde des Glaubens abtun. Früher oder später, so die | |
| Hoffnung der drei, müsse das Domkapitel mit ihnen reden. Einen Vertreter | |
| haben sie gar zu einer Diskussion am 23. Januar eingeladen. Titel der | |
| Veranstaltung: „Lasst uns den Bischof wählen!“ Bislang schweigt die | |
| Bistumsleitung. | |
| Denn jedes Wort, das in Köln in Sachen Bischofswahl fällt, wird bundesweit | |
| gehört. In diesem Jahr werden auch die Posten in Freiburg und Hamburg neu | |
| besetzt. Die Bischofssitze in Erfurt und Passau sind schon länger vakant. | |
| In Limburg wackelt der Stuhl von Franz-Peter Tebartz-van Eltz. Köln ist | |
| überall. | |
| ## Mehr Zugewandtheit | |
| Haben die Initiativler konkrete inhaltliche Forderungen, einen Favoriten | |
| fürs Bischofsamt? Die drei Männer schauen einander an. Heikle Frage. Dann | |
| sagt Werner: „Viele wollen einfach einen Bischof, der den Menschen | |
| zugewandt ist, der offen ist.“ Mollberg ergänzt: „Die Gemeindemitglieder | |
| wollen vor allem fühlen, dass sie mit ihren Fähigkeiten angenommen werden.“ | |
| Wie soll die Gemeinde den Bischof bestimmen? Durch Repräsentanten? Oder | |
| soll jeder Gläubige eine Stimme in geheimer Wahl erhalten? Die Vorstellung | |
| findet Werner zu radikal: „Demokratie und Kirche schließen einander in | |
| gewisser Weise aus. Unser Grundgesetz ist die Bibel – und die Tradition.“ | |
| Noch ist nicht klar, ob sich die Verbindlichkeit der drei, ihr „Wir wollen | |
| doch nur reden“, als ihre größte Stärke erweisen wird. Oder als ihre fatale | |
| Schwäche. | |
| Was auch immer die nächste Zeit bringen wird: Die drei von der | |
| Kircheninitiative werden keine Revoluzzer werden, sondern treue Katholiken | |
| bleiben. Jeden Bischof, der auf Joachim Meisner folgt, werden sie | |
| hinnehmen. Sie werden nicht laut protestieren. | |
| Am Morgen im Dom hat Meisner lange über die Bedeutung der Heiligen Drei | |
| Könige gesprochen. Über den allerorten verschütteten Glauben, über Krisen | |
| und Bewährungen. Die Worte hallten durchs Kirchenschiff, es war einer | |
| seiner letzten großen Auftritte im Amt. Die Predigt schloss er mit den | |
| Worten: „Ich wünsche mir und euch allen, dass wir ein wenig friedlicher aus | |
| dem Umbruch herausgehen, als wir hereingekommen sind.“ | |
| 17 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Matthias Lohre | |
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