# taz.de -- Kardinal Joachim Meisner: Ein Lieblingsfeind tritt ab | |
> Halleluja! Nach einem Vierteljahrhundert im Amt feiert Kölns Erzbischof | |
> Kardinal Meisner am Sonntag endlich seinen Abschied. | |
Bild: Mag Papst Johannes Paul II. und NS-Vergleiche: Adieu, oh holder Kirchenf�… | |
Mit einem schwer weihrauchgeschwängerten Pontifikalamt im Hohen Dom zu Köln | |
verabschiedet sich Joachim Meisner an diesem Sonntag von seinen Schäfchen. | |
Mit der Annahme seines Rücktrittsgesuchs durch den Papst seit Ende | |
vergangener Woche nur noch Alt-Erzbischof, wird es sein letzter großer | |
Auftritt sein. Prominenz aus Politik und Kirche hat sich angekündigt, der | |
Domchor wird singen und das bistumseigene Domradio ist ebenso live dabei | |
wie der öffentlich-rechtliche WDR. Dann ist es endlich vorbei. | |
Die Alternativkarnevalisten der Kölner Stunksitzung brachten Meisner | |
bereits am Veilchendienstag ein letztes Ständchen: „Wenn man die Zeit | |
zusammenfasst, hat Köln ihn größtenteils gehasst“, sangen sie mit Inbrunst | |
über den 80-jährigen Kardinal, der ein Vierteljahrhundert lang die | |
katholischen Geschicke in der Domstadt bestimmt hat. „Jetzt ist er fott, es | |
ist so weit, es siegt doch die Gerechtigkeit.“ Ganz Köln würde „zum Dank | |
jetzt Halleluja“ singen. Das war allerdings etwas geflunkert. Zumindest die | |
Kabarettisten dürften ihm noch lange nachtrauern. | |
Mit Meisner tritt ein Kirchenfürst in den Ruhestand, der für die | |
Satirebranche ein Glücksfall war. Allen anderen vernunftbegabten Menschen | |
war der intellektuell unterkomplexe „Widerstandskämpfer Gottes“ (Meisner | |
über Meisner) hingegen eine stete Zumutung. „Sein Zitatausstoß ist | |
verhaltensauffällig innerhalb des Episkopats“, formuliert es Christiane | |
Florin, die Redaktionsleiterin der evangelischen Zeit-Beilage Christ und | |
Welt, vornehm. Mit seinen geradezu chronischen verbalen Entgleisungen | |
sorgte der „Unstern von Köln“ (Süddeutsche Zeitung) zielsicher für | |
Empörungsstürme. Er sei ein „notorischer geistiger Brandstifter“, urteilte | |
vor ein paar Jahren der Zentralrat der Juden. | |
Der Grund: Wenn es gegen das aus seiner Sicht Böse in der Welt ging, war | |
ihm kaum ein NS-Vergleich zu unpassend. So verkündete er, mit dem | |
Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1995 „entartet die Kultur“. | |
Schon die Nationalsozialisten hätten Kreuze aus Schulen verbannt: „Als sie | |
ihr schauriges kreuzloses Werk begannen, stürzten sie die ganze Welt ins | |
Unglück.“ | |
Auch die Ideen des britischen Biologen Richard Dawkins, den „Vorreiter der | |
neuen Gottlosen“, stellte er in einen Zusammenhang mit denen des | |
Nationalsozialismus. Die Abtreibungspille RU 486 verglich er mit dem zum | |
millionenfachen Judenmord benutzten Gas Zyklon B. Es sei „eine unsägliche | |
Tragödie, wenn sich am Ende dieses Jahrhunderts die chemische Industrie ein | |
zweites Mal anschicken würde, in Deutschland ein chemisches Tötungsmittel | |
für eine bestimmte gesetzlich abgegrenzte Menschengruppe zur Verfügung zu | |
stellen“. | |
## Homosexualität ausschwitzen | |
Wenn es um das Thema Abtreibung ging, kannte Meisner keinerlei Scham- und | |
Geschmacksgrenzen. Berüchtigt ist seine Dreikönigtags-Predigt 2005: „Wo der | |
Mensch sich nicht relativieren und eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich | |
immer am Leben: zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen | |
lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen | |
vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder | |
millionenfach umgebracht.“ | |
In einer anderen Predigt hatte er kurz zuvor Abtreibung gar als einen | |
„Tatbestand“ tituliert, „der wohl alle bisherigen Verbrechen der Menschhe… | |
in den Schatten stellt“ – also auch die Verbrechen des Nationalsozialismus. | |
2011 bezeichnete er Abtreibung in einem Gastbeitrag für Christ und Welt als | |
einen „täglichen, beschwiegenen Super-GAU“. Wer um die Zukunft des Landes | |
besorgt sei, „sollte sich mehr um dieses Thema kümmern als um die | |
sogenannte Energiewende“. | |
Der beruflich verordnete Single sehnt sich nach einer Zeit zurück, als sich | |
seines Glaubens nach der Mensch noch „sehr präzise“ als Abbild des von | |
Meisner angebeteten Gottes verstanden haben soll, „nämlich als Frau, die | |
auf den Mann hin geordnet ist, und als Mann, der auf die Frau hin geordnet | |
ist, sodass sie sich in der Ehe zusammentaten“. Deswegen warnte er auch mit | |
Vorliebe vor der „sexueller Verwilderung“ der Jugend. Homosexualität sei | |
etwas, befand er einmal ganz unbefangen, was man „ausschwitzen“ müsse. | |
Zuletzt sorgte Meisner für Aufregung, als er die Familien des | |
„Neokatechumenalen Weges“ – eine sektenähnliche Gemeinschaft in der | |
katholischen Kirche – für ihren Kinderreichtum lobte: „Eine Familie von | |
euch ersetzt mir drei muslimische Familien.“ Später entschuldigte er sich | |
dafür auf die von ihm gewohnte Weise: Seine Wortwahl sei „in diesem Fall | |
vielleicht unglücklich“ gewesen. | |
Vielleicht war es tatsächlich mal wieder nur eine unabsichtlich unglücklich | |
gewählte Formulierung. Es ist beinahe unmöglich zu sagen, ob die jeweiligen | |
Äußerungen Meisners nun gezielte Provokation oder seiner geradezu trotzigen | |
kindlichen Frömmigkeit geschuldet waren. | |
## Bemerkenswert schlichtes Weltbild | |
Im heute polnischen Wroclaw 1933 in eine streng katholische Familie | |
hineingeboren, wuchs Meisner im thüringischen Körner auf. Nach einer | |
Banklehre trat er mit 17 Jahren in das Spätberufenenseminar Norbertuswerk | |
bei Magdeburg ein und holte hier sein Abitur nach. Nach einem Studium der | |
Philosophie und Theologie wurde Meisner Ende 1962 in Erfurt zum Priester | |
geweiht. 1975 folgte die Ernennung zum Titularbischof von Vina und | |
Weihbischof in Erfurt-Meiningen. Schließlich stieg er als Protegé von Karol | |
Wojtyla, dem damaligen Papst Johannes Paul II., im Frühjahr 1980 zum | |
Bischof von Berlin auf. Den Kardinalspurpur erhielt er 1983. | |
Meisners bemerkenswert schlichtes Weltbild resultiert aus seiner | |
Diaspora-Erfahrung in der kirchenfeindlichen, mehrheitlich protestantisch | |
geprägten DDR: Hier die Heilsgemeinschaft, da der Rest der Welt – das | |
bestimmt bis heute sein Denken und Handeln. Zwischentöne sind ihm fremd. Er | |
glaubt fest daran, der Mensch habe „eigentlich nur eine Alternative: | |
entweder Bruder in Christus zu sein oder Genosse im Antichrist“. Beim | |
Smalltalk im Anschluss an den Kölner Soldatengottesdienst 2007 bedankte | |
sich Meisner bei dem Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung: „Wenn | |
wir nicht die Bundeswehr gehabt hätten, hätten am Rhein die roten Fahnen | |
gehangen. Das wäre nicht aufzuhalten gewesen.“ Er meinte das ernst. | |
Nicht nur der Antikommunismus und seine unendliche Abneigung gegen jegliche | |
modernistische Tendenzen in der katholischen Kirche verband Meisner mit | |
Karol Wojtyla, der ihn 1989 gegen den erbitterten Widerstand des | |
Domkapitels auf den Kölner Bischofsstuhl hievte und der für ihn so etwas | |
wie eine Vaterfigur war. Meisner ließ sich sogar ein Medaillon anfertigen, | |
das den 2005 verstorbenen polnischen Gottesmann mit Heiligenschein zeigt. | |
Wojtyla wusste, dass er sich auf Meisner verlassen konnte. Immerhin verfügt | |
das Kölner Erzbistum über das höchste Pro-Kopf-Aufkommen an Kirchensteuer | |
in der Bundesrepublik, konkurriert mit Chicago um den Rang als reichste | |
Diözese der Welt und steckt dabei mit einem jährlichen Haushaltsvolumen von | |
rund 986 Millionen Euro den Vatikan locker in die Tasche. Äußerst | |
machtbewusst ging Meisner ohne Skrupel gegen vermeintliche Abweichler vor, | |
die nicht seiner reinen Lehre folgen wollten. Widerworte waren ihm zuwider. | |
Obskure rechte Strömungen in der Kirche fanden hingegen stets sein offenes | |
Ohr. | |
## Unfreiwillige Humorbegabung | |
Zumindest kann ihm jedoch eine gewisse Humorbegabung nicht abgesprochen | |
werden. Als Meisner 1989 sein Amt antrat, versprach er, sein Kirchenvolk | |
„in den Himmel zu führen“. Daraus wurde nichts. Anlässlich seiner | |
Emeritierung sagte Meisner vergangenen Freitag dem Domradio, er habe | |
gedacht, er „würde eine große Rückkehr der aus der Kirche Ausgetretenen | |
auslösen; da bin ich mitten auf dem Weg geblieben“. So kann man das auch | |
sehen. | |
Tatsächlich ist Meisners Bilanz aus Kirchensicht fatal. Ihren sichtbaren | |
Ausdruck findet die Entfremdung in der Beteiligung an religiösen | |
Veranstaltungen. Nahmen 1980 noch 21,3 Prozent der Mitglieder das | |
Gottesdienstangebot wahr, sind es inzwischen nur noch 9,9 Prozent. Das | |
Kölner Erzbistum ist mit knapp 2,1 Millionen Katholiken zwar immer noch die | |
mitgliederstärkste Diözese Deutschlands. Aber 15.592 Taufen, Eintritten und | |
Wiederaufnahmen standen im Jahr 2012 30.746 Austritte und Bestattungen | |
gegenüber. In der einst erzkatholischen Domstadt liegt der katholische | |
Bevölkerungsanteil mittlerweile nur noch bei 40 Prozent. | |
Unfreiwillig hat Meisner einen ausgesprochen wertvollen Beitrag zur | |
Säkularisierung der Domstadt geleistet. Das bleibt sein Verdienst. | |
9 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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