# taz.de -- Eurokolumne: Rein oder raus? | |
> Europa bekommt seit fünf Jahren die Folgen der Finanzkrise nicht in den | |
> Griff. Die Diskussionen darüber sind allesamt vergiftet. | |
Bild: Doch lieber ohne? | |
Eigentlich ist es ja ungerecht, Markus Lanz für seine hochnotpeinliche | |
Befragung der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zu kritisieren. | |
Letztlich hat der kleine Markus doch nur nachgemacht, was er in den großen | |
Zeitungen und von der großen Politik aufgeschnappt hat: Kritiker der | |
europäischen Politik werden als Antieuropäer gebrandmarkt, und wer es wagt, | |
an der herrschenden Eurorettungspolitik zu zweifeln, will raus aus dem | |
Euro. Vom vergifteten Diskussionsklima mit seinen Denkverboten profitieren | |
am Ende jedoch nur die Rechtspopulisten. | |
Kann man ernsthaft für ein Europa sein, das seit fünf Jahren nicht die | |
Folgen der Finanzkrise in den Griff bekommt? Für ein Europa, das die Jugend | |
in einigen seiner Länder in der Massenarbeitslosigkeit verharren lässt? Ist | |
ein Europa, in dem nicht die Menschen, sondern die Konzerne die Politik | |
bestimmen, wirklich wünschenswert? | |
Wer all diese Fragen für populistisch oder gar ketzerisch hält, ist damit | |
nicht nur ausreichend qualifiziert, um beim ZDF einen Boulevardtalk zu | |
übernehmen, sondern auch nach herrschender Vorstellung ein guter Europäer. | |
Gute Europäer stellen keine Fragen, vor allem keine kritischen. Im | |
Umkehrschluss dürfen sich die Fragenden das Label „Europagegner“ auf die | |
Stirn kleben. | |
Noch vergifteter ist das Diskussionsklima nur beim Thema | |
Gemeinschaftswährung. Zwar konnte die Europäische Zentralbank den | |
Flächenbrand einstweilen eindämmen, dennoch wird nicht einmal ein | |
Jungunionist mit der rosarotesten aller rosaroten Brillen bezweifeln, dass | |
die grundlegenden Probleme nur aufgeschoben wurden. Ohne die künstliche | |
Finanzmarktbeatmung der EZB würden die Zinsen für europäische | |
Staatsanleihen wieder zu alten Höchstwerten zurückkehren – nur dass die | |
Gesamtverschuldung heute noch höher als zu Beginn der Eurokrise ist. | |
## Rechtspopulisten profitieren | |
Und von den Handelsungleichgewichten, die zu den realwirtschaftlichen | |
Auslösern der Eurokrise zählen, will ich hier gar nicht reden. Soll man | |
davor die Augen schließen und das Denken durch den Glauben ersetzen? Dann | |
wäre der Euro ein Glaubensbekenntnis: Ich glaube an die jungfräuliche | |
Geburt, die heilige Dreifaltigkeit und die grundsolide | |
Gemeinschaftswährung. Wer daran Zweifel hegt, ist ein Ketzer und gehört auf | |
den Scheiterhaufen. Rein oder raus? Ich frage sie noch mal: Rein oder raus? | |
Einer der größten Fehler der Eliten war es stets, den gesunden | |
Menschenverstand des Volkes zu unterschätzen. Der deutsche Minirentner ahnt | |
genauso wie der arbeitslose spanische Jungakademiker, dass etwas faul im | |
Staate Europa ist. Ein Europa, das den Menschen keine Hoffnung mehr geben | |
kann, taugt nicht als ideologischer Kitt – schon gar nicht, wenn es auf ein | |
bloßes Glaubensbekenntnis reduziert wird. | |
Wenn jeder Kritiker, Zweifler und Ketzer nun in die rechte Ecke geschoben | |
wird, so kann dies dreierlei Reaktionen auslösen: Der kritische Geist kann | |
diese Drohung ernst nehmen und ins Lager der Gläubigen zurückkehren, da er | |
nicht im ewigen Fegefeuer des Rechtspopulismus schmoren will. Er kann die | |
Drohung aber auch an sich abperlen lassen und weiterhin Kritik üben, ohne | |
sich in irgendeine Schublade stecken zu lassen. Die Drohung könnte jedoch | |
auch zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden – wenn meine | |
Gedanken rechtspopulistisch sind, dann muss ich wohl auch eine | |
rechtspopulistische Partei wählen, da diese ja ganz offensichtlich meine | |
Interessen vertritt. | |
So ist zu vermuten, dass die Rechtspopulisten die eigentlichen Profiteure | |
der nie ernsthaft geführten Debatten sind. Dann soll sich aber auch bitte | |
niemand wundern, wenn diese Parteien bei den anstehenden Europawahlen die | |
Gewinner sein werden. Wer kritisches Denken unterbinden will, stärkt damit | |
meist diejenigen, die ohnehin ein gestörtes Verhältnis zum Nachdenken | |
haben. Und dann könnte die Frage „rein oder raus?“ eine ganz neue Qualität | |
bekommen. Wollen wir das wirklich? | |
21 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Berger | |
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