# taz.de -- Ukrainischer Bürgerrechtler in Lwiw: „Kiew hat keinen Einfluss m… | |
> Alik Olisewitsch lebt in der Westukraine. Der Oppositionelle über den | |
> Alltag in Lwiw, rechte Kräfte, einbehaltene Steuern und warum der Staat | |
> nicht geteilt werden sollte. | |
Bild: Staatliche Strukturen funktionieren nicht mehr – Barrikaden in Lviv. | |
Herr Olisewitsch, Sie leben in Lwiw, wie ist die Lage in der Stadt? | |
Alik Olisewitsch: Es ist ruhig und die Geschäfte sind offen. Aber die | |
Polizei ist komplett abgetaucht. Selbst die Notrufnummer funktioniert nicht | |
mehr. | |
Und wer kontrolliert jetzt die öffentliche Ordnung? | |
In Lwiw gibt es sechs Stadtbezirke und in jedem Bezirk ein | |
Verwaltungsgebäude. Diese Gebäude sind inzwischen alle von Oppositionellen | |
besetzt und dort haben sich die Bürgerwehren gebildet. Sie patrouillieren | |
mit Autos, mit Fahrrädern und zu Fuß. Sie sollen verhindern, dass Marodeure | |
die Straßen unsicher machen. | |
Sind sie bewaffnet? | |
Sie haben Knüppel, Reizgas, vielleicht auch Handschellen, aber keine | |
Feuerwaffen. | |
Gibt es Marodeure? | |
Es gibt die sogenannten Tituschki, vom Regime gedungene junge Leute, die | |
äußerst gewaltbereit sind. Solche Tituschki wurden aus der Ostukraine nach | |
Lwiw geschickt. Es sind eigentlich Studenten der Universität des | |
Innenministeriums aus Charkiw. Ihr Auftrag ist, die Lage in der Stadt zu | |
destabilisieren. | |
Ist es dazu gekommen? | |
Am Dienstag zogen hunderte Jugendliche vor einen Supermarkt, dessen | |
Besitzer der Janukowitsch-Partei angehört. Sie wollten ihn anzünden. Da | |
haben sich Leute von der Bürgerwehr dazwischengestellt. Die Anstifter | |
dieser jungen Leute haben bestes Russisch gesprochen. Die waren nicht von | |
hier. Das waren Provokateure. Sie sollten einen Anlass zum Eingreifen | |
liefern. | |
Funktionieren die staatlichen Strukturen überhaupt noch? | |
Da funktioniert gar nichts mehr. Die Stadtbezirksverwaltungen sind alle | |
besetzt. Die Gebietsverwaltung ist besetzt, die Staatsanwaltschaft ist | |
verwüstet, die Vertretung des Innenministeriums auch. In der | |
Hauptverwaltung der Polizei hat es gebrannt und der Gouverneur, ein von | |
Janukowitsch eingesetzter Mann ist abgetaucht. Kiew hat keinen Einfluss | |
mehr auf die Westukraine. | |
Ist etwas an die Stelle der alten Strukturen getreten? | |
Zum einen funktioniert noch die Stadtverwaltung. Der Bürgermeister ist ein | |
guter Mann. Und seit etwa drei Wochen gibt es die Narodnaja Rada, die | |
Volksversammlung. Das ist ein Gremium, in dem Vertreter von Parteien, | |
Organisationen und Gruppierungen entsandt wurden. | |
Wie arbeitet die Versammlung? | |
Das ist eine Art runder Tisch, der berät und Entscheidungen trifft, und das | |
alles transparent macht. Die Volksversammlung kooperiert auch mit dem | |
Parlament der Gebietsverwaltung, das es auch noch gibt und das akzeptiert | |
ist, denn deren Vertreter sind frei gewählt. | |
Haben sie schon Beschlüsse gefasst? | |
Sie haben beschlossen, dass keine Steuern mehr nach Kiew fließen. Die | |
Steuern, die im Gebiet Lwiw aufgebracht werden, hier leben etwa 3 Millionen | |
Menschen, bleiben hier im Gebiet. | |
Wie verhalten sich die rechten Kräfte, die es in der Stadt gibt? | |
Beim Sturm auf die Gebietsverwaltung hat sich die Partei Swoboda | |
hervorgetan. Einfache, normale Leute, keine Rechten, haben das Gebäude | |
gestürmt. Angeführt wurden sie aber von Radikalen von Swoboda. Und daneben | |
gab es noch autonome rechte Gruppen, Jugendliche, Studenten, die | |
regelrechte Sturmgruppen bilden. Ich würde sie als unorthodoxe Rechte | |
bezeichnen, während die Leute von „Swoboda“ eher orthodoxe Rechte sind. | |
Sie kooperieren untereinander? | |
Nein, sie streiten sich. Als die Gebietsverwaltung dann erstürmt war, | |
besetzte Swoboda drei Etagen, und die jungen Rechten eine weitere. Und dann | |
haben sie handfesten Streit gehabt. Und die einfachen Leute, die das | |
mitbekommen haben, sagten: was seid ihr denn für Patrioten? | |
Beobachten Sie eine Radikalisierung? | |
Von Lwiw sind seit Ende November ganz viele Unterstützer zum Maidan | |
gefahren. Manche waren nur einige Tage dort, andere länger – je nachdem, | |
wie viel Zeit sie hatten. Und sie kamen alle begeistert zurück und haben | |
von der Stimmung und dem Menschen geschwärmt. Das ist vorbei. Wer jetzt | |
fährt, nimmt Waffen mit. | |
Und in Lwiw? | |
Anfang der Woche sind 130 Polizisten der Berkut-Sondereinheiten von hier | |
nach Kiew ausgerückt. Am Mittwochabend gab es auf die Kaserne einen | |
Sprengstoffanschlag, bei dem zwei Polizisten starben. Waren es | |
Provokateure? Waren es Oppositionelle? Keiner weiß es. | |
Jetzt wird bereits von der Teilung der Ukraine geredet. Wäre das eine | |
Lösung? | |
Das ist eine riesige Gefahr. Die Ukraine muss ein einiger Staat bleiben. | |
Eine Aufteilung der Ukraine wollen nur radikale Nationalisten, dazu kommen | |
Politiker und Abgeordnete aus den Gebieten Charkiv, Donezk, Luhansk im | |
Osten des Landes und Separatisten von der Krim. | |
Die Gewalt spielt ihnen in die Hände? | |
Natürlich, denen kommt das zupass, nach dem Motto: Wenn ihr das im Kiew | |
nicht in den Griff bekommt, dann machen wir unser eigenen Staat und Charkow | |
wird wieder die ukrainische Hauptstadt, wie sie es in den zwanziger Jahren | |
war. Diese Funktionäre wollen einfach nicht, dass es im Osten so liberal | |
zugeht wie in Lwiw. Sie wollen das so wie in Russland haben und verstehen | |
nicht, dass die Menschen darauf keine Lust haben. Wir wollen nicht in einem | |
großen Gulag leben. | |
Was halten Sie von der berichteten Einigung, die in Kiew erzielt worden | |
sein soll? | |
Das alles ist im Prinzip nicht schlecht. Aber lassen sich die | |
unterschiedlichen Gruppen auf dem Maidan, insbesondere die Rechten, darauf | |
ein? Es steht 50 zu 50. | |
21 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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