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# taz.de -- Krise in der Ukraine: „Der Maidan kontrolliert ganz Kiew“
> Janukowitsch soll Kiew verlassen haben. Dort haben Regierungsgegner die
> Macht ergriffen. Auch die Polizei ist jetzt offiziell auf Seite der
> Opposition gewechselt.
Bild: Regierungsgegner bewachen am Samstag den Eingang zum ukrainischen Parlame…
KIEW afp/dpa | Auch nach der Unterzeichnung des Abkommens zur Überwindung
der Krise in der Ukraine ist die Lage angespannt geblieben. Bis zu 10.000
Demonstranten harrten über Nacht bis zum Samstagmorgen auf dem
Unabhängigkeitsplatz im Zentrum Kiews aus. Die Demonstranten forderten den
sofortigen Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch.
Eine Gruppe Ultranationalisten hatte dem Staatschef am Freitagabend ein
Ultimatum bis Samstagmittag gesetzt. Sollte er bis dahin die Macht nicht
abgeben, werde sein Amtssitz gestürmt.
Gegner des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch haben nach eigenen
Angaben die Macht in der Hauptstadt Kiew ergriffen.
Selbstverteidigungskräfte hätten die Kontrolle über das Parlament, den
Regierungssitz und die Präsidialkanzlei übernommen, sagte Andrej Parubij,
der Kommandant des Protestlagers, am Samstagmorgen auf dem
Unabhängigkeitsplatz (Maidan).
„Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Präsidenten“, sagte Parubij.
Falls Janukowitsch offiziell zurücktreten sollte, übernähme laut Verfassung
der Regierungschef die Führung des Landes. Dieses Amt hat derzeit
kommissarisch Sergej Arbusow inne, der als Vertrauter Janukowitschs gilt.
## Parlamentschef zurückgetreten
„Jetzt kontrolliert der Maidan ganz Kiew“, behauptete Parubij, der
Abgeordneter der Vaterlandspartei der inhaftierten Ex-Regierungschefin
Julia Timoschenko ist. Die sogenannten Selbstverteidigungskräfte fuhren in
Lastwagen durch das Regierungsviertel. „Wir haben den Polizisten gesagt,
dass sie zum Maidan überlaufen können, und wir sind zu gemeinsamen
Patrouillen bereit“, sagte Parubij. Die Sicherheitskräfte hatten das
Stadtzentrum am Vorabend verlassen.
Nach unbestätigten Berichten verließ Janukowitsch über Nacht die
Hauptstadt. Er sei ins östliche Charkiw gereist, sagte ein ranghoher
US-Diplomat.
In der Region, einer Hochburg des Staatschefs, finde ein politisches
„Treffen“ statt. Der Diplomat bezeichnete es aber als „nicht ungewöhnlic…
nach einer wichtigen politischen Entscheidung den Osten zu besuchen, wo
Janukowitsch seine „Basis“ habe. Andere Gerüchte besagten, Janukowitsch sei
auf dem Weg nach Sotschi zu einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir
Putin. Das ukrainische Präsidialamt machte am Samstag zunächst keine
Angaben über den Aufenthaltsort Janukowitschs.
Unterdessen ist der ukrainische Parlamentschef Wladimir Rybak
zurückgetreten. Das gab sein Stellvertreter Ruslan Koschulinski am Samstag
in der Obersten Rada in Kiew bekannt.
Rybak, ein Vertrauter von Präsident gab gesundheitliche Gründe für den
Schritt an. Medienberichten zufolge soll er sich am Vorabend gemeinsam mit
Janukowitsch ins ostukrainische Charkow abgesetzt haben.
Die Oberste Rada hat am Samstagvormittag einen Vertrauten der inhaftierten
Oppositionsführerin Julia Timoschenko zum neuen Chef gewählt. Die
Abgeordneten stimmten mit großer Mehrheit für den früheren
Vizeregierungschef Alexander Turtschinow. Mehrere Fernsehsender übertrugen
die Sitzung live. Der 49-Jährige hatte einst gemeinsam mit Timoschenko die
Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) gegründet. Die Wahl des neuen
Parlamentspräsidenten gilt als erster Schritt für die rasche Einsetzung
einer neuen Regierung.
Die ukrainischen Sicherheitsorgane des Innenministeriums haben sich in Kiew
offiziell auf die Seite der Opposition geschlagen. Das teilte die für die
Polizei im Land zuständige Behörde auf ihrer Internetseite am Samstag mit.
Das diene ausschließlich dem ukrainischen Volk und unterstütze vollständig
das Streben der Bürger nach schnellstmöglichen Änderungen, hieß es in der
Mitteilung.
„Die Miliz ruft die Bürger auf, mit gemeinsamen Anstrengungen die
Rechtsordnung im Staat zu wahren, keine Vernichtung der Infrastruktur der
Rechtsschutzorgane zuzulassen, die jahrelang aufgebaut wurde und immer vom
Volk benötigt wird für den Schutz vor rechtswidrigen Handlungen“, teilte
das Ministerium mit.
Der zuständige Minister war zuvor aus dem Land geflohen. „Der Übergang zur
parlamentarisch-präsidialen Regierungsform darf kein Chaos verursachen und
die Gesellschaft der Unordnung und Willkür ausliefern“, hieß es weiter in
der Mitteilung. „Vereinigen wir unsere Kräfte für die Schaffung eines
wahrlich unabhängigen demokratischen rechtlichen europäischen Staates!“
## Klitschko entschuldigt sich
Die unter Vermittlung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD)
und seiner Kollegen aus Polen und Frankreich zustande gekommene
Übergangsvereinbarung sieht eine vorgezogene Präsidentschaftswahl bis Ende
des Jahres vor. Nachdem die Regierung in den vergangenen Tagen mit
Scharfschützen und gepanzerten Wagen gegen Demonstranten vorgegangen war
und bis zu 100 Menschen getötet wurden, wollen viele Regierungsgegner
seinen Verbleib im Amt aber keinen Tag länger akzeptieren. „Wahlen im
Dezember reichen nicht", sagte etwa Oleg Bukojenko. „Er muss die Macht
abgeben.“ Der junge Priester Michael Dudar sagte, es sei klar, dass die
Leute blieben. "Der Feind lebt noch immer."
Vitali Klitschko, einer der Anführer der gemäßigten Opposition,
entschuldigte sich am späten Abend auf dem Maidan dafür, dass er
Janukowitsch nach der Unterzeichnung des Abkommens die Hand schüttelte.
„Wenn ich einen von euch beleidigt habe, tut mir das leid“, sagte er unter
Buhrufen der Regierungsgegner.
Der Gesandte von Russlands Präsident Wladimir Putin, Wladimir Lukin, hatte
das Interimsabkommen am Freitag nicht unterzeichnet, weil noch „einige
Fragen ungeklärt bleiben“. US-Präsident Barack Obama telefonierte wenig
später mit Putin. Dabei seien sie sich einig gewesen, dass den
Vereinbarungen nun schnell Taten folgen und dass alle Konfliktparteien von
weiterer Gewalt absehen müssten, sagte ein hoher US-Regierungsvertreter im
Anschluss.
## Putin erklärt sich
Der Kreml erklärte sich erst am Samstag zu dem Telefonat. Darin habe Putin
betont, dass Druck auf die „radikale Opposition“ gemacht werden müsse, denn
diese habe die Krise in der Ukraine auf eine gefährliche Spitze getrieben.
Das Übergangsabkommen sieht Präsidentschaftswahlen bis zum Jahresende, die
Einsetzung einer Übergangsregierung sowie eine Verfassungsreform vor, die
die Macht des Präsidenten dauerhaft beschneidet. Die Vereinbarung hatte
Hoffnung auf ein Ende der Gewalt der vergangenen Tage aufkeimen lassen.
Fast 70 Tote gab es den Behörden in Kiew zufolge seit Dienstag, Ärzte der
Opposition sprachen gar von fast hundert Todesopfern.
Die Ukraine steckt in ihrer schlimmsten Krise seit ihrer Unabhängigkeit von
der früheren Sowjetunion. Begonnen hatte sie mit Protesten gegen den
antieuropäischen Kurs von Janukowitsch, später waren diese in blutiger
Gewalt eskaliert.
22 Feb 2014
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