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# taz.de -- Umsturz in der Ukraine: Interimspräsident gewählt
> Der Parlamentspräsident und Timoschenko-Vertraute Alexander Turtschinow
> soll das Land bis zu den Wahlen im Mai führen. 64 Maidan-Demonstranten
> sind wieder frei.
Bild: Gruppenbild mit Anti-Regierungs-Demonstranten vor dem Parlament in Kiew: …
KIEW/SYDNEY dpa/afp | Der ukrainische Parlamentspräsident Alexander
Turtschinow ist am Sonntag zum Übergangspräsidenten des Landes gewählt
worden. Der Vertraute der freigekommenen Ex-Ministerpräsidentin Julia
Timoschenko war erst am Samstag an die Spitze des Parlaments gewählt
worden. Die Rada in Kiew hatte am selben Tag Präsident Viktor Janukowitsch
abgesetzt. Kurz nach der Wahl Turtschinows enthob das Parlament
Außenminister Leonid Koschara des Amtes, einen engen Vertrauten
Janukowitschs. Ein Nachfolger wurde zunächst nicht gewählt.
Nach dem Umbruch in der Ukraine hat das Parlament nun bis Dienstag Zeit zur
Bildung einer neuen Regierung. „Ich rufe die Abgeordneten auf, sofort den
Prozess zur Bildung einer neuen Parlamentsmehrheit und der Bildung einer
Regierung der nationalen Einheit zu beginnen“, sagte Turtschinow. Die neue
Regierung müsse bis Dienstag stehen. Als Termin für die Wahl eines neuen
Präsidenten war am Samstag der 25. Mai festgelegt worden. Timoschenko hatte
unmittelbar nach ihrer Freilassung aus der Haft angekündigt, dabei
anzutreten.
Der bisherige Regierungschef Nikolai Asarow war Ende Januar auf Druck der
Opposition zurückgetreten. Mittlerweile sind die Gegner des abgesetzten
Präsidenten Viktor Janukowitsch an der Macht.
Zudem sind 64 festgenommene Demonstranten wieder auf freien Fuß gekommen.
Drei weitere würden vermutlich nach Gerichtsentscheidungen an diesem Montag
entlassen, sagte der kommissarische Innenminister Arsen Awakow am Sonntag
im Parlament. Der Beauftragte für die Staatsanwaltschaft, Oleg Machnizki,
kündigte an, alle Teilnehmer der blutigen Proteste in Kiew zu
rehabilitieren und die Strafverfahren einzustellen. Es handele sich dabei
nicht bloß um einen einfachen Straferlass. Bei Straßenkämpfen zwischen
Sicherheitskräften und Regierungsgegnern waren allein in Kiew mindestens 82
Menschen getötet worden.
## „Ihr müsst die Arbeit beenden“
Nachdem Timoschenko ihre Freiheit zurückerlangt hatte, reiste sie
unverzüglich nach Kiew und begab sich zu den DemonstrantInnen auf den
Maidan. Dort forderte sie zur Fortsetzung ihrer Proteste auf.
„Verlasst den Maidan nicht, solange Ihr nicht erreicht habt, was Ihr
wolltet“, rief Timoschenko am Samstagabend auf dem Unabhängigkeitsplatz in
der ukrainischen Hauptstadt rund 50.000 Menschen zu. Die Politikerin hat
starke Rückenbeschwerden, sie wurde im Rollstuhl auf den Platz geschoben.
Wie so oft trug sie ihre markante blonde Flechtfrisur und gab sich
kämpferisch.
„Wenn euch jemand sagt, dass es zu Ende ist und Ihr nach Hause gehen könnt,
glaubt ihm kein Wort“, rief Timoschenko. „Ihr müsst die Arbeit beenden.“
Weinend sagte sie an die Demonstranten gerichtet: „Ihr seid Helden, Ihr
seid die Besten der Ukraine!“
Timoschenkos Freilassung wurde von den USA, der EU und Frankreich sowie in
Berlin begrüßt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte,
Timoschenko trage „große Verantwortung für die Zukunft ihres Landes“. Die
frühere Regierungschefin war 2011 wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren
Haft verurteilt worden. Sie ist eine erklärte Rivalin von Viktor
Janukowitsch, gegen den sich die Massenproteste der vergangenen Monate
gerichtet hatten.
## Warnungen vor einer Spaltung des Landes
Das ukrainische Parlament hatte am Samstag dann auch Janukowitsch als
Präsident de facto entmachtet und für den 25. Mai vorgezogene
Präsidentschaftswahlen angesetzt. An dem Tag findet auch die Europawahl
statt. Das Parlament erklärte zur Begründung, Janukowitsch komme seinen
Verpflichtungen nicht mehr nach.
Janukowitsch selbst hielt an der Macht fest: „Ich werde das Land nicht
verlassen, ich habe nicht vor zurückzutreten", sagte er in einer
Fernsehansprache und beklagte einen "Staatsstreich“. Vom Parlament
verabschiedete Gesetze nannte er „rechtswidrig“. Der neu gewählte
Parlamentspräsident Alexander Turtschinow, ein Vertrauter Timoschenkos,
teilte später mit, Janukowitsch habe ein Flugzeug nach Russland nehmen
wollen, sei aber vom Grenzschutz daran gehindert worden. Er halte sich in
der östlichen Region Donezk „versteckt“.
Von mehreren Seiten gab es indes Warnungen vor einer Spaltung des Landes,
das im Osten russlandfreundlich eingestellt ist und sich im Westen stärker
der EU zuwendet. Steinmeier erklärte, „Richtschnur aller politischen
Entscheidungen“ müsse der „Erhalt der territorialen Integrität und der
nationalen Einheit der Ukraine“ sein. Das Land brauche jetzt so schnell wie
möglich eine "handlungsfähige Übergangsregierung", welche die öffentliche
Ordnung gewährleisten könne.
Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton mahnte zur Verteidigung der
Einheit des Landes und rief alle Ukrainer auf, „den Rechtsstaat und die
Verfassung zu respektieren“. Ähnliche Worte wählte Frankreichs
Außenminister Laurent Fabius. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk
sah die territoriale Integrität des Landes gar in Gefahr. Es gebe Kräfte,
die diese in Frage stellen wollten, sagte er im Fernsehen, ohne näher
darauf einzugehen.
Russlands Außenministerium warf unterdessen der ukrainischen Opposition
vor, keine der Vorgaben aus dem am Freitag ausgehandelten Friedensabkommen
mit Janukowitsch erfüllt zu haben. Es war unter Vermittlung von
Deutschland, Frankreich und Polen zustande gekommen.
## Ukraine in akuter Finanznot
Derweil haben die USA und der Internationale Währungsfonds (IWF) der
Ukraine Hilfe zum Wiederaufbau der am Boden liegenden Wirtschaft in
Aussicht gestellt. In Zusammenarbeit mit anderen Ländern stehe Washington
bereit, „die Ukraine bei der Rückkehr zu Demokratie, Stabilität und
Wachstum zu unterstützen“, sagte US-Finanzminister Jacob Lew am Sonntag
beim G-20-Finanzministertreffen im australischen Sydney. IWF-Chefin
Christine Lagarde äußerte sich ähnlich.
Lew hatte in Sydney mit seinem russischen Kollegen Anton Siluanow über die
Folgen des Umbruchs in Kiew beraten. Dabei habe Lew gegenüber Siluanow „die
Notwendigkeit zu Stabilität und wirtschaftlichen Reformen“ in der Ukraine
hervorgehoben, sagte ein US-Regierungsbeamter. Beide Minister seien sich
einig, dass bei der finanziellen Unterstützung für Kiew auch der IWF
einbezogen werden könne. „Der IWF ist in der besten Position, Staaten wie
der Ukraine bei den wirtschaftlichen Herausforderungen zu helfen“, sagte
Lew vor Journalisten.
IWF-Chefin Lagarde sagte in Sydney, wenn es eine Anfrage aus Kiew gebe,
„stehen wir natürlich bereit“. Dabei könne es sowohl um politische
Beratung, finanzielle Unterstützung als auch Diskussionen über die
notwendigen Reformen gehen. „Wir werden bereit sein, uns zu engagieren.“
Nach den monatelangen Massenprotesten ist die Ukraine in akuter Finanznot.
Russland hatte Kiew zwar Notkredite von 15 Milliarden Dollar (knapp 11
Milliarden Euro) zugesagt. Doch nach einer ersten Auszahlung legte Moskau
die weiteren Tranchen angesichts der dramatischen Entwicklungen in der
Ukraine auf Eis. Die Ratingagentur Standard & Poor's hatte am Freitag
vorausgesagt, das Land werde in die Pleite stürzen, sollte Russland seine
Hilfe stoppen. Kiew muss in diesem Jahr noch 13 Milliarden Dollar an seine
Gläubiger zurückzahlen.
Deutschland sieht vor allem Brüssel in der Pflicht. Um der Ukraine bei der
Abwendung der Pleite zu helfen, sei „die EU am Zug“, sagte der
Osteuropabeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), der Welt am
Sonntag. Brüssel müsse sich dabei mit Moskau abstimmen, und auch der IWF
müsse eingeschaltet werden. Für das Land müsse rasch ein Paket geschnürt
werden, sagte Erler.
23 Feb 2014
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