# taz.de -- Debatte um das coole Berlin: Der große Wumms | |
> Der Coolnessfaktor sinkt: Der von Berlin im allgemeinen und der von | |
> Kreuzberg im Besonderen. Endlich! | |
Bild: Seifenblasen platzen auch im Görlitzer Park | |
Berlin ist nicht cool oder uncool, sondern hat einen Knall. Seit Wochen | |
wird in dieser Stadt über allerlei Knalliges geredet, unter anderem über | |
die Frage, ob Berlin den Standortfaktor Coolness verspielt habe. Wäre diese | |
Debatte nicht von Zeitschriften aus New York, sondern von Zeitungen aus | |
Neuruppin ausgegangen, es hätte wohl niemanden interessiert. | |
Von New York völlig unbeachtet, ist für die Berliner eine andere Debatte | |
mittlerweile viel wichtiger. Seit Monaten nämlich raubt den Bewohnern von | |
Wedding und Prenzlauer Berg ein lauter Wumms ihren Schlaf. Und immer noch | |
weiß keiner, wo er herkommt. Immerhin weiß man seit dieser Woche, wie er | |
aussieht. | |
Das für investigative Lokalrecherche vielfach unterschätzte Fachblatt B.Z. | |
hat das Geräusch mithilfe einer „Hightech-Kamera“ sichtbar gemacht. | |
Aufgrund dieser sensationellen Entdeckung schob die Boulevardzeitung ihre | |
Berichterstattung über einen anderen Knall, der diese Woche Furore machte, | |
auf die hinteren Seiten. Der Knall, der die Menschheit hervorbrachte, und | |
seine Schallwellen, die die Astronomen diese Woche gehört und sichtbar | |
gemacht hatten, kamen hier nur als leises Rauschen an. Warum sollte man | |
sich an der Spree für den Urknall des Universums auch mehr interessieren | |
als für den eigenen Knall? Knallköpfe hat diese Stadt schließlich genug. | |
## Muttis raus | |
Einer von ihnen sprühte kürzlich ein Graffito an eine Kreuzberger Wand – | |
auf dass die Debatte über Gentrifizierung und Coolnessfaktor neuen | |
Knallstoff erhalte: „Muttis raus“. | |
Noch bis vor Kurzem lautete der angesagteste Graffitischrei in diesem | |
besonderen Kiez „Touris raus“. Es würde einen kaum wundern, wenn demnächst | |
nicht nur wieder das alte „Dealer raus“, sondern auch „Ausländer raus“… | |
den Wänden auftauchen würde. Provo? Nein. Die Angst der Muttis und Vatis | |
vor den „Heroinspritzen im Sandkasten“ des Görlitzer Parks – in dem es im | |
Übrigen gar keinen Sandkasten gibt – ist nicht zu überhören, und ihre | |
Ursachenforschung konzentriert sich, ähnlich wie die der | |
Investigativspezialisten von der B.Z., auf die Flüchtlinge vom | |
Oranienplatz. | |
Sitzt man in einem der Cafés am Görli, kann man den Muttis und Vatis dabei | |
zuhören, wie sie mit anderen Muttis und Vatis darüber reden, wie dramatisch | |
sich der Zustand Kreuzbergs verschlechtere. Man habe ja nichts gegen die | |
Flüchtlinge, aber gegen Ratten und Drogen. Natürlich nur der Kinder wegen. | |
Ich habe nichts gegen Muttis und Vatis im Kiez, so wenig wie gegen | |
Flüchtlinge, Harald-Juhnke-Gedächtnissäufer, Drogendealer und andere | |
Knalltüten. Und wenn doch irgendwann mal, dann ziehe ich eben weg. | |
Kürzlich aber saß ich neben einer Mutti und einem Vati, die sich über all | |
das beschwerten und nach drastischen Lösungen suchten. Ich musste daran | |
denken, dass ich früher auf den Spruch „Nazis raus“ mit der Frage „Wohin | |
denn?“ reagierte. Jetzt hätte ich Mutti und Vati wenigstens einen Tipp | |
geben wollen. Neuruppin zum Beispiel. Das soll ja viel cooler sein. Weniger | |
Ratten, weniger Knallköpfe, wenig Wumms, aber „Happy“ sind die da auch. | |
24 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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