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# taz.de -- ARD zeigt Gentrifizierungsdoku: Alte Geschichte, neu erzählt
> „Wem gehört die Stadt?“ erzählt von den Turbulenzen auf Berlins
> Wohnungsmarkt. Die Autoren schaffen es, nicht in abgedroschene Rhetorik
> zu verfallen.
Bild: Mieter protestieren in Berlin-Tiergarten gegen Gentrifizierung. Archivbil…
Der Titel der Doku verheißt nichts Gutes: „Wem gehört die Stadt? Wenn das
Geld die Menschen verdrängt“ klingt nach jener Art von
Gentrifizierungskritik, bei der Kieztraditionen per se gut, Veränderungen
immer schlecht und gierige Spekulanten die Wurzel allen Übels sind. Aber so
einfach haben es sich Andreas Wilcke und Kristian Kähler in ihrem
90-Minüter glücklicherweise nicht gemacht. Sie versuchen, die Dynamik des
heiß laufenden Berliner Wohnungsmarktes zu erfassen und ohne vereinfachte
Schuldzuschreibungen oder Emotionalisierungen darzustellen.
Im Blickpunkt stehen unter anderem der Konflikt um die Bebauung des
Freudenberg-Areals in Friedrichshain sowie die energetische Sanierung eines
Hauses in Neukölln. Wilcke und Kähler waren bei einem privaten
Wohnungsverkauf dabei, der sich zu einem Casting entwickelte, bei dem die
Käufer immer höhere Summen boten. Und sie fuhren mit, als Kunden eines
Maklerbüros bei einer nächtlichen „Event-Tour“ mit einem Bus zu
hochpreisigen Objekten chauffiert wurden. Zu Wort kommen Makler, Käufer von
Neubauwohnungen, von Verdrängungsprozessen betroffene Mieter sowie
politische Aktivisten und immer wieder mal der Stadtforscher Andrej Holm.
Der abstrakte Begriff „Wohnungsmarkt“ wird durch diese kleinen Geschichten
ein bisschen greifbarer gemacht.
Man ahnt zwar, welchen Akteuren Wilcke und Kähler etwas näherstehen, das
ist allerdings bei den von ihnen dokumentierten Schweinereien, unter denen
manche finanzschwachen Mieter zu leiden haben, auch verständlich. Aber: Die
Autoren führen niemanden vor, verbreiten keine Ressentiments und lassen die
Zuschauer entscheiden, welche Schlussfolgerungen sie aus dem Gesehenen
ziehen.
## „Blickpunkt Deutschland“-Pitch gewonnen
Verwirrend ist, dass einige der miteinander verästelten Geschichten der
Doku als Langzeitreportage angelegt sind, andere dagegen nicht, es aber nie
Hinweise auf das Datum des gerade Gezeigten gibt. Als Zuschauer fragt man
sich deshalb des Öfteren, an welchem Punkt der Zeitachse sich ein Beitrag
gerade befindet. So wird von der bundesweit bekannt gewordenen
Zwangsräumung der Familie Gülbol aus Berlin-Kreuzberg erzählt, ein Fall vom
Februar 2013. Als Zuschauer wundert man sich, warum dieser in einer
aktuellen Produktion auftaucht, später kehrt die Doku allerdings zu
Familienvater Ali Gülbol zurück und befragt ihn einige Zeit nach der
Räumung. Außerdem taucht zwischendurch Franz Schulz (Bündnis 90/Die Grünen)
in seiner Funktion als Bezirksbürgermeister von Kreuzberg-Friedrichshain
auf – allerdings ist er schon seit Ende Juli 2013 nicht mehr im Amt.
Diese Kritik mag kleinkariert klingen, eine zeitliche Einordnung wäre aber
durchaus sinnvoll gewesen. „Wem gehört die Stadt?“ war eine von zwei
Doku-Ideen, die 2013 den „Blickpunkt Deutschland“-Pitch der ARD gewonnen
haben. Mehr als 60 Produzenten und Autoren reichten ihre Exposés ein, auf
einem Berlinale-Empfang wurden die beiden von einer Jury bestimmten Sieger
bekannt gegeben.
Die Veranstaltung war eine Reaktion auf die damals lauter werdende Kritik,
das Programm der ARD würde zulasten dokumentarischer Produktionen beständig
seichter werden. Es gab wortgewaltige Pressemitteilungen und Statements des
Programmdirektors Volker Herres, in denen dieser akribisch vorrechnete, wie
viele Stunden Doku-Material pro Jahr ARD-weit ausgestrahlt werden. Den
Pitch-Gewinnern wurde ein Primetime-Sendeplatz versprochen, und spätestens
jetzt weiß man, dass „Primetime“ bei der ARD ein recht dehnbarer Begriff
ist: Die Doku läuft um 22.45 Uhr.
19 Aug 2014
## AUTOREN
Sven Sakowitz
## TAGS
Gentrifizierung
Berlin
Wohnungsmarkt
ARD
Mietpreise
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Verdrängung
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