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# taz.de -- Kolumne Anderes Temperament: Technohöhle statt Höhensonne
> Der unschlagbare Vorteil des Dunklen: Nirgendwo sonst können sich müde
> Augen vor den Blicken der anderen so gut verstecken wie im Technotempel
> oder im Kinokeller.
Bild: Im Dunkeln lässt sich nicht nur gut Munkeln, sondern auch gut Tanzen
Diese kuriose Berliner Winterferienwoche wurde wahrscheinlich nur erfunden,
damit gewisse Leute einen Grund haben, in die Berge zu fahren. Da gewisse
andere Leute – mit ohne Kinder – in dieser Woche keinen Urlaub machen
dürfen, müssen sie das eine Woche vorher oder nachher tun und fahren statt
in die Berge ins Berghain oder zur Berlinale. Höhlen statt Höhensonne. Der
unschlagbare Vorteil des Dunklen ist in dieser Jahreszeit nicht zu
vernachlässigen, denn wo könnten sich blasse Nasenflügel, müde Augen und
gerötete Stellen auf der fahlen Winterhaut vor den Blicken der anderen so
gut verstecken wie im Technotempel oder im Kinokeller?
Während der kältesten Woche dieses Jahres sorgt das Berghain allerdings
weniger für ein Abtauchen als für ein Auftauen. So warm umarmt von diesem
riesigen, finsteren Tempel konnte man sich fühlen, als im Rahmen des
Festivals „Club Transmediale“ der sein Schlagzeug streichelnde Tony Allen
lächelte, die heilige Mary Ocher sich selbst mit einer Lichterkette
erleuchtete und der ganz in Schwarz auflegende Actress die Tanzfläche aus
ideologischen Gründen erst leerspielte, um dann mit Harold Faltermeyers
„Axel F“ die verbliebenen Gläubigen zum Lachen zu bringen.
Dank dem Guardian und dem amerikanischen Rolling Stone wird nun wieder mal
über die Rolle des Berghain und der von ihm angelockten Touristen im
Gentrifizierungsprozess geraunt. Raunen tun hier wahrscheinlich wieder jene
Leute, die die Berliner Winterwoche in den Bergen verbringen.
Gewisse andere Leute indes laufen durch diese und andere Städte mit einem
Stoffbeutel, auf dem steht: „Home is where Berghain is“. Für Berliner mit
Kohleofen war dieser Slogan in dieser Woche goldrichtig: Das Berghain
schenkte einem das Strahlen, das die Eiseskälte draußen geklaut hatte,
wieder ins Gesicht zurück.
Der Slogan ist aber auch einfach die schönste politische Parole für offene
Grenzen und eine kulturelle Entwicklung dieser Stadt, die es ohne die so
viel gescholtenen Touristen nie gegeben hätte. Und, wie ich an dieser
Stelle schon mal sagte: So gut wie jeder von uns hat mal als Tourist in
Berlin angefangen.
Was wären der Club Transmediale, die Berlinale und die Kieze ohne all diese
Touristen – uns, die Hiergebliebenen, eingeschlossen –, die statt
berlinernd zu grummeln, lachend, trinkend und gutaussehend Bars, Clubs,
Ausstellungen, Wohnungen und Debatten bereichern?
Ja, die Berliner Ballermannisierung im Sommer ist nicht angenehm. Aber jene
Leute, die sich vom Berghain und den Hostels gestört fühlen, sitzen auch im
Winter nicht in den Bars, die derzeit wieder in dem Zustand sind, der
während der 80er-Jahre-Subkulturapokalypse geherrscht haben muss: Vier oder
fünf und manchmal noch ein, zwei Menschen sitzen an der Bar, mit ihren
blassen Nasenflügeln, ihren müden Augen und ihren geröteten Stellen auf der
fahlen Winterhaut, und trinken und reden. Das kann sehr toll sein. Aber
froh über den Frühling und die dann wieder anreisenden Touristen bin ich
schon jetzt.
9 Feb 2014
## AUTOREN
Doris Akrap
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